Brutal ehrlich
Als "kleiner klugscheißernder HipHopper" bezeichnet sich der junge Autor Selim Özdogan selbst gerne. Auch wenn er sich weder im HipHop-Stil kleidet, noch mit seinen 35 Jahren im passenden Alter wäre. Jenes HipHop-typische rebellische Denken ist ihm allerdings ganz und gar nicht fremd.
"Heute morgen habe ich beide CDs von Black Rebel Motorcycle Club gekauft, weil ich das Stück 'Whatever happened to my Rock n´Roll' so grandios fand. Seit Jahren höre ich kaum mehr Gitarrenmusik, aber dieses Stück taugt für ein Ritual. Ich möchte es vor jeder Lesung hören. Ich überspiele es auf eine MD, weil ich glaube, dass es gut zum Zugfahren ist. Doch im Zug lese ich dann doch in meinem Buch weiter; 'Das Jahr der leeren Träume' von Richard Yates. Ich mag diese glaubwürdig-schwachen Charaktere, ich kann nicht anders, als mit ihnen zu sympathisieren."
Özdogan: "Das, was immer sich als am wichtigsten herauskristallisiert hat für mich, ist halt Alltag. Wie gehst du damit um, wie kannst du ihn gestalten, so dass er sich am Ende des Tages schön anfühlt. Das ist das, womit ich beschäftigt bin."
Selim Özdogan ist ein Mann mit einem wachen Auge für das Große im Kleinen, für das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen.
"Das ist jetzt keine Flugzeugentführung, die beschrieben wird, sondern das ist: du stehst auf und die Zahnpasta ist alle. Das ist dann was, was jeder kennt."
Was jeder kennt, aber was jeder anders wahrnehmen kann, das ist das, was Selim Özdogan fasziniert. Hätte er in seinem Leben ein extrem großes Glück erlebt oder eine schwere Tragödie, dann würde er sich mit diesen Sachen beschäftigen, sagt er. Hat er aber nicht.
Deutsch-Türke in zweiter Generation, geboren 1971 in Köln, ein Studium der Völkerkunde, Anglistik und Philosophie, das er abbrach, weil er schon immer lieber schreiben wollte. Zunächst einige Artikel in Zeitschriften - dann, vor zehn Jahren sein erster Roman: "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist".
Mittlerweile sind elf Bücher entstanden, und diese handeln immer wieder von Menschen in ungewöhnlichen Situationen - sei dies die türkische Halbwaise Gül in "Die Tochter des Schmieds", oder Phillip, der mit dem Auto durch die Wüste fliehen muss, in "Nirgendwo und Hormone". Und immer wieder jener genaue Blick für das Ungewohnte im Gewohnten.
"Ich find das zum Beispiel immer toll, mit jemandem, der noch nie bei mir war, einfach die Straße zu meiner Wohnung runter zu gehen. Und die Leute sehen Sachen, die hab ich einfach noch nie so wahrgenommen. Und das ist ja auch Alltag. Das heißt, du pickst irgendetwas heraus, was erstmal nicht sofort ins Auge fällt. Aber irgendwas, wo dann alle sagen können: Ach ja, stimmt!"
Leicht war es anfangs allerdings nicht für Selim Özdogan: Nachdem er nach etlichen Absagen endlich einen Verleger für sein erstes Buch gefunden hatte, äußerte dieser den Wunsch, der Schriftsteller solle lieber ein Pseudonym benutzen. Der ausländische Name passe so gar nicht zu dem "deutschen Inhalt" - einer Liebesgeschichte um den jungen Kölner Alex. Doch Selim Özdogan hat seinen Namen durchgeboxt.
Buchausschnitt:
Heute gibt es eine Podiumsdiskussion zum Thema "Multikulti oder Leitkultur?" Moderiert wird die Veranstaltung von Sigrid Löffler und Frauke Meyer-Gosau, Teilnehmer sind Herr Professor Paul Nolte, ein Historiker, ein Herr Friedrich Schorlemmer, ein Theologe und ich. (...)
Herr Nolte und ich haben Meinungsverschiedenheiten, doch das finde ich nicht so schlimm. Schlimm finde ich Herrn Schorlemmer, der sagt, er würde sich freuen, dass es solche Menschen gibt wie mich, die voll integriert sind und fast ohne Akzent deutsch sprechen. Ich bin so platt, dass mir nichts einfällt. Frau Löffler springt für mich ein und sagt: Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das ein deutscher Autor ist. (...)
Ich bin überzeugt davon, dass Herr Schorlemmer es nicht böse gemeint hat, doch das spielt keine Rolle, er hat es gesagt und ich finde es eine Unverschämtheit. Wäre ich schlagfertig, hätte ich geantwortet: Und ich stinke auch fast gar nicht.
Selim Özdogan ist etwa 1,80 groß, kurzhaarig - und rebellisch veranlagt. Brutal ehrlich, impulsiv und bewusst subjektiv beschreibt der Autor seine Zeitgenossen und hat dabei keine Lust, sich irgendeine Meinung vorschreiben zu lassen.
"Ich hatte letztlich ein Gespräch mit verschiedenen Literaten, wir können sie auch Intellektuelle nennen, und es ging um Ulysses, was ja auch immer so als Klassiker herhält. Und der eine hat gesagt: Kann man nur im Original lesen! Und der andere hat erzählt: Du musst den lesen wie Musik, du musst ja nicht immer alles verstehen! Und der nächste hat erzählt: Man muss sich den laut vorlesen. Und das waren so drei Positionen einfach. Und ich saß da und hab gesagt: Hör mal: wenn ich's lese, und es reizt mich nicht und es sagt mir nix, dann ist es ein Scheißbuch, so das kann doch nicht sein, das kann man nur in der Badewanne lesen, da muss man eine Vanillekerze bei anhaben? Das ist nix!"
Vom Um-den-heißen-Brei-reden hält Selim Özdogan nicht viel. Als liebenswert direkt könnte man ihn besser beschreiben. Und mit jener unverwüstlichen Ehrlichkeit begibt sich der Autor auch jetzt wieder auf Lesereise durch Deutschland. Von einer Stadt in die nächste, im Zugabteil, mit einem Buch in der Hand und Musik auf den Ohren.
Buchausschnitt:
(...) Keine Aussicht auf Frühstück. Nachdem ich in Ottbergen umgestiegen bin, sitze ich in einem Zug, wo es einen Heißgetränke-Automaten gibt. Ich nehme zwei Suppen und einen Kaffee. Mike Skinner auf dem Kopfhörer. Ich freue mich auf zu Hause.
Özdogan: "Das, was immer sich als am wichtigsten herauskristallisiert hat für mich, ist halt Alltag. Wie gehst du damit um, wie kannst du ihn gestalten, so dass er sich am Ende des Tages schön anfühlt. Das ist das, womit ich beschäftigt bin."
Selim Özdogan ist ein Mann mit einem wachen Auge für das Große im Kleinen, für das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen.
"Das ist jetzt keine Flugzeugentführung, die beschrieben wird, sondern das ist: du stehst auf und die Zahnpasta ist alle. Das ist dann was, was jeder kennt."
Was jeder kennt, aber was jeder anders wahrnehmen kann, das ist das, was Selim Özdogan fasziniert. Hätte er in seinem Leben ein extrem großes Glück erlebt oder eine schwere Tragödie, dann würde er sich mit diesen Sachen beschäftigen, sagt er. Hat er aber nicht.
Deutsch-Türke in zweiter Generation, geboren 1971 in Köln, ein Studium der Völkerkunde, Anglistik und Philosophie, das er abbrach, weil er schon immer lieber schreiben wollte. Zunächst einige Artikel in Zeitschriften - dann, vor zehn Jahren sein erster Roman: "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist".
Mittlerweile sind elf Bücher entstanden, und diese handeln immer wieder von Menschen in ungewöhnlichen Situationen - sei dies die türkische Halbwaise Gül in "Die Tochter des Schmieds", oder Phillip, der mit dem Auto durch die Wüste fliehen muss, in "Nirgendwo und Hormone". Und immer wieder jener genaue Blick für das Ungewohnte im Gewohnten.
"Ich find das zum Beispiel immer toll, mit jemandem, der noch nie bei mir war, einfach die Straße zu meiner Wohnung runter zu gehen. Und die Leute sehen Sachen, die hab ich einfach noch nie so wahrgenommen. Und das ist ja auch Alltag. Das heißt, du pickst irgendetwas heraus, was erstmal nicht sofort ins Auge fällt. Aber irgendwas, wo dann alle sagen können: Ach ja, stimmt!"
Leicht war es anfangs allerdings nicht für Selim Özdogan: Nachdem er nach etlichen Absagen endlich einen Verleger für sein erstes Buch gefunden hatte, äußerte dieser den Wunsch, der Schriftsteller solle lieber ein Pseudonym benutzen. Der ausländische Name passe so gar nicht zu dem "deutschen Inhalt" - einer Liebesgeschichte um den jungen Kölner Alex. Doch Selim Özdogan hat seinen Namen durchgeboxt.
Buchausschnitt:
Heute gibt es eine Podiumsdiskussion zum Thema "Multikulti oder Leitkultur?" Moderiert wird die Veranstaltung von Sigrid Löffler und Frauke Meyer-Gosau, Teilnehmer sind Herr Professor Paul Nolte, ein Historiker, ein Herr Friedrich Schorlemmer, ein Theologe und ich. (...)
Herr Nolte und ich haben Meinungsverschiedenheiten, doch das finde ich nicht so schlimm. Schlimm finde ich Herrn Schorlemmer, der sagt, er würde sich freuen, dass es solche Menschen gibt wie mich, die voll integriert sind und fast ohne Akzent deutsch sprechen. Ich bin so platt, dass mir nichts einfällt. Frau Löffler springt für mich ein und sagt: Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das ein deutscher Autor ist. (...)
Ich bin überzeugt davon, dass Herr Schorlemmer es nicht böse gemeint hat, doch das spielt keine Rolle, er hat es gesagt und ich finde es eine Unverschämtheit. Wäre ich schlagfertig, hätte ich geantwortet: Und ich stinke auch fast gar nicht.
Selim Özdogan ist etwa 1,80 groß, kurzhaarig - und rebellisch veranlagt. Brutal ehrlich, impulsiv und bewusst subjektiv beschreibt der Autor seine Zeitgenossen und hat dabei keine Lust, sich irgendeine Meinung vorschreiben zu lassen.
"Ich hatte letztlich ein Gespräch mit verschiedenen Literaten, wir können sie auch Intellektuelle nennen, und es ging um Ulysses, was ja auch immer so als Klassiker herhält. Und der eine hat gesagt: Kann man nur im Original lesen! Und der andere hat erzählt: Du musst den lesen wie Musik, du musst ja nicht immer alles verstehen! Und der nächste hat erzählt: Man muss sich den laut vorlesen. Und das waren so drei Positionen einfach. Und ich saß da und hab gesagt: Hör mal: wenn ich's lese, und es reizt mich nicht und es sagt mir nix, dann ist es ein Scheißbuch, so das kann doch nicht sein, das kann man nur in der Badewanne lesen, da muss man eine Vanillekerze bei anhaben? Das ist nix!"
Vom Um-den-heißen-Brei-reden hält Selim Özdogan nicht viel. Als liebenswert direkt könnte man ihn besser beschreiben. Und mit jener unverwüstlichen Ehrlichkeit begibt sich der Autor auch jetzt wieder auf Lesereise durch Deutschland. Von einer Stadt in die nächste, im Zugabteil, mit einem Buch in der Hand und Musik auf den Ohren.
Buchausschnitt:
(...) Keine Aussicht auf Frühstück. Nachdem ich in Ottbergen umgestiegen bin, sitze ich in einem Zug, wo es einen Heißgetränke-Automaten gibt. Ich nehme zwei Suppen und einen Kaffee. Mike Skinner auf dem Kopfhörer. Ich freue mich auf zu Hause.