"Changes: Berliner Festspiele 2012–2021"
Herausgeber: Thomas Oberender
Verlag Theater der Zeit, 520 Seiten, 24 Euro.
Buch "Changes" der Berliner Festspiele
Von kritischer Reflexion keine Spur
19:37 Minuten
Zehn Jahre des beruflichen Lebens, reduziert auf die guten Momente – ein Geschenk an sich selbst. So erscheint das Buch "Changes", das der Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender herausgibt und seine Ära in ein gutes Licht rücken soll.
Es war eine ziemliche Überraschung, als die Berliner Festspiele im Juni den Weggang von Thomas Oberender verkündeten. Gerade war sein Vertrag als Intendant verlängert worden – plötzlich war klar: Nach zehn Jahren wird er die Festspiele verlassen, und zwar schon sehr bald. Zum Ende seiner Intendanz hat Oberender jetzt als Herausgeber das Buch "Changes" veröffentlicht, angelehnt an den Song von David Bowie.
Für einen Intendanten ist das natürlich eine schöne Sache. Beim Ausmisten des Büros all die Fotos, Berichte, Interviews, an denen man hängt, nicht nur ins Poesie-Album zu kleben, sondern ein Buch für die Welt zu hinterlassen. Zehn Jahre des beruflichen Lebens, reduziert auf die guten Momente, fixiert auf Papier – ein Geschenk an sich selbst. Doch "Changes" soll mehr sein als das gängige Erinnerungsbuch, sagt Oberender.
"Changes ist ein Buch, das die Psychoanalyse einer Institution ist", so der scheidende Intendant. "Viele von uns hören jetzt auf und wir haben uns ein bisschen über uns selbst Gedanken gemacht: Was haben wir gemacht in den zehn Jahren?"
Neu interpretierte Vergangenheit
Tatsächlich ist es kein Logbuch, das das Jahrzehnt chronologisch beleuchtet. Die fünf Kapitel, in die Oberender den Reader gegliedert hat, heißen: Formate, Identitätspolitik, Digitalkultur, Immersion und Nachhaltigkeit. Zu jedem Kapitel gibt es eine Einführung, um zu zeigen, wie sehr sich das Haus mit eben diesem Thema beschäftigt habe.
Dann folgen lobende Presse-Artikel, Essays und Gespräche. Originalbeiträge sind wenige enthalten – oft sind es Auszüge aus Programmheften oder anderen Publikationen. Was nicht von Nachteil sein muss. Das Vergangene wird neu sortiert, man könnte auch sagen: neu interpretiert.
Oberenders Gespräche gehören zu den schönsten Beiträgen. Etwa die so lehrreiche wie komische Unterhaltung mit der Künstlerin Gabriele Stötzer, die am 4. Dezember 1989 die Stasi-Zentrale besetzte und dafür sorgte, dass Massen von Akten der Vernichtung entgingen.
Problematische Aufbereitung
Problematisch sind weniger die Texte als deren Aufbereitung, die nahelegt, Themen wie Identitätspolitik, Digitalkultur und Nachhaltigkeit seien die Leitthemen der Institution. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier ein Intendant die eigene Arbeit nachträglich in die großen Modethemen der Gegenwart einsortiert, um die eigene Relevanz zu erhöhen. Potentiale herausarbeiten – das sei tatsächlich Aufgabe des Buches, sagt Oberender.
"Es ist überhaupt kein klassisches Rückblickbuch, sondern der Versuch, nach vorne zu denken, die Institution nach vorne zu denken, sich selber kritisch zu betrachten und die Potentiale rauszuarbeiten, die inspirierend sein können und für unsere eigene Inspiration stehen", so der scheidende Intendant.
Von kritischer Reflexion kann aber keine Rede sein. Wenn die Kulturmanagerin Diana Palm in das Thema Nachhaltigkeit einführt, klingt es wie die Zeugnisvergabe für den Musterschüler:
"Die Berliner Festspiele als Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH sind mit ihrer ganzjährigen Festivalstruktur und ihren beiden Häusern eine Institution, die sich seit einigen Jahren intensiv mit der ökologischen Transformation des Kultursektors auseinandersetzt", steht da.
"Sie stellte sich schon weit vor der zugespitzten Klimadebatte im Wahljahr 2021 die Frage, wie wir mit den endlichen Ressourcen und unserer ,Mitwelt’, die alle nichtmenschlichen Entitäten einschließt, umgehen."
Streitbare Themen fehlen
Oberender selbst präsentiert sich im Kapitel "Formate" als ganz und gar moderner Kurator. Streitbare Themen fehlen. Beim Kapitel "Identitätspolitik" etwa wird lobend die Frauenquote erwähnt, die dessen Leiterin Yvonne Büdenhölzer für das Theatertreffen eingeführt hat – nicht aber die Debatte, als Oberender einer antirassistischen Inszenierung verbot, einen Neonazi das N-Wort auf der Bühne sagen zu lassen. Hier wird keine Institution auf die Psychoanalyse-Couch gelegt, sondern eine Intendanz aufs Podest gehoben.
Auch der umfangreiche Fototeil sagt mehr über die Vorlieben des Intendanten als über das Haus an sich. Die Inszenierungen der Regisseurin Susanne Kennedy, die Oberender verehrt, sind mehrfach abgebildet - auch Skizzen des nicht umgesetzten DAU-Projekts, das dem Intendanten besonders am Herzen lag. Die verstorbene Kuratorin Frie Leysen ist zu sehen, die das Festival "Foreign Affairs" ein Jahr lang geleitet hat – nicht aber Matthias von Hartz, der danach mehrere Jahre Festival-Chef war.
Wohin man in diesem Buch schaut – es wirkt wie das Bewerbungsschreiben eines Intendanten, der weiß, welche Begriffe in der Kulturpolitik angesagt sind. Für den Berliner Kultur-Insider ist das nicht uninteressant. Man sollte allerdings zwischen den Zeilen lesen können.