Britischer Fußballtourismus

Alte Försterei statt Anfield

29:10 Minuten
Die Fans von Union Berlin im Stadion Alte Försterei, alle mit Fan-Schals
Hier wird noch gesungen, getrunken, gefeiert: Die Fans von Union Berlin im Stadion Alte Försterei. © picture alliance / dpa / Koch/Eibner-Pressefoto
Von Thomas Jaedicke · 30.05.2019
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Immer mehr britische Fußballfans fliegen extra für ein Fußballspiel nach Berlin. Denn dort gibt es noch billige Stehplätze und Bier im Stadion und es wird laut gesungen. Nach dem Aufstieg von Union Berlin fragen sich viele, wie lange wohl noch.
Ein milder Frühlingssonntag im April. Leichter Nieselregen fällt vom grauen Himmel über der Alten Försterei. Die Zweite Liga geht in die entscheidende Phase der Saison. Union Berlin mischt kräftig mit im Aufstiegsrennen. Heute Mittag ist der Hamburger SV zu Gast im Ostberliner Bezirk Köpenick. Ein Spitzenspiel. Das Stadion, seit Wochen restlos ausverkauft, brummt schon vor dem Anpfiff.
Tickets werden nur noch auf dem Schwarzmarkt gehandelt. 300 Euro muss man dafür locker machen. In den vergangenen Jahren haben die Unioner kräftig aufgerüstet: 22.500 Zuschauer passen jetzt in das erweiterte Stadion.
Doch noch immer gibt es reine Stehplatztribünen. Der Berliner Arbeiterklub, gegründet 1920, möchte seine Wurzeln nicht verlieren. Das Image des unbequemen Underdogs, zu DDR Zeiten im Schatten des übermächtigen Stasivereins Dynamo immer klein gehalten, soll möglichst auch in der Bundesliga nicht zur profitorientierten Folklore verkommen.

Schwieriger Mix aus Erfolg und Tradition

Erfolg und Tradition, diesen schwierigen Mix wollen die Köpenicker hinkriegen. Einen ähnlich harten, kaum zu gewinnenden Identitätskampf, wie ihn zum Beispiel auch der ehemalige Kiezklub St. Pauli führt, würde sich Union gerne ersparen. Aber geht das überhaupt? Erfolg auf diesem Niveau braucht Umsatz und Gewinn. Und der ist ohne Konzessionen an die Gesetze der modernen Fußballindustrie wohl nicht zu haben. Schon jetzt wirken die Loblieder auf die Eisernen Schlosserjungs aus Oberschöneweide ein bisschen überstrapaziert.
Der Berliner Damir Kreilach bedankt sich nach dem Spiel bei den Fans vom 1. FC Union Berlin. Hinter ihm das Vereinsmaskottchen "Ritter Keule".
Der Berliner Damir Kreilach bedankt sich nach dem Spiel bei den Fans vom 1. FC Union Berlin. Hinter ihm das Vereinsmaskottchen "Ritter Keule".© picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Ross Dunbar ist Schotte. Seit zwei Jahren arbeitet er für Union. Zweieinhalb Stunden vor dem Spiel treffe ich ihn auf dem Stadionparkplatz.
Anders als bei St. Pauli spielt Politik für die Unionfans keine große Rolle, hier geht es eher um das authentische Fußballerlebnis. Da ist sich Ross Dunbar sicher. Als der Klub einen englischen Muttersprachler suchte, der sich um die wachsenden Fanszenen in Großbritannien und Skandinavien kümmern sollte, hat er nicht lange gezögert. Seit fünf Jahren lebt der gebürtige Glasgower jetzt in Berlin.

Ein Stehplatz für neun Euro

Unions Fankultur ist nach Ross Dunbars Meinung so stabil, dass sie nicht in irgendeine Form von durchkommerzialisierter Folklore abrutschen wird. Er denkt, sie müssen in Köpenick einfach nur aufpassen, dass die direkte Verbindung zu den Fans nicht verloren geht.
In der englischen Premier League, der teuersten Liga der Welt, fühlen sich dagegen immer mehr Fans einfach nicht mehr wohl. Wer zum Beispiel beim FC Liverpool laut Sportportal spox im Schnitt 73,50 Euro für ein Ticket hinblättern muss, überlegt wahrscheinlich eher zwei Mal, ob er überhaupt noch ins Stadion geht.
Eine Umfrage unter 1000 18- bis 24-jährigen in Großbritannien lebenden Fußballfans ergab: Für satte 82 Prozent sind es die Ticketpreise, die sie davon abhalten, häufiger ins Stadion zu gehen. Deswegen zieht es britische Fans, die ein authentisches Stadionerlebnis suchen, immer öfter ins Ausland. Wie viele es bei Union pro Spiel sind, kann Ross Dunbar nicht genau sagen. 100 bis 200 werden es ungefähr sein, die extra einfliegen, um die Eisernen live im Stadion an der Alten Försterei zu erleben, wo ein Stehplatz schon für neun Euro zu haben ist.
Ross, der zu Hause an Sitzplätze und Alkoholverbot in britischen Stadien gewöhnt war, hat die Atmosphäre bei Union, wo man wie in allen anderen deutschen Fußballstadien sein Bier mit auf die Tribüne nehmen kann, einfach umgehauen.

Ein Fußballwochenende für 100 Euro

Bier im Stadion und ein Fußballwochenende in Berlin für 100 Euro, das ist für die meisten britischen Fußballtouristen eine unschlagbare Kombination. So sieht es Ross Dunbar. In Großbritannien wird man dieselbe Summe dagegen schon locker bei kleineren Premier League Klubs oder Zweitligisten los, bekommt dafür aber eben nur ein Spiel und weder die Reise noch das ganze Drumherum. In der Bundesliga würde Union das Stadion jetzt noch einmal vergrößern, auf 40.000 Plätze.
Vogelperspektive auf das Stadion Alte Försterei, Heimat des 1. FC Union Berlin, in der Wuhlheide im Stadtbezirk Köpenick.
Heimat des 1. FC Union Berlin: die Alten Försterei in der Wuhlheide im Stadtbezirk Köpenick.© picture alliance / dpa / Thomas Uhlemann
Das könnte die Attraktivität für ausländische Fans noch weiter steigern. Aber 5000 Briten pro Spiel? Dann könnten die Berliner Fans richtig sauer werden, weil sie kaum noch an Tickets kämen. Das würde selbst Unions "eiserne" Identität nur schwerlich verkraften, gibt Ross Dunbar zu.
Was im Stadion passiert, spiegelt die gesellschaftliche Entwicklung wider, sagt Ross Dunbar. Wenn 20 Leute aus Asien oder Amerika zu einem Spiel in einer Fußballhochburg wie Sunderland oder Newcastle gehen, dann fällt das nicht weiter auf. Das gleiche gilt natürlich auch für Union. Wenn die Fußballtouristen mitsingen und die Vereinsfarben tragen, ist das kein Problem. Wenn sie sich aber bloß mit einem Selfiestick in die Fankurve der Ultras stellen, schon.
Zwei Stunden vor dem Anpfiff gibt es vor der Union Tankstelle, einer um ein paar Bierstände erweiterten Imbissbude in Stadionnähe, ein riesiges Gedränge. Unionfans treffen sich hier, um vor dem Spiel noch ein bisschen zu quatschen und Bier zu trinken. Ich bin mit John Richter verabredet. John, den ich über Twitter gefunden habe, war eingefleischter Liverpoolfan. Doch er geht nicht mehr ins legendäre Stadion an der Anfield Road: zu teuer, keine Stimmung, nur Sitzplätze. Authentische Fankultur? Fehlanzeige.

Kein Fan mehr, nur noch Kunde

John, kurze graue Haare, trägt unter seiner schwarzen Jacke ein rotes Union-Trikot, darüber einen rot-weißen Union Schal. Er liebt es richtig laut, wenn das Stadion vor Emotionen kocht, wenn 90 Minuten ohne Unterbrechung gesungen wird. Beim FC Liverpool, der seit zwölf Jahren amerikanischen Geschäftsleuten gehört, fühlte er sich nicht mehr ernst genommen als Fan, war nur noch ein Kunde. Eine Nummer.
Gefrustet vom Kommerz stieß John Richter im Netz auf ein Union-Video, war begeistert, buchte einen Flug nach Berlin und verliebte sich sofort. Seit Anfang des Jahres ist er Vereins-Mitglied. Nur deswegen hat er überhaupt noch Karten fürs HSV Spiel bekommen. Zum zehnten Mal ist John Richter, der heute zum ersten Mal seinen Sohn Jonathan, ebenfalls mit rot-weißem Union-Schal ausgestattet, mitgenommen hat, jetzt extra für ein Union Spiel von England nach Deutschland geflogen.
John und Jonathan Richter mit Fan-Schals
John und Jonathan Richter gehen zu Union und nicht mehr zum FC Liverpool © Thomas Jaedicke
Auf dem Weg zum Stadion erzählt John, wie sehr Fußballtagestouristen, die, statt zu singen, nur noch Handyfilmchen machen, der Atmosphäre in Anfield schaden. Ein Problem, das Union auch drohen könnte: Je größer der Erfolg, desto mehr Aufmerksamkeit wird auch aus dem Ausland kommen. Besonders schlimm findet er Junggesellenabschiede in Verbindung mit Fußballwochenenden. In Großbritannien gibt es dafür eigene Anbieter. Letzten Endes geht es dabei nur darum, sich zu besaufen, klagt John.

Website mit Fangesängen

Ich musste John vor unserem Treffen versprechen, diskret zu sein. Viele Einheimische und besonders die Ultras sehen Tagestouristen wie ihn sehr kritisch. Unions schottischer Fanbetreuer Ross Dunbar hat das bestätigt. Aber der Ex-Liverpoolfan, der für seine neue Liebe noch nicht mal die Farben zu wechseln brauchte, versteht die Vorbehalte sehr gut. Er selbst sei keine Gefahr. Auf der Webseite "Union in Englisch", stehen die Fangesänge auf Deutsch. Ein paar von ihnen hat John Richter, dessen Vater Deutscher ist, inzwischen schon drauf.
Wäre es, um die besondere Union-Atmosphäre zu erhalten, nicht sogar besser, wenn Union in der Zweiten Liga bleiben würde? Das Für und Wider wurde nach den Spielen in der Kneipe rauf und runter diskutiert, sagt John. Wie kriegt man nach der Stadionerweiterung auch weiterhin die "richtigen" Leute ins Stadion, damit die tolle Stimmung so bleibt, wie sie ist? Der Liverpooler Union-Fan glaubt, dass Verein und Fanclubs dafür sorgen müssen, dass die neuen Fans die Union-Identität verstehen.
Nach zehn Minuten Fußweg durch den Wald kommt jetzt das Stadion in Sicht. Eine halbe Stunde vor Anpfiff staut es sich vor dem kleinen Eingangsbereich auf der Waldseite bedenklich. Wie vor den Startboxen beim Hunderennen kann sich immer nur eine Person in den engen Durchgang quetschen, um ins Stadion zu kommen. Das kostet Zeit und Nerven. Gott sei Dank, gleich sind wir durch.
"Das wird eng. Der Gang zur Kasse ist sehr eng. Jetzt quetschen wir uns hier durch. John ist vor mir, unter dem Kassenhäuschen. Jetzt kommen gleich die Kontrollen. Hallo!"
"Hallo."
"Sie kommen hier nicht rein. Der Sondereingang für die mit Arbeitskarte ist, wenn Sie hier weiterlaufen."
"Der Kollege, der ..."
"Nein, bei uns nicht."
"Ja, aber..."
"Bei uns ist nicht der Eingang!"
"Aber ich verliere dann meinen Kontakt hier."
"Ja!"
Unter Tausenden Fans in Sektion drei der aus allen Nähten platzenden Alten Försterei finde ich John und Jonathan natürlich nicht wieder. Über Whatspp verabreden wir, uns nach dem Spiel wiederzutreffen.

Wirklich dicht dran

Das Spiel ist spannend und die Stimmung intensiv. 90 Minuten lang wird gesungen. Weil die Alte Försterei ein reines Fußballstadion ist und ohne Laufbahn und anderen Schnickschnack auskommt, ist das Publikum wirklich dicht dran. Und diese Nähe verbindet. Die Gesänge der Fans, die selbst mitgeholfen haben, die Stadiontribünen zu bauen, entfalten unter deren vier Dächern eine ganz besondere Wucht. Ein Hexenkessel. Es ist diese spezielle Atmosphäre, diese Mischung aus Nähe und Emotionen, die eingefleischte Fans bindet und immer wiederkommen - und Typen wie John Richter extra aus Liverpool nach Köpenick kommen lässt. Union gewinnt. Ein wichtiger Arbeitssieg.
Während ich mich vom Stadion wegbewege, hört man im Hintergrund immer noch die Fans, die feiern, diesen 2:0-Sieg, der die Mannschaft ziemlich nah ranbringt an die erste Bundesliga. Und jetzt bin ich auf dem Weg mit den Fans zusammen, die sich zur S-Bahn bewegen durch den Wald hinter dem Stadion.
"Did you enjoy the game?"
"It was a very good atmosphere. I´ve thought, we could have played a little bit better, but we got the result"
"What was the best part of it today?
"The atmosphere was just fantastic."
"Did you sing?"
"Oh, yes. Fucking hell. I lost my voice a bit, because I was singing that much."
Ex-Liverpool- und Neu-Unionfan John Richter will auf jeden Fall wiederkommen. Sein Sohn Jonathan ist sich da noch nicht so sicher wie sein Vater. Wir verabschieden uns. Ich bleibe aber noch etwas im siegestrunkenen Gewusel vor der Abseitsfalle. Und plötzlich steht Lassi aus Lahti neben mir.

Kultort Alte Försterei

Lassi kommt schon seit fast 15 Jahren immer wieder aus Finnland, um Union spielen zu sehen. Aber jetzt will er nicht viel sagen: der Alkohol. 2005 war er das erste Mal da. Da spielte Union in der fünftklassigen Oberliga. Unüberdachter Stehplatz, 6000 Leute im Stadion, Regen. Für Lassi wurde die "alte" Alte Försterei schnell zu einem Kultort.
Seit Union 2001 im Uefa-Cup gegen Haka Valkeakoski spielte, haben die Köpenicker auch in Finnland einen Namen. Lassis Freunde vom FC Lahti haben ihm damals schon den Ostberliner Kultclub empfohlen. Lassi sagt, in den vergangen 20 Jahren ist alles viel größer geworden. Aber für ihn ist Union immer noch wie eine Familie. Und das wird auch nach einem Aufstieg in die Bundesliga so bleiben.
Lassi aus Lahti vor der Fankneipe
Unionfan Lassi aus Lahti kommt seit 2002 nach Köpenick© Thomas Jaedicke
"There is such a large community, so I believe, that Union will not loose itself."
Ein Brite, ein Finne – zwei Beispiele von vielen. Ein paar Hundert ausländische Unionfans sollen es sein, die extra für die Spiele nach Deutschland kommen. So hat es Unions schottischer Fanbetreuer Ross Dunbar eingeschätzt.
Ist diese Art von Fußballtourismus vielleicht inzwischen sogar ein richtiger Trend? Das will ich von Paul Musco wissen. Der 36jährige Engländer lebt seit dreieinhalb Jahren in Berlin. Eigentlich ist er Tourmanager für Bands. Sein Fußballfanherz schlägt für den englischen Amateurverein West Didsbury & Chorlton AFC aus Manchester. Vor einiger Zeit hatte Paul die Idee, für britische Fans Fußballwochenenden in Berlin zu organisieren. Flug, Hotel und ein paar Spiele, alles in einem Rundum-Paket. Berlinfootballweekends.

Fanreisen als Geschäftsidee

Wir treffen uns in der Fußballkneipe Panenka in Berlin-Friedrichshain. Der Barmann trägt Baker-Boy-Mütze, lange Koteletten und Fred Perry Shirt. Paul Musco sagt, dass Berlin ideal für seine Geschäftsidee ist. Es gibt nicht nur Hertha und Union, sondern noch ungefähr 50 interessante Amateurclubs. Außerdem wirke die Stadt noch immer wie ein Magnet, gerade für britische Fußballfans. In den vergangenen zwei, drei Monaten hat Paul mit verschiedenen Vereinen gesprochen, um sie für seine Berlinfootballweekends zu begeistern. Paul Musco hofft, rechtzeitig zur neuen Saison mit seiner Geschäftsidee am Start zu sein.
Paul Musco ist sich darüber im Klaren, dass seine Kundschaft eine ganz schön schräge Mischung werden könnte. Von Fans, die nur die bekannten Profiteams wie Hertha und Union sehen wollen bis zu richtigen Groundhoppers, bei denen es nur darum geht, so viele Stadien wie möglich zu sehen. Er selbst ist bei einem Junggesellenabschied, den er mit Freunden in Prag gefeiert hat, auf die Idee gekommen, mit den Fußballtouristen ein Geschäft zu machen. An jenem Wochenende in Prag haben sie drei Fußballspiele gesehen. Das letzte am frühen Sonntag Vormittag haben sie kaum noch geschafft, weil sie so einen schlimmen Kater hatten. In Großbritannien gibt es inzwischen schon einige Firmen, die in etwa das anbieten, was Paul jetzt mit ausländischen Fußballfans in Berlin vorhat.
Innenraum der Berliner Fußballkneipe Panenka.
Jeder Schal hat seine Geschichte in der Berliner Fußballkneipe Panenka.© Thomas Jaedicke
Paul erzählt von "Grounhopping UK", die einen Vertrag mit der Amateurliga hätten, in der seine Lieblingsmannschaft West Didsbury spielt. An Wochenenden sind Reisebusse, vollgepackt mit 200 Groundhoppern, unterwegs, um diese zu den Spielen zu bringen. Drei Spiele hintereinander, an einem Nachmittag. Anpfiff um eins, um drei und um fünf. Junggesellenabschiede, Massenabfertigung, Handyvideos. Das ist so ziemlich genau das, wovor es dem Liverpooler Unionfan John Richter so schrecklich graut. Besäufnisse bei beliebigen Vereinen und keine echten Emotionen oder Identifikation mit den Teams, die auf dem Rasen stehen. Auch Paul Musco sieht diese Gefahr. Er hofft aber, das etwas Anderes eintritt.
Vielleicht verliebt sich ja der eine oder andere bei so einem Fußballwochenende unsterblich in einen Verein. So, wie es Paul bei seinem Wochenende in Prag gegangen ist. Dann kommen die Leute vielleicht immer wieder und aus seiner Berlinfootballweekends-Idee könnte ein nachhaltiges Geschäftsmodell werden.

Kommerz killt Romantik

Aber kommen britische Fans wie John Richter, der nun schon zehn Mal zu Union-Spielen eingeflogen ist, denn hauptsächlich, weil sie vom durchkommerzialisierten Fußballzirkus einfach die Nase voll haben? Auch Paul Musco ist überzeugt, dass die meisten britischen Fußballtouristen vor allem nach Deutschland kommen, weil sie hier in den Stadien so viel Bier trinken dürfen, wie sie wollen.
Aber ist es wirklich so banal? Geht es am Ende doch nicht um Fußball-Romantik oder authentische Emotionen? Das wollte ich genauer wissen und bin nach Manchester geflogen. Letzter Premier League-Spieltag: Manchester United gegen Absteiger Cardiff. Laut spox-Portal liegt ManU mit einem durchschnittlichen Ticketpreis von 70,50 Euro nur knapp hinter dem FC Liverpool. Vor der Piccadilly Tavern im Stadtzentrum bringen sich Cardiff-Fans zwei Stunden vor Anpfiff in Stimmung.
"Cheap beer! Fucking cheap beer. Get cheap beer, And I'll be all there in not more than an hour!"
"So you would…"
"I would go there tomorrow, if the beer is cheaper."
Zusätzlich zum Reizthema Bier ärgern sich viele britische Fans über dieselben Themen wie deutsche Zuschauer: Zu viele unterschiedliche Anstoßzeiten wegen der kommerziellen Interessen der Fernsehsender, zersplitterte Spieltage und so weiter und so fort. Den Klubs geht es nur noch ums Geld, bringt es Tony Alley aus Cardiff im Gewimmel vor der Kneipe auf den Punkt.
"I tell you what. It would be a lot better, if we could go back to the old times, when it was like a three o´clock Kick off or maybe a midweek game like Sportsnight with Coleman and all that. Now it´s all being commercialized, like Sky, BT taking over like. They don´t think about the fans. The fans are the one´s, that love the Club. If they only think about money, you know, what I mean?"

Das Gegenmodell FC United

Wenn es den Klubs nur noch ums Geld geht und nicht mehr um die Interessen der Fans, dann drückt das natürlich auf die Stimmung. Nach der Übernahme von Manchester United durch die amerikanische Glazer-Familie gründeten frustrierte ManU-Fans 2005 den FC United of Manchester, einen basisdemokratisch geführten Verein. Hier gilt bis heute der eiserne Grundsatz: One member, one vote.
"What´s the Club there for? Is it just to win games? Or is it to pursue a vision, of how Football can be organized, involving all the supporters, the staff, the players, the coaches."
Andy Walsh hat den bis heute von Fans geführten Club vor 15 Jahren mit aufgebaut. Wir sitzen bei ihm zuhause im Wohnzimmer in Stretford, zwei Metrostationen entfernt vom Old Trafford, dem legendären Stadion von Manchester United.
Gerade ist der FC United wieder mal abgestiegen, in eine der regionalen Amateurligen. Man könnte in höheren Ligen spielen, aber dazu müsste ein größerer Etat her; die Trikotbrust an einen Sponsor verkauft werden. Doch die Basis hat immer wieder dagegen gestimmt. Der von Fans geführte Verein hat entschieden, dass ihre Unabhängigkeit unverkäuflich ist. Das ist Teil der Identität des FC United. Natürlich will der FC keine Gurkentruppe aufs Feld schicken. Aber gewinnen ist nicht alles. Es geht darum, eine größere Idee vom Fußball zu vermitteln, eine Philosophie, die alle einbindet: Fans, Betreuer, Spieler, Trainer. Andy Walsh ist stolz darauf, dass immer wieder Spieler, die woanders viel mehr hätten verdienen können, zum FC United gekommen sind, weil man sich im Klub um sie kümmert, weil die Fans sie nicht gleich ausbuhen, wenn sie mal verlieren.

Familien-Geist statt Kommerz

Mittlerweile hat der Verein im Stadtteil Moston, wo Menschen wohnen, die nicht so viel Geld haben, ein eigenes Stadion gebaut. Für acht Euro kann man dort einen schönen Fußballnachmittag erleben. Der FC United organisiert Spiele für jedermann, klopft in der Nachbarschaft an Türen, fragt, wie es geht. Nimmt alle mit, wie in einer großen Familie. In Moston also hat sich der Family-Spirit, den Unionfan Lassi aus Lahti unbedingt auch in Köpenick bewahren möchte, durchgesetzt. Andy Walsh ist davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist, Fußball zu spielen und zu leben.
Vor ein paar Jahren ist Andy Walsh beim FC United ausgestiegen. Basisdemokratie kann sehr anstrengend werden. Inzwischen versucht er, als Berater einer kleinen Agentur und in Kooperation mit dem Britischen Fußallverband, FA, mehr Unterstützer für die Idee der fangeführten Clubs zu gewinnen. Andy Walsh scheint damit einen Nerv zu treffen. Inzwischen gibt es in England 14 Klubs, die sich nach dem Vorbild des FC United of Manchester selbst organisieren.
Bei Union waren sie vor ein paar Jahren gedanklich eigentlich gar nicht so weit weg von diesem Modell, als die Fans freiwillig beim Bau der Tribünen mithalfen. Jetzt aber müssen sie irgendwie den Spagat zwischen Kommerz und Herzblut hinbekommen.
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