Broadway nach Corona-Lockdown

Neustart geprägt von schwarzen Autorinnen und Schauspielern

05:20 Minuten
Das August Wilson Theatre in New York bei der Wiedereröffnung Anfang August 2021.
Zutritt nur mit Maske und Impfzertifikat: Das August Wilson Theatre hat die Broadway-Saison eröffnet. © Deutschlandradio / Barbara Behrendt
Von Barbara Behrendt · 07.08.2021
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Nach 17 Monaten Kultur-Lockdown gab es am New Yorker Broadway endlich wieder eine Theateraufführung live zu erleben. Damit ist eine Saison eröffnet, die von so vielen schwarzen Künstlerinnen und Künstlern geprägt sein wird wie keine zuvor.
Die 52. Straße hat sich vor dem August Wilson Theatre in eine große Party verwandelt. Hunderte von Menschen feiern die Wiedereröffnung des Broadways, DJs spielen und der Star des Abends spricht vom Balkon zu seinem johlenden Publikum: "Wir haben gearbeitet", sagt die Autorin Antoinette Chinonye Nwandu in einem orangefarbenen Kleid, in dem sie herrlich leuchtet wie ein Goldfisch, "und jetzt sind wir gemeinsam hier, um die Geschichte von der schwarzen Freude zu erzählen."

Große Sehnsucht nach Theater

Mit ihrem Stück "Pass Over" ist der Broadway wiedererwacht – für die New Yorker gleich zwei Gründe zu feiern. Zum einen ist da natürlich die Erleichterung, nach einer extrem traumatischen Coronakrise mit mehr als 53.000 Toten ins Kulturleben zurückzukehren.
"I can't wait!", sagt Theaterbesucher Adrian noch vor der Vorstellung. Und da er geimpft sei, fühle er sich sicher. Nur wenige Tage vor der ersten Show hatte die Stadt Maske und Impfzertifikat zur Bedingung für den Broadway gemacht. Bei Liz, über 60, sind es sogar zwei Masken, die sie übereinander zieht. Wahrscheinlich, hätte sie auch ohne Impfpflicht den Besuch gewagt, sagt sie, so sehr sehne sie sich nach Theater.
Ganz ausverkauft sind die Shows nicht – vielen Menschen scheint der Theaterbesuch noch nicht geheuer. Kein Wunder, in New York werden derzeit täglich mehr als 1300 neue Corona-Fälle bekannt. Diejenigen, die gekommen sind, feiern aber nicht nur das Ende des Kulturlockdowns, sondern vor allem das Stück und seine Schauspieler.

Stück über strukturellen Rassismus in den USA

Mit "Pass Over" eröffnet das Drama einer schwarzen Autorin mit einem schwarzen Cast den Broadway, das sich dezidiert mit strukturellem Rassismus, Polizeigewalt, Segregation auseinandersetzt. Nicht in Form eines fernsehrealistischen Wohnzimmerstücks, wie das die deutsche, vorurteilsbelastete Kritikerin erwartet hatte - sondern als eine Art Gangster-Beckett:
Zwei schwarze, sozial abgehängte Jungs warten unter einer Straßenlaterne vergeblich darauf, dass sich die Welt verändert, die Polizisten sie nicht mehr jagen und sie ihr Viertel verlassen und ins Gelobte Land ziehen können, wo Kaviar und Champagner serviert werden.
Die Figuren Kitch und Moses sind ein Paar wie Estragon und Wladimir in "Warten auf Godot". Der weiße "Mister Master", der aus einem Picknickkorb gönnerhaft Delikatessen verteilt, erinnert an Herrn Pozzo. Die Bedrohung durch den Police-Officer, der mit Pistole und Schlagstock ums Eck biegt, ist dann allerdings real. Und mit der Frage des weißen Muttersöhnchens, weshalb Schwarze das N-Wort benutzen dürfen, er aber nicht, kommt noch ein virulentes Debattenthema auf.
Das Stück ist kein Meisterwerk. Aber wie Nwandu Sprache als identitätsprägendes Merkmal einführt, wie sie Amerikas Rassismus in einer tragikomischen Parabel, einem skurrilen Märchen verhandelt – und wie die Schauspieler Jon Michael Hill und Namir Smallwood daraus eine liebevolle Comedy entstehen lassen, das ist mitunter bewegend.

Die Seltsamkeiten des US-Theaters

Auch deshalb hatte der junge, schwarze Schauspieler Al, der im Publikum saß, das Gefühl, einem historischen Moment beizuwohnen. "Für mich als schwarzem Mann in den Vereinigten Staaten ist das eng mit dem verbunden, was schon ewig Thema ist – aber vor allem in den vergangenen anderthalb Jahren durch die 'Black Lives Matter'-Bewegung." Es sei "so bedeutsam, dass es schwarze Stimmen am Broadway gibt".
Bis zur Premiere kann sich allerdings noch einiges ändern. Denn die ersten Wochen am Broadway läuft eine Inszenierung lediglich als "Preview". Überhaupt gehört zu den Seltsamkeiten des amerikanischen Theaters, welche Wege eine Produktion nimmt. "Pass Over" ist 2017 in Chicago uraufgeführt worden. In der damaligen Fassung wird Moses erschossen – ein hartes, aufrüttelndes Drama, das vom Filmregisseur Spike Lee gefilmt wurde. Dann wanderte es ans Lincoln Center in New York. Für den Broadway hat die Autorin nun ein empowerndes, softes, aber auch skurriles Ende entworfen: Schwarze und Weiße entschwinden gemeinsam nackt im Paradies.
Der Weisheit letzter Schluss ist das nicht. Doch in der neuen Saison werden am Broadway noch sechs weitere Stücke von schwarzen Autorinnen und Autoren zur Premiere kommen – eine Sensation.
Eine kleine Sensation ist dann auch der Schlussapplaus – für amerikanische Verhältnisse. Erstaunen in den sozialen Medien, dass die Schauspieler ein zweites Mal auf die Bühne kommen müssen: mehr als zwei Minuten Applaus! Für die deutsche Zuschauerin ein Witz – für die Amerikaner eine halbe Ewigkeit. So groß also war die Begeisterung!
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