Bsirske: Rüttgers’ Vorschlag ist im Ansatz richtig
Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, unterstützt die Forderung nach einer verlängerten Zahlung des Arbeitslosengeldes I an ältere Arbeitslose. Die derzeitige Verteilung des Arbeitslosengeldes I sei sozial nicht gerecht, sagte Bsirske. Änderungen an den geltenden Regelungen dürften aber nicht zu Lasten von jüngeren Arbeitslosen geschehen.
Hanns Ostermann: Haushaltsdebatten im Bundestag verlaufen nach immer dem gleichen Ritual: Die Regierung verteidigt ihre Politik, die Opposition haut drauf und kritisiert. Gestern ging es um den größten Einzelhaushalt, den Etat des Bundesarbeitsministers. Franz Müntefering ging davon aus, die finanziellen Risiken der Arbeitslosigkeit im Griff zu haben. Etwa ein Drittel der Ausgaben im Bereich Arbeit und Soziales ist hierfür vorgesehen, also 42 Milliarden Euro. "Einspruch!", riefen Abgeordnete der FDP und der Grünen, "Sie arbeiten mit geschönten Zahlen, Herr Müntefering." Natürlich sorgten gestern auch die unterschiedlichen Positionen beim Arbeitslosengeld I für Diskussionsstoff. Unmittelbar vor dem Parteitag der CDU hält Jürgen Rüttgers an seinen Vorstellungen fest; der Bundespräsident dagegen hält ein längere Bezugsdauer für langjährige Beitragszahler für falsch; Angela Merkel wiederum hat sich jetzt auf die Seite von Jürgen Rüttgers geschlagen. Stoff genug also für das Gespräch, zu dem ich Frank Bsirske begrüße, den Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Guten Morgen, Herr Bsirske.
Frank Bsirske: Guten Morgen, Herr Ostermann.
Ostermann: Teilen Sie die Skepsis der Opposition? Wie groß ist das Haushaltsrisiko, was die Arbeitslosigkeit anbelangt?
Bsirske: Nun, ob der Haushaltsansatz für das Arbeitslosengeld II in der Höhe richtig bemessen ist, das kann man unterschiedlich werten. Aber wichtiger scheint mir das, was im Bereich des Beitragssatzes für die Bundesagentur für Arbeit geschieht. Hier wird ja massiv gesenkt, und das in einer Situation, wo es eigentlich erforderlich wäre, über die Höhe des Arbeitslosengeldes II nachzudenken, den Satz zu erhöhen. Darüber nachzudenken, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I zu verlängern, darüber nachzudenken, die Qualifizierungsangebote für Arbeitslose zu verbessern, und auch etwas zu tun für das Lehrstellenangebot. Das sind alles Defizite und Schwachstellen in der Konzeption des gegenwärtigen Haushaltes.
Ostermann: Herr Bsirske, aber das ist ja ein Wunschkonzert, das Sie da gerade formuliert haben. Denn Hartz-IV-Empfänger, so gestern das Urteil des Bundessozialgerichtes, sie müssen weiter mit dem Regelsatz von 345 Euro im Monat auskommen. Das heißt, hieran ist doch nichts zu deuteln, selbst wenn es weitere Gerichtsprozesse geben wird?
Bsirske: Sie haben Recht, Herr Ostermann, die Richter haben dem Gesetzgeber einen Spielraum bei der Festsetzung der Leistung zugebilligt. Das ist ja nicht ganz überraschend. Und die Frage ist natürlich: Wie nutzt dieser Gesetzgeber diesen Spielraum? Und dann sind wir aber genau auf dem Feld der Politik und nicht auf dem Feld der Juristerei. Und ich denke, auf dem Feld der Politik, da sollte diese Frage auch ausgetragen werden.
Ostermann: Ja aber grundsätzlich ist ja die Frage: Wenn nicht mehr Geld da ist – und das ist doch unstrittig -, wie soll das Ganze finanziert werden, was Sie da eben beschrieben haben?
Bsirske: Wir haben einen ganz prominenten Überschuss der Bundesagentur für Arbeit in der Größenordnung von neun, zehn Milliarden Euro. Und die Gewerkschaften haben vorgeschlagen, einen Teil dieser Summe zum Beispiel einzusetzen, um 50.000 zusätzliche Lehrstellen zu schaffen. Das ist doch dringend notwendig mit Blick auf die Situation vieler, vieler junger Menschen. Wir haben kritisiert, dass in den letzten drei Jahren die Qualifizierungsangebote für Arbeitslose um zwei Drittel gekürzt worden sind, obwohl immer wieder betont wird, dass Wissen in der Gesellschaft für die Zukunft immer wichtiger wird. Wir haben mit den Wohlfahrtsverbänden zusammen Zweifel daran, ob der Regelsatz für das Arbeitslosengeld II in der Höhe wirklich ausreichend ist. Aber das muss in der Politik ausgetragen werden. Und ich glaube schon, dass dafür auch die finanziellen Spielräume vorhanden sind, man muss sie nur nutzen. Und hier geht die Diskussion in der Koalition offensichtlich in eine andere Richtung: Es geht vor allem darum, die Beitragssätze zu senken, im Grunde auch die Belastung für die Arbeitgeber auf der steuerlichen Seite, auf der Seite der Sozialversicherungsbeiträge weiter zu senken, im Grunde die Umverteilungsmaschine der letzten Jahre weiter anzuschmeißen.
Ostermann: Sie haben das Arbeitslosengeld I angesprochen und die Bezugsdauer wird heftig diskutiert, da stehen sich zwei Modelle fast unversöhnlich gegenüber. Wo ist der Königsweg? Gibt es ihn überhaupt?
Bsirske: Nun, das Eigentümliche an dem Vorschlag von Rüttgers und an der Diskussion in der CDU ist ja, dass sie an sich eine auch richtige Frage aufgreifen - in der Gesellschaft gibt es viele Vorbehalte, was das Thema Gerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld angeht -, zu Recht, aber sich in die Büsche schlagen, wenn es darum geht, zu sagen, wie sie es finanzieren wollen. Weil sie wollen ja umverteilen. Das, was sie den älteren Arbeitslosen mehr geben wollen, das wollen sie sich holen bei den jüngeren Arbeitslosen und bei denen, die weniger lange Versicherungszeiten aufweisen. Diese Art von Umverteilung unter den Arbeitslosen halte ich für hoch problematisch. Während ich schon der Überzeugung bin, dass die Kürzung des Arbeitslosengeldes, die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I ein Fehler gewesen ist – übrigens auch schon zu Zeiten der Agenda 2010 - und es richtig wäre, in der Tat darüber zu reden, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu verlängern. Das ist die Position der Gewerkschaften. Aber bitte: Nicht auf Kosten anderer Arbeitsloser, sondern im Prinzip so, dass Arbeitslose nicht damit rechnen müssen, innerhalb kürzester Zeit eben in Armut abzustürzen und das nach Jahrzehnten der Beitragszahlung. Das ist sozusagen das positive Moment des Rüttgers-Vorschlages. Und dann sollen sie sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es um die Frage der Finanzierung geht.
Ostermann: Ja, schlagen Sie sich jetzt nicht auch in die Büsche, was die Frage der Finanzierung betrifft oder habe ich das eben überhört? Wie wollen Sie das Geld aufbringen?
Bsirske: Nein, wir haben auf der einen Seite ja deutliche Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit, in Größenordnungen von Milliardenbeträgen. Und auf der anderen Seite haben wir eine Verbesserung der Steuereinnahmen - ich bleibe mal bei dem Punkt, denn wir sind ja beim Bundeshaushalt - von 20 Milliarden Euro. Der Haushalt selbst weist ein Plus von sechs Milliarden Euro aus. Das wird im Wesentlichen zur Konsolidierung verwendet, obwohl wir eigentlich dringend Impulse für die Binnenkonjunktur, zur Stützung von Wachstum und Konjunktur bräuchten. Ich glaube nach wie vor, dass es hier eine Schwachstelle in der politischen Konzeption der Regierung gibt. Es wird für die Belebung des Binnenmarktes zu wenig getan, zu wenig Impulse. Und die Frage, was bei den Arbeitslosen passiert, und wie man im Grunde hier auch unterstützen kann, ist nur eine Facette dieses grundlegenden Problems.
Ostermann: Herr Bsirske, wir brauchen neue Jobs, das ist ja auch klar. Aber wirkt Ihre Forderung, die Sie vor kurzem wiederholt haben, nämlich die Forderung des Mindestlohnes, in einer solchen Situation, die wir haben, nicht geradezu kontraproduktiv?
Bsirske: Nun, im Gegenteil. Wir haben ja in Großbritannien erlebt – dort wurde der gesetzliche Mindestlohn im Jahre 1999 eingeführt, mittlerweile liegt er bei 7,83 Euro brutto pro Stunde -, erlebt, dass auf der Arbeitsmarktseite das eher positive Effekte hatte. Die Kommission, die Niedriglohnkommission, die die britische Regierung berät, hat eine sehr sorgfältige Analyse angestellt: Wie hat sich eigentlich der gesetzliche Mindestlohn nach Einführung in Großbritannien ausgewirkt? Und siehe da: Überhaupt keine negativen Arbeitsmarkteffekte konnten festgestellt werden – und das von einer Kommission, in der die Unternehmerseite zu einem Drittel vertreten ist. Ich finde, man sollte lernen aus den Erfahrungen unserer westeuropäischen Nachbarländer mit Löhnen, mit gesetzlichen Mindestlöhnen zwischen 7,01 Euro in Irland und 8,63 Euro in Luxemburg. Wir sollten aufschließen auf das Niveau unserer westeuropäischen Nachbarländer. Das stabilisiert nicht zuletzt auch die Binnenkonjunktur.
Ostermann: Herr Bsirske, der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Gespräch mit der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.
Frank Bsirske: Guten Morgen, Herr Ostermann.
Ostermann: Teilen Sie die Skepsis der Opposition? Wie groß ist das Haushaltsrisiko, was die Arbeitslosigkeit anbelangt?
Bsirske: Nun, ob der Haushaltsansatz für das Arbeitslosengeld II in der Höhe richtig bemessen ist, das kann man unterschiedlich werten. Aber wichtiger scheint mir das, was im Bereich des Beitragssatzes für die Bundesagentur für Arbeit geschieht. Hier wird ja massiv gesenkt, und das in einer Situation, wo es eigentlich erforderlich wäre, über die Höhe des Arbeitslosengeldes II nachzudenken, den Satz zu erhöhen. Darüber nachzudenken, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I zu verlängern, darüber nachzudenken, die Qualifizierungsangebote für Arbeitslose zu verbessern, und auch etwas zu tun für das Lehrstellenangebot. Das sind alles Defizite und Schwachstellen in der Konzeption des gegenwärtigen Haushaltes.
Ostermann: Herr Bsirske, aber das ist ja ein Wunschkonzert, das Sie da gerade formuliert haben. Denn Hartz-IV-Empfänger, so gestern das Urteil des Bundessozialgerichtes, sie müssen weiter mit dem Regelsatz von 345 Euro im Monat auskommen. Das heißt, hieran ist doch nichts zu deuteln, selbst wenn es weitere Gerichtsprozesse geben wird?
Bsirske: Sie haben Recht, Herr Ostermann, die Richter haben dem Gesetzgeber einen Spielraum bei der Festsetzung der Leistung zugebilligt. Das ist ja nicht ganz überraschend. Und die Frage ist natürlich: Wie nutzt dieser Gesetzgeber diesen Spielraum? Und dann sind wir aber genau auf dem Feld der Politik und nicht auf dem Feld der Juristerei. Und ich denke, auf dem Feld der Politik, da sollte diese Frage auch ausgetragen werden.
Ostermann: Ja aber grundsätzlich ist ja die Frage: Wenn nicht mehr Geld da ist – und das ist doch unstrittig -, wie soll das Ganze finanziert werden, was Sie da eben beschrieben haben?
Bsirske: Wir haben einen ganz prominenten Überschuss der Bundesagentur für Arbeit in der Größenordnung von neun, zehn Milliarden Euro. Und die Gewerkschaften haben vorgeschlagen, einen Teil dieser Summe zum Beispiel einzusetzen, um 50.000 zusätzliche Lehrstellen zu schaffen. Das ist doch dringend notwendig mit Blick auf die Situation vieler, vieler junger Menschen. Wir haben kritisiert, dass in den letzten drei Jahren die Qualifizierungsangebote für Arbeitslose um zwei Drittel gekürzt worden sind, obwohl immer wieder betont wird, dass Wissen in der Gesellschaft für die Zukunft immer wichtiger wird. Wir haben mit den Wohlfahrtsverbänden zusammen Zweifel daran, ob der Regelsatz für das Arbeitslosengeld II in der Höhe wirklich ausreichend ist. Aber das muss in der Politik ausgetragen werden. Und ich glaube schon, dass dafür auch die finanziellen Spielräume vorhanden sind, man muss sie nur nutzen. Und hier geht die Diskussion in der Koalition offensichtlich in eine andere Richtung: Es geht vor allem darum, die Beitragssätze zu senken, im Grunde auch die Belastung für die Arbeitgeber auf der steuerlichen Seite, auf der Seite der Sozialversicherungsbeiträge weiter zu senken, im Grunde die Umverteilungsmaschine der letzten Jahre weiter anzuschmeißen.
Ostermann: Sie haben das Arbeitslosengeld I angesprochen und die Bezugsdauer wird heftig diskutiert, da stehen sich zwei Modelle fast unversöhnlich gegenüber. Wo ist der Königsweg? Gibt es ihn überhaupt?
Bsirske: Nun, das Eigentümliche an dem Vorschlag von Rüttgers und an der Diskussion in der CDU ist ja, dass sie an sich eine auch richtige Frage aufgreifen - in der Gesellschaft gibt es viele Vorbehalte, was das Thema Gerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld angeht -, zu Recht, aber sich in die Büsche schlagen, wenn es darum geht, zu sagen, wie sie es finanzieren wollen. Weil sie wollen ja umverteilen. Das, was sie den älteren Arbeitslosen mehr geben wollen, das wollen sie sich holen bei den jüngeren Arbeitslosen und bei denen, die weniger lange Versicherungszeiten aufweisen. Diese Art von Umverteilung unter den Arbeitslosen halte ich für hoch problematisch. Während ich schon der Überzeugung bin, dass die Kürzung des Arbeitslosengeldes, die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I ein Fehler gewesen ist – übrigens auch schon zu Zeiten der Agenda 2010 - und es richtig wäre, in der Tat darüber zu reden, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu verlängern. Das ist die Position der Gewerkschaften. Aber bitte: Nicht auf Kosten anderer Arbeitsloser, sondern im Prinzip so, dass Arbeitslose nicht damit rechnen müssen, innerhalb kürzester Zeit eben in Armut abzustürzen und das nach Jahrzehnten der Beitragszahlung. Das ist sozusagen das positive Moment des Rüttgers-Vorschlages. Und dann sollen sie sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es um die Frage der Finanzierung geht.
Ostermann: Ja, schlagen Sie sich jetzt nicht auch in die Büsche, was die Frage der Finanzierung betrifft oder habe ich das eben überhört? Wie wollen Sie das Geld aufbringen?
Bsirske: Nein, wir haben auf der einen Seite ja deutliche Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit, in Größenordnungen von Milliardenbeträgen. Und auf der anderen Seite haben wir eine Verbesserung der Steuereinnahmen - ich bleibe mal bei dem Punkt, denn wir sind ja beim Bundeshaushalt - von 20 Milliarden Euro. Der Haushalt selbst weist ein Plus von sechs Milliarden Euro aus. Das wird im Wesentlichen zur Konsolidierung verwendet, obwohl wir eigentlich dringend Impulse für die Binnenkonjunktur, zur Stützung von Wachstum und Konjunktur bräuchten. Ich glaube nach wie vor, dass es hier eine Schwachstelle in der politischen Konzeption der Regierung gibt. Es wird für die Belebung des Binnenmarktes zu wenig getan, zu wenig Impulse. Und die Frage, was bei den Arbeitslosen passiert, und wie man im Grunde hier auch unterstützen kann, ist nur eine Facette dieses grundlegenden Problems.
Ostermann: Herr Bsirske, wir brauchen neue Jobs, das ist ja auch klar. Aber wirkt Ihre Forderung, die Sie vor kurzem wiederholt haben, nämlich die Forderung des Mindestlohnes, in einer solchen Situation, die wir haben, nicht geradezu kontraproduktiv?
Bsirske: Nun, im Gegenteil. Wir haben ja in Großbritannien erlebt – dort wurde der gesetzliche Mindestlohn im Jahre 1999 eingeführt, mittlerweile liegt er bei 7,83 Euro brutto pro Stunde -, erlebt, dass auf der Arbeitsmarktseite das eher positive Effekte hatte. Die Kommission, die Niedriglohnkommission, die die britische Regierung berät, hat eine sehr sorgfältige Analyse angestellt: Wie hat sich eigentlich der gesetzliche Mindestlohn nach Einführung in Großbritannien ausgewirkt? Und siehe da: Überhaupt keine negativen Arbeitsmarkteffekte konnten festgestellt werden – und das von einer Kommission, in der die Unternehmerseite zu einem Drittel vertreten ist. Ich finde, man sollte lernen aus den Erfahrungen unserer westeuropäischen Nachbarländer mit Löhnen, mit gesetzlichen Mindestlöhnen zwischen 7,01 Euro in Irland und 8,63 Euro in Luxemburg. Wir sollten aufschließen auf das Niveau unserer westeuropäischen Nachbarländer. Das stabilisiert nicht zuletzt auch die Binnenkonjunktur.
Ostermann: Herr Bsirske, der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Gespräch mit der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.