Brücken zwischen heute und gestern

Vorgestellt von Bernd Sobolla · 28.07.2006
Regisseur Volker Koepp gilt als einer der bedeutendsten deutschen Dokumentarfilmer. Mit seiner mehrteiligen Langzeitstudie über Textilarbeiterinnen in Wittstock sorgte er auf Festivals in der ganzen Welt für Furore. In all seinen Filmen verschafft Koepp sich und uns Zeit und Raum für Begegnungen mit Menschen und Landschaften. Eine kleine Auswahl von sechs Filmen erscheint jetzt auf DVD.
"Mein Ritter ohne Furcht und Tadel kommt seit sechs Jahren zu mir ins Haus und jeden Abend mit einer Hiobsbotschaft. Jeden Abend muss ich ihm ausreden, dass das Leben weitergeht und dass es nicht so arg ist wie es ausschaut. Und morgen wird es besser. Ohne böse Nachrichten kommt er überhaupt nicht. Jeden Abend hat er eine neue."

Herr Zwilling, der Ritter ohne Furcht und Tadel, wie es Frau Zuckermann beschreibt, hat allen Grund für seinen Pessimismus. Denn er gehört zu den wenigen Juden von Czernowitz, einer Stadt im Westen der Ukraine, die den 2. Weltkrieg und die Stalin-Zeit überlebt haben.

Doch nicht nur ihn stellt uns der Filmemacher Volker Koepp vor, sondern eine ganze Landschaft, die Bukowina, ein Grenzgebiet, das mal zu Österreich-Ungarn gehörte, mal zu Polen, zu Russland, Deutschland, Rumänien und heute in der Ukraine liegt, wo sich über Jahrhunderte Völker mischen.

Wie in all seinen Filmen lässt Volker Koepp die Kamera, die häufig von Thomas Plenert geführt wird, über die Landschaft schweifen. Er hört und sieht den Menschen genau zu, hält ihre kulturellen Eigenheiten fest, lässt sie aus ihrem Leben erzählen und schlägt so Brücken zwischen gestern und heute.

"Nun ist es bei jüdischen Leuten ohnehin so, das sich Erinnern gehört gewissermaßen zum Leben. Viel unmittelbarer als bei uns. Und auch bei Polen, Russen. Und so wird immer viel stärker über die Vergangenheit geredet als bei uns.

Manchmal hat man das Gefühl, dass die Leute in Osteuropa überhaupt nur in der Vergangenheit leben, die Gegenwart ihnen doch relativ suspekt ist, ganz zu schweigen von irgendwelcher Form von Zukunft. Insofern eignet sich natürlich so eine Landschaft für dokumentarische Filme auch, weil die Filmarbeit, die wir machen, immer damit zu tun hat, Lebensgeschichten zu erzählen und Geschichtslandschaften zu beschreiben."

Volker Koepp zeigt viel Geduld. Nie drängt er seine Protagonisten zum Reden. Oft entstehen Momente des Schweigens, des Nachdenkens, des langsamen Erinnerns. Und manchmal kontrastiert er ihr gegenwärtiges Schicksal geschickt mit den Erlebnissen der Vergangenheit, z.B. in "Uckermark". In dem Film über die gleichnamige Region im Osten Deutschlands, wo viele Menschen vor der hohen Arbeitslosigkeit flüchten, fragt er die frustrierten Dagebliebenen, ob sie denn nicht auch Lustiges erlebt hätten.

"Die 50er Jahre, die waren noch lustig. Da haben wir Erntefest gefeiert, da war Tanz. Da haben wir gefeiert und getrunken und Musik und Kapelle. Da war was los im Dorf. Aber alles wie gesagt bis 53. Und dann war die Welt zu Ende bis die Bauern abgehauen sind. Da war es aus. Seitdem nichts mehr."

Bei Volker Koepp geht es nie um das Großstadtleben, seine Aufmerksamkeit, ja, man kann fast sagen seine Liebe, gilt den karg besiedelten Landschaften in Mittel- und Osteuropa: Masuren in dem Film "Schattenland", das Baltikum in "Kurische Nehrung" oder "Pommerland", wo er selbst 1944 im heutigen Szczecin geboren wurde.

Dabei schildert der Filmemacher nicht nur, wie die Menschen dort leben, sondern er zeigt ebenso Menschen, die dort ihre Vergangenheit suchen oder die ihrer Eltern: Wie Hollywood Star Harvey Keitel, den Koepp in "Dieses Jahr in Czernowitz" in die Bukowa begleitet.

"Als wir Kinder in Brighton Beach in Brooklyn aufwuchsen, versammelten wir uns immer um den Tisch, mein Bruder, meine Schwester und Freunde und dann wollten wir von unserer Mutter Geschichten aus Manamuris hören, wo sie herstammt. Also wie sie aufwuchs…, wo sie tanzte, was sie aß. Denn in dem wir davon erfuhren, hatten wir das Gefühl, mehr über uns selbst zu erfahren."

Als Bonusmaterial zu den sechs Filmen bietet die DVD - Edition Interviews, Pressestimmen und Kommentare. Außerdem gibt es ein rund einstündiges Werkgespräch mit Volker Koepp. Seltsamerweise wirkt der Filmemacher, der die große Gabe hat, fast alle Menschen zum Sprechen zu bringen, dabei seltsam gehemmt, ein wenig fahrig und es umgibt ihn auch ein Hauch von Trauer. Inhaltlich ist es dennoch ein Gewinn.

Koepp spricht über die Wechselwirkung von Individuum, Geschichte und Landschaft, über die Bedeutung von Heimat und kultureller Identität und wie er als junger Filmemacher schon vor dem Drehen alles über seine Gesprächspartner wissen wollte, während er heute die Begegnung mit den Menschen eher als Entdeckungsreise sieht.

Und er schildert die kleinen Tricks, die er anwendet, um seine Protagonisten in ihrer ganzen Persönlichkeit darzustellen, wie sie für die Kamera kochen, tanzen, singen oder auch Gedichte zitieren und damit seinen wunderbaren Filmen eine wiegend schöne Melancholie verleihen.

"Wie der Herbstwind treibt die Blätter, die hernieder fallen vom Baum. Also treffen sich die Menschen, flüchtig wie ein schöner Traum. Wie der Herbstwind dann die Blätter wieder auseinander treibt, so trennen sich die Menschen. Nur die Erinnerung bleibt."


Die Volker Koepp Kollektion
Edition Salzgeber
59,90 Euro