Brok lehnt Sarkozy-Vorstoß zur Türkei ab

Moderation: Christopher Ricke |
Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok hat sich gegen den Vorstoß des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gewandt, einen EU-Beitritt der Türkei zu verhindern. Er glaube nicht, dass der Vorschlag für eine Mittelmeer-Union mit Marokko und Ägypten attraktiv für die Regierung in Ankara sei.
Christopher Ricke: Die Position des neuen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ist klar: Europa endet am Bosporus, nicht nur geografisch, sondern auch politisch. Und so will Sarkozy nach dem EU-Gipfel am 21. und 22. Juni in Brüssel eine neue Strategie der Europäischen Union vorschlagen, die im Endeffekt die Türkei nicht einbindet. Stattdessen sei der Platz der Türkei in einer zu gründenden Mittelmeerunion, deren Grundlagen unter französischem EU-Vorsitz im zweiten Halbjahr 2008 gelegt werden könnten, meint der französische Präsident. Elmar Brok ist CDU-Außenexperte, Europaabgeordneter. Guten Morgen, Herr Brok.

Elmar Brok: Guten Morgen.

Ricke: Sarkozy ist ja noch nicht Ratspräsident, noch ist das Angela Merkel. Kommt denn dieser Vorstoß zur rechten Zeit?

Brok: Nun, er hat diesen Vorschlag schon während des Präsidentschafts-Wahlkampfes gemacht, und es ist immer klar gewesen, dass er nicht für die Mitgliedschaft ist, hat dieses stets zum Ausdruck gebracht, aber wir müssen uns fragen, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund der innenpolitischen Entwicklung in der Türkei es wichtig ist, dass der Eindruck entsteht, dass eine Tür zugeschlagen wird.

Ricke: Na ja, dieser Vorschlag ist ja vielleicht eine schallende Ohrfeige, vielleicht eine zugeschlagene Tür für die Türken, die sich ja seit Jahrzehnten bemühen um den Beitritt, die sich wirklich angestrengt haben, die sich auch an Haupt und Gliedern reformiert haben. Bricht Sarkozy hier ein Versprechen der alten Europäer?

Brok: Also er selbst bricht kein Versprechen, weil er immer seine Position klargemacht hat, dies ist ja auch die Position der Bundeskanzlerin, die letztlich die privilegierte Partnerschaft vorgeschlagen hat. Dies ist mehr ein Frage des Verfahrens. Die Türkei ist ein unglaublich wichtiges Land für uns. Wir müssen die europäische Perspektive dort aufrechterhalten, damit der innere Reformprozess fortgesetzt wird, aber gleichzeitig müssen wir uns natürlich auch fragen, ob die Türkei nicht zu groß ist, das Gebiet zu weit weg ist, dass die Europäische Union sich nicht übernimmt. Die Frage der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union muss hier sicherlich mitdiskutiert werden, damit die Europäische Union am Ende des Tages noch handlungsfähig ist.

Ricke: Was bedeutet das denn für die Beitrittsverhandlungen, soll man die jetzt abbrechen oder bis zum Sankt Nimmerleinstag fortführen?

Brok: Das Verhandlungsmandat ist ja ein offenes. Es soll für die Mitgliedschaft verhandelt werden, aber es könnten am Ende des Tages auch andere Lösungen gefunden werden, dass die türkische Perspektive hat, das heißt, die Beziehungen zur Türkei müssen nicht ausschließlich nur über die Vollmitgliedschaft geregelt werden. Und wenn man sieht, dass beispielsweise über die finanzwirksamen Kapitel – Agrarpolitik, Strukturpolitik – das Verhandlungsmandat sowieso erst ab 2014 mit den Verhandlungen begonnen werden kann, weil unter den heutigen EU-Regeln die Türkei zu teuer würde, dann weiß man, dass dies ohnehin eine sehr langfristige Sache ist. Und hier müssen wir allerdings sagen, dass man nicht ehrlich genug ist mit der Türkei. Die Perspektive ist nicht besonders gut, dass es eine Mitgliedschaft wird, der Eindruck wird aber erweckt, man wolle es, und das kann am Ende des Tages zu mehr Enttäuschung führen.

Ricke: Nun könnte man die Position beziehen, lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende - warum wagt das keiner?

Brok: Weil dieses, oder lassen Sie es mich so sagen: Ich war gegen den Beginn der Verhandlungen. Aber nachdem die Verhandlungen begonnen sind, muss man die Prozedur fortsetzen, damit man im Gespräch bleibt, damit diese Perspektive der Beziehung zur EU für die Türkei aufrechterhalten bleibt. Welche Wege man findet, um da rauszukommen, (…) sein. Der Vorschlag einer Mittelmeerunion, was Präsident Sarkozy jetzt vorgeschlagen hat, halte ich für den falschen Weg. Ich weiß nicht, ob es für die Türkei attraktiv ist, in einer Mittelmeerunion mit Ägypten und Marokko zu sein. Ich glaube, hier müssen wir eine andere Lösung finden, um unterhalb der Vollmitgliedschaft die Beziehung zu entwickeln.

Ricke: Das ist ja die Frage auch, wohin könnte sich die Türkei orientieren. Ist es nur Marokko und Ägypten, oder ist es vielleicht Syrien oder der Iran? Das sind Mächte in der Region, und geopolitisch kann natürlich eine zugeworfene Tür da durchaus Ergebnisse bringen, die vielleicht nicht gewollt sind in Europa. Was ist hier zu befürchten?

Brok: Das ist genau der Punkt. Eine Türkei, die relativ demokratisch und rechtsstaatlich ist, ist natürlich von ungeheurer Bedeutung für uns, wenn man auf die Landkarte schaut. Die Türkei ist deswegen wahrscheinlich heute geostrategisch wichtiger für uns als zur Zeit des Kalten Krieges. Und aus diesem Grunde müssen wir die Türkei an Bord halten, auch wenn wir es mit der Vollmitgliedschaft nicht schaffen, müssen wir andere Wege bringen. Und hier sehen wir, (…)auch andere Länder vor der Tür haben, bei der sich die EU – nehmen wir die Ukraine, Moldawien usw., da stellt sich die Frage, ob man nicht hier eine Konzeption eines europäischen Wirtschaftsraum plus schafft, indem diese Länder näher an die Europäische Union herangeführt werden, indem sie am Binnenmarkt zum Teil teilnehmen können, die Türkei ist schon in der Zollunion mit der Europäischen Union, Fragen der äußeren und internen Sicherheit des Umweltschutzes und vieles mehr. Oder lassen Sie es mich so sagen, dass man versucht, so etwas wie eine Norwegen-Lösung für diese Länder zuwege zu bringen.

Ricke: Ein Land ist noch nicht angesprochen, ein Land, das zeitgleich mit der Türkei verhandelt, das ist Kroatien. Kann man das tun, der Türkei sozusagen endgültig die Knüppel zwischen die Beine zu werfen und Kroatien dennoch in die EU hineinzuführen?

Brok: Deswegen habe ich ja gesagt, nicht, dass sie nicht endgültig zumachen, deswegen sollte der Verhandlungsprozess jetzt fortgesetzt werden über die verschiedenen Kapitel, die ja zum Teil (…) noch nicht abgeschlossen werden können, weil die Türkei das Zypernproblem so handhabt, wie es es handhabt. Kroatien ist ein kleines Land, das unmittelbar an der Europäischen Union anschließt und das von daher nicht dieselbe Bedeutung für die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union hat. Aber auch hier müssen wir sagen, das hat man im europäischen Parlament deutlich gemacht: Ohne den Verfassungsvertrag, der jetzt in anderthalb Wochen auf dem europäischen Gipfel verhandelt oder in zwei Wochen auf dem europäischen Gipfel verhandelt werden muss, wird gar nichts gehen. Die Europäische Union muss sich reformieren, um in der Lage zu sein, nach der Erweiterung, zwölf Länder, jetzt doch einen Erweiterungsprozess fortzuführen. Und ich glaube, wir brauchen auch eine Phase der Konsolidierung, um uns wirklich wieder fit zu machen, Handlungsfähigkeit zu bekommen, Legitimation zu bekommen, bevor wir große Erweiterungsschritte machen. Kroatien ist hier eine Ausnahme.

Ricke: Vielen Dank, Elmar Brok.