Britische Akten zur Wiedervereinigung

Kohl schätzte Thatchers Offenheit

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher und Bundeskanzler Helmut Kohl begannen am 21.2.1989 im Römer in Frankfurt am Main ihre Beratungen im Rahmen der 19. deutsch-britischen Konsultationen.
Die britische Premierministerin Margaret Thatcher und Bundeskanzler Helmut Kohl begannen am 21. Februar 1989 im Römer in Frankfurt am Main ihre Beratungen im Rahmen der 19. deutsch-britischen Konsultationen. © picture alliance / dpa / Wolfgang Eilmes
Von Friedbert Meurer · 30.12.2016
Die britische Regierung legt ihre Akten aus den Umbruchsjahren 1989/90 offen. Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher lehnte die deutsche Einheit zunächst ab - aus Sorge um den Reformprozess in Osteuropa und einem zu mächtigen Deutschland.
Am 25. März 1990 fand sich auf Einladung Margaret Thatchers eine illustre Runde prominenter britischer und US-Historiker in Chequers ein, dem Landsitz der Premierministerin. Fritz Stern, Gordon Craig und Timothy Garton Ash ergründeten in Gegenwart von Margaret Thatcher die deutsche Seele. Die Historikerin Juliette Desplat vom britischen Nationalarchiv:
"Auf der Agenda stand: Wer sind die Deutschen? Haben sie sich verändert? Oder wird ein vereinigtes Deutschland Osteuropa beherrschen? Thatcher wollte wissen, wie die Deutschen ticken."

Unsensibel und aggressiv, aber wollen geliebt werden

Die Deutschen seien unsensibel gegenüber ihren Nachbarn, vor allem den Polen, sie litten unter einem Minderwertigkeitskomplex, seien aggressiv, wollten aber gleichzeitig geliebt werden. Aber die meisten in der Runde glauben fest daran, dass sich die Deutschen geändert hätten. Die meisten, also nicht alle.
Eine Woche danach kam es in Cambridge zu einem deutsch-britischen Gipfel. Das Protokoll gerät ins Schwitzen. Der Vorsitzende der deutsch-britischen Königswinter-Konferenz Oliver Wright wird sicherheitshalber beim Dinner zwischen Helmut Kohl und Margaret Thatcher platziert. Thatcher bedingt sich ausdrücklich aus, nicht mit Kohl im gleichen Wagen anschließend nach London fahren zu müssen. Kohl hate nicht vergessen, was sie beim Gipfel der Europäischen Gemeinschaft in Straßburg am 8. Dezember 1989 gesagt hatte.
"Als Margaret Thatcher dann 1989 im Dezember in der berühmt gewordenen Sitzung der EG in Straßburg unter Vorsitz übrigens von Francois Mitterrand nachts voller Zorn heraus presste: 'Zweimal haben wir sie geschlagen, jetzt sind sie wieder da.' Das war bezogen auf die Deutschen."
Vieles weiß man, seitdem die Akten des britischen Außenministeriums vor sechs Jahren geöffnet wurden. Die jetzt freigegebenen Akten der Premierministerin in London zeigen auch mit dem Finger eher auf den damaligen französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand. In Straßburg beklagte der sich bei Thatcher, Kohl habe kein Gespür für die Empfindsamkeiten der anderen.
"Es kann schon sein, dass Margaret Thatcher beunruhigt war, Deutschland könne wieder zu mächtig werden. Aber diese Angst ist zumindest am Anfang sehr stark von Francois Mitterand geschürt worden."
Thatcher hatte vor allem Sorge, dass Michail Gorbatschow über die deutsche Einheit zuhause stürzen könnte. Das würde den gesamten Reformprozess in Osteuropa in Frage stellen. Thatcher beschwerte sich umgekehrt, nicht vorab von Helmut Kohl zu dessen Zehn Punkte-Plan konsultiert worden zu sein. Punkt Nummer zehn darin lautete: Die Wiedervereinigung bleibt das politische Ziel der Bundesregierung.

Kohl beklagte feindselige Stimmung

Nationalarchivarin Juliette Desplat: "Kohl fühlte sich äußerst geächtet kurz danach beim Gipfel in Straßburg. Die Stimmung ihm gegenüber sei sehr feindlich gewesen. Vielleicht war das etwas so, aber Kohl übertrieb da wohl doch."
In den Akten finden sich auch Gemeinsamkeiten zwischen den beiden konservativen Politikern. Thatcher sah vorübergehend die Gefahr, dass ganz Deutschland eine sozialistische Regierung bekomme. Kohl schimpfte in ihrer Gegenwart, unter Bundeskanzler Willy Brandt sei die deutsche Nationalhymne faktisch abgeschafft worden. Die linken Ideen des Philosophen Herbert Marcuse, viel gelesen von der Studentenbewegung, seien wie ein Virus. Er, Kohl, werde dafür sorgen, dass dieses Fieber ausgeschwitzt werde. Kohl schätzte Thatchers Offenheit.
Am Ende kamen sie aber doch miteinander aus, zieht Juliette Desplat vom britischen Nationalarchiv ihr Fazit. Beide hätten dann gemeinsam eine klare Struktur für ein wiedervereinigtes Deutschland aufgebaut.
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