Brisante Liebesbeziehung

"Ich möchte Dich als Frau haben"

Der österreichische Komponist Gottfried von Einem ist 1996 gestorben.
Der österreichische Komponist Gottfried von Einem ist 1996 gestorben. © picture-alliance / dpa
Von Richard Schroetter · 25.12.2013
Der österreichische Komponist Gottfried von Einem schrieb vor seinem Tod eine Biografie, in der er die brisante Liebesbeziehung zu seiner siebzehnjährigen Nichte Andrea verschwieg. Sie hat nun die frühe Korrespondenz mit ihrem prominenten Onkel herausgegeben.
Dienstag, 1. Mai 1962
A(ndrea), ich liebe Deine stillen, sinnbegabten Augen. Ich weiss, dass ich Dich störe, wie ich weiss, dass Du mir gut tust. Hätte ich Dir Deine Hände wärmen können! Liebe! Ich habe seit Deiner Abreise an Dich viele Briefe geschrieben; gedachte; der kürzeste davon ist dieser. Sei zugetan! G(ottfried)
So in guter alter (ja geradezu klassischer) Doublebind-Manier beginnt der Briefwechsel zwischen dem vierundvierzigjährigen in Wien ansässigen Komponisten Gottfried von Einem und seiner siebzehnjährigen Nichte Andrea aus dem Westerwald.
Der Blacher-Schüler von Einem - geboren 1918, also im selben Jahr wie Leonard Bernstein oder Bernd Alois Zimmermann - gehörte nach 1945 zu den großen Hoffnungsträgern unter den jungen österreichischen Komponisten.
Mit seiner Oper Dantons Tod hatte er sich im offiziellen konservativen Musikbetriebs als Vermittler zwischen Tradition und Moderne erfolgreich positioniert. Ein Jahr später, 1948, wird der Dreißigjährige Mitglied und Berater der Salzburger Festspiele. Mutig setzt(e) er sich für den damals staatenlosen Bertold Brecht ein, den er nach Österreich zu holen versucht(e) - vergeblich allerdings.
Trotz gelegentlicher Anfeindungen stieg von Einem, von den Wienern spöttisch „der Eine“ genannt, im offiziellen Kulturbetrieb immer höher. Er saß in vielen Gremien und leitete bis 1972 eine Kompositionsklasse. Der jungen nachwachsenden Generation missfiel dieser Mann, der sich über Adorno, Nono und Stockhausen lustig machte.
Die Affäre mit seiner Nichte Andrea beginnt mit einem Bombardement von Telefonaten und Briefen. Schon nach kurzer Zeit fällt das „explosive Sätzchen“: Ich liebe Dich. Das ist kein Ausrutscher, sondern Bekenntnis.
Hab, Liebstes, keine Angst, dass ich Dich "erziehen" will; wir erziehen einander durch die Gewalt des kurzen Lebens. Dein Brief hat mich wie ein Donnerkeil getroffen. Mich sehen? Was ist an einem Mann von 44 Jahren zu sehen als dass Du 17 ½ bist? Und? Ich schäme mich meines Alters nicht und nicht der Tatsache, dass ich ein junges Mädchen liebe. Ich bedauere aber, dass dieses - herz- und verstandbegabt wie es zu sein scheint - nicht weiss und sich nicht bemüht mit seinem verfluchten Schülerinverstand eine Möglichkeit zu schaffen, wie wir uns verständigen können.
"Freundschaft ist mir nicht möglich"
Er zieht alle Register. Und gelegentlich gibt er auch mit seinen beruflichen Verbindungen an.
Ich habe eben mit Gründgens und Marianne Hoppe gegessen. Es war nett und amüsant, da beide intelligente Menschen sind ... Ich habe an Dich gedacht - ach, ich tu's doch den ganzen Tag - und versuchte mir vorzustellen, mit welchen Erinnerungen wir enden werden. Ich weiss manches von Dir, kenne Dich aber nicht. Du hast einen klaren Verstand, hast grosse Sinnenkraft und Leidenschaftlichkeit, dazu den Blick für Wesentliches; ich glaube nicht, dass Du auf Geschwätz hereinfällst. .... Heute abend gehe ich in den von Balanchine inszenierten Ballettabend und treffe Ingmar Bergman, den grossen schwedischen Filmregisseur. - - Müde Dein G.
Als seine Nichte ihm nicht Liebe, sondern Freundschaft anbietet, reagiert er empfindlich:
Andrea, mein! NEIN! Freundschaft ist mir nicht möglich. Ich liebe Dich.
Das alles sorgt für Irritation. Es schalten sich Andreas Eltern ein und versuchen den Kontakt mit dem berühmten Wiener Onkel so weit es geht einzuschränken. Unbeeindruckt schreibt der prominente Künstler.
Deine Eltern wissen, dass ich Dich liebe, wünschen aber zwischen uns keine Verbindung, auch keinen Briefwechsel. ... Ich bezweifle die gute Absicht Deiner Eltern nicht. Doch Liebe läßt sich nicht durch Ge- und Verbotsregeln zügeln.
Er meinte es ernst. Ich möchte Dich als Frau haben, schreibt er ihr. Mein Leben ist endlich.
Die jugendliche Adressatin mag zwar ihren Liebhaber, aber heiraten will sie ihn nicht. Im Juli 1965 bricht die strapaziöse Beziehung ab. Eine andere Frau tritt in Von Einems Leben, die er ein Jahr später heiratet. 376 Briefe hat der Komponist an seine Nichte geschrieben. Stürmisch verliebte, drohende, umschmeichelnde und belehrende. Sie alle stehen psychoanalytisch gesprochen im Zeichen des Bemächtigungstriebs: der Künstler - das Genie hat immer recht.
Sehr nüchtern und förmlich hat die einst so leidenschaftlich Umworbene die an sie gerichtete Korrespondenz nun nach fast einem halben Jahrhundert herausgegeben und kommentiert. Man hätte eigentlich erwartet, dass Andrea von Wiedebach mehr über ihren großen narzisstischen Onkel zu erzählen hat. Normalerweise löst ja das Lesen alter wiedergefundener Dokumente einen Erinnerungsprozess aus. Hier jedoch nicht – es scheinen eher die Abwehrmechanismen zu überwiegen.
Man hat das Gefühl, dass, ob nun aus Rücksicht und Diskretion oder aufgrund einer tiefer sitzenden Verletzung, die heiklen Aspekte dieser Beziehung eher unangetastet bleiben. So bleibt der Leser unschlüssig: "War's eine gute oder eher eine fragwürdige Geschichte?

"Gottfried von Einem: Du und ich sind ein Einfall - Briefe an Andrea"
Herausgegeben von Andrea von Wiedenbach
Zsolnay-Verlag, Wien 2013
400 Seiten, 24,90 Euro