Briefwechsel

Korrespondenz der Förmlichkeit

Von Edelgard Abenstein · 03.04.2014
Die Schriftsteller Alfred Andersch und Max Frisch verband neben dem Pfeiferauchen auch eine Nachbarschaft in einem Dorf im Tessin. Der jetzt erschienene Briefwechsel zwischen den beiden Autoren zeigt die Spannungen zwischen den streitbaren Geistern auf.
Zuviel Nähe schadet der Freundschaft. Zumindest dann, wenn man einzelgängerisch veranlagt ist und sich kein bisschen aus dem Weg gehen kann wie in einem Tessiner 80-Seelen-Dorf, hoch über dem Lago Maggiore.
Kennengelernt haben sie sich 1957 im Zürcher Café Odeon. Alfred Andersch, Mitbegründer der Gruppe 47, Autor und Rundfunkredakteur, bittet Max Frisch für eine Lesung um einen Auszug aus "Homo faber", der kurz vor der Veröffentlichung steht.
Bald kommt man sich auch privat näher, tauscht Wohnungen in Rom, wo beide sich gern aufhalten. Andersch, der mit Ingeborg Bachmann, Frischs damaliger Lebensgefährtin, befreundet ist, gewöhnt sich schnell an deren Nachfolgerin, und er gibt Frisch den Tipp, sich neben ihm in dem Bergdorf Berzona anzusiedeln, wo er seit 1958 mit seiner Familie wohnt. Nun leben sie "1000 Schritt auseinander", teilen eine Garage, gelegentlich den Frisch'schen Swimmingpool.
Kühle Förmlichkeit
Abgesehen davon, dass bei soviel räumlicher Nähe Briefe nur gewechselt wurden, wenn einer der beiden auf Reisen war, zeigt die schmale Korrespondenz doch eine kühle Förmlichkeit, wie man sie von Max Frisch zumal nicht kennt. Dabei hatte der neue Lebensabschnitt mit einer für den spröden Andersch ungewöhnlich euphorischen Nachricht (an Enzensberger) begonnen: Man werde sich "an den Gedanken gewöhnen müssen, dass die deutsche Literatur in Zukunft in Berzona" stattfinde.
Vielleicht waren die beiden trotz erklärter politischer Zeitgenossenschaft einfach zu verschieden. Andersch, der traditionelle Erzähler, kann mit Frischs Vorliebe fürs Fragmentarische wenig anfangen. Genauso wenig wie mit dem grässlichen literarischen "Zirkus". Als Gast der Akademie der Künste in West-Berlin schimpft er über die "unsäglichen Leute, die hier Literatur spielen" (Johnson, "ein pedantischer Lümmel"), während Frisch sich gerne hofieren lässt, in New York, Rom oder in Frankfurt bei Suhrkamp-Gelagen. Allerdings findet Frisch selbstkritisch, er trinke und rede zuviel, bei solchen "Anfällen epileptischer Offenheit" möge ihm der maßvolle Andersch künftig, "einfach einen Kübel Wasser über den Kopf gießen".
Undatierte Aufnahme des deutschen Schriftstellers Alfred Andersch.
Alfred Andersch© picture-alliance / dpa
Artige Lobrede auf Andersch
Andersch, strenger, spröder als der verspielte Melancholiker Frisch, und bald schon schwerkrank, ist in der Beziehung der Sensiblere. Er gehört zwar zu den bekannten Namen in der deutschen Nachkriegsliteratur, doch mit dem internationalen Erfolg des Auflagenmillionärs Frisch kann er nicht mithalten. So spielen auch Konkurrenzgefühle eine Rolle, die Frisch mit Geldgeschenken ("ich habe sehr viel, mehr als anständig") auszugleichen sucht.
Zum Bruch kommt es 1971, als Andersch sich durch einen Text, den Frisch für sein kurz vor der Veröffentlichung stehendes Tagebuch geschrieben hat, zutiefst gekränkt fühlt. Das Zerwürfnis treibt Frisch, wie mehrere gleichfalls dokumentierte Tagebuchnotizen zeigen, lange um, bis eine "zweite Freundschaft" sich anbahnt, gipfelnd in einer artigen Lobrede auf Andersch zu dessen 65. Geburtstag. Da sind die beiden längst keine Nachbarn mehr, da lebt Frisch in Berlin und New York.

Alfred Andersch, Max Frisch: Briefwechsel
Herausgegeben von Jan Bürger
Diogenes-Verlag, Zürich 2014
186 Seiten, 19,90 Euro

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