"Brückenbauer und Deutschlands Gewissen"

Von Werner Nording · 19.03.2006
Fast ein wenig unangenehm schien Siegfried Lenz die öffentliche Ehrung anlässlich seines 80. Geburtstags zu sein. Zahlreiche Gratulanten feierten den in Hamburg lebenden Autor, darunter der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Nobelpreisträger Günter Grass. In der Laudatio nannte der israelische Schriftsteller Amos Oz seinen Freund einen "Brückenbauer und Deutschlands Gewissen".
Es war keine ausgelassene Feierstunde, denn der 80. Geburtstag von Siegfried Lenz wird vom Tod seiner geliebten Frau Lieselotte überschattet, die erst im Februar gestorben ist. Der Hamburger Kaufmann Michael Otto, Inhaber des Otto Versands und langjähriger Nachbar der Lenzens, hat das innige Verhältnis von Siegfried und Liselotte Lenz erlebt:

"Seine Frau war für ihn eine ganz wichtige Partnerin die ihn von Anfang an begleitet hat, die ihn unterstützt hat und ein sehr tiefes Vertrauensverhältnis zwischen beiden war. Sie hat seine Manuskripte getippt, war auch kritische Leserin seiner Manuskripte, insofern war das arbeitsmäßig eine optimale Zusammenarbeit, aber auch persönlich ein tiefes Verhältnis."

In Masuren wurde Siegfried Lenz vor 80 Jahren geboren und mit den Masurischen Geschichten "So zärtlich war Suleyken" hat er vor 50 Jahren seiner Heimat schon einen Bestseller gewidmet, später kam dann der Roman Heimatmuseum dazu.

Doch in der Summe spielen seine Geschichten in Norddeutschland, deshalb betrachtet man Siegfried Lenz im Norden als einen Norddeutschen, meinte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen.

"Siegfried Lenz hat an Landschaft, Orten und Menschen bei uns Maß genommen und sie literarisch verwandelt, damit hat er Schleswig-Holstein wie vor ihm Theodor Storm zur einer literarischen Landschaft gemacht und deshalb ist er zum Ehrenbürger ernannt worden."

Seit Kriegsende lebte Lenz in Hamburg, hier lag seine erste Zeitungsredaktion, hier liegt sein Verlag Hoffmann & Campe, Auch Hamburg machte den weltbekannten Schriftsteller zum Ehrenbürger, sagte Kultursenatorin Karin von Welck.

"Er spielt in Hamburg die Rolle eines weisen Ratgebers, es ist eine gute Referenz für uns, dass so ein Mensch wie Siegfried Lenz in seiner Bescheidenheit große Werke schaffen kann. Wenn ich an 'Die Deutschstunde' denke, seinen wichtigsten Roman, der den Nationalsozialismus aufarbeitet, dann bin ich richtig froh, dass so etwas in Hamburg entstanden ist."

"Die Deutschstunde" zeigt den Mikrokosmos eines Dorfes an der deutsch-dänischen Grenze. Günter Grass bekannte, es sei sein Lieblingswerk seines Freundes Siegfried. Der Nobelpreisträger las einen Ausschnitt aus dem Anfang des Romans vor. Die Nazis hatten dem Dorfmaler ein Arbeitsverbot erteilt und der Dorfpolizist muss das Verbot überwachen.

"Und mein Vater, der Polizeiposten Rugbül, hatte die Einhaltung des Malverbots zu überwachen durch alles Tages- und Jahreszeiten. Er hatte, um auch das zu erwähnen, jede Erfahrung und Entstehung eines Bildes zu unterbinden, alle unerwünschten Behauptungen des Lichts. Überhaupt polizeilich dafür zu sorgen, dass in Blekenwarft nicht mehr gemalt wurde."

Lenz hatte aufmerksam zugehört und in den Zwischentönen seines Freundes Grass Verbesserungsvorschläge herausgehört. Er sei dem vorgetragenen Text sehr hellhörig gefolgt, sagte Lenz zur Erheiterung des Publikums:

"Und dabei, auch dies ist ein unvermeidliches Bedürfnis, nichts als definitiv als endgültig anzusehen, sondern mich zu fragen, was kannst du hier ändern, korrigieren, das ist mir immer so gegangen, I can`t help it ."

Die Laudatio auf Lenz hielt der weltbekannte Schriftsteller Amos Oz, seit Jahrzehnten ein enger Freund des Ehepaars Lenz. Er habe als junger Mensch eine intensive Abneigung gegen alles Deutsche gehabt, bekannte der israelische Schriftsteller. Dank Lenz, den er als Brückenbauer und Deutschlands Gewissen bezeichnete, habe er diese Einstellung ändern können.

"Es war 'Die Deutschstunde', die mehr als jedes andere Werk der Autoren der Gruppe 47 meine schwarz-weiß-gehaltene Sichtweise des Nachkriegsdeutschlands verändert hat. Wie 'Das Stadtgespräch' konfrontierte mich die Deutschstunde mit den Kategorien ethische Ambivalenz und emotionaler Zwiespältigkeit und so zwang Siegfried Lenz mich regelrecht dazu, alle vereinfachenden Klischees über Bord zu werfen."

Siegfried Lenz hatte sich wie ein gebrochener Mann in den Saal geschleppt, nach der Feierstunde bedankte er sich bewegt für die Aufmerksamkeit, die ihm sichtlich gut getan hatte.

"Ich freu mich sehr, dass Sie mir die Ehre ihrer Anwesenheit gegeben haben - Dankeschön."

Siegfried Lenz ist neben Günter Grass und Heinrich Böll einer der großen Nachkriegsautoren in Deutschland. Aus Achtung vor diesem großen Schriftsteller erhoben sich die Gäste von ihren Plätzen. Stehender Applaus für Siegfried Lenz, dem die öffentliche Ehrung dennoch fast unangenehm zu sein schien.