Briefträgerparadies aus prallen Brüsten

20.05.2011
Der Schauspieler Matthias Brandt liest den "Mann mit der Ledertasche" von Charles Bukowski mit zärtlicher Abgebrühtheit in der Stimme, ganz wie es sich für dieses Buch gehört und so, als fühle er sich sehr wohl mit der Sprache Bukowskis. Die nämlich macht keine Mätzchen, dreht keine Pirouetten, ganz unten ist Ende der Show. Also geht’s umweglos zur Sache.
Ein Briefträgerparadies aus prallen Brüsten und dicken Hintern schwebt Chinaski vor, und so schafft er bald sämtliche Prüfungen für den Aufstieg vom Aushilfsbriefträger zum festangestellten. Dann aber kommt wieder mal so ein Anfall schlechter Laune über ihn und er nimmt sich eine Auszeit – zusammen mit Joyce. Die ist nymphoman und steht obendrein auf abstürzende Geranientöpfe.

"Die ganze Zeit während wir bumsten, fielen dauernd diese Töpfe auf mich herunter. Es war als vögele man während eines Luftangriffs. Später sagte ich: Hör mal Baby, wir müssen irgendwas mit diesen Geranien tun.
- Nein, du rührst sie nicht an.
- Warum, Baby, warum?
- Weil sie das Vergnügen noch steigern."

Schlimmer als der Angriff der Geranien ist, dass Joyce ihn überredet, wieder zur Post zu gehen. Sie braucht ein regelmäßiges Einkommen und so. Aber nach den mörderischen Zwölf-Stunden Nachtschichten, die Chinaski dort abreißen muss, kommt Joyce nicht mehr auf ihre Kosten und wechselt zu einem leistungsfähigeren Liebhaber.
"Gott oder irgendwer erschafft dauernd Frauen und wirft sie hinaus auf die Straßen. Und … hin und wieder trifft man eine Frau in voller Blüte, ein Frau, die aus allen Nähten platzt. Eine Sexbombe, ein Fluch, das Ende aller Dinge. Ich blickte auf und da saß sie."

Mary Lou. In der Bar der Rennbahn, Chinaskis Lieblingsplatz auf der Welt. Und heute hatte er sogar aufs richtige Pferd gesetzt und 400 Dollar gewonnen. Er will Mary Lou. Sie nur sein Geld. Aus der Traum.

Dann kommen noch Wee, Betty und Faye. Mit einer von ihnen hat Chinaski eine Tochter. Aber die Tochter und sämtliche Frauen kommen ihm über kurz oder lang immer abhanden. Kein Drama für ihn. Es gibt ja endlos Nachschub. Und: Er hat ja noch die Post. Aber auch die droht ihm mit einer Abmahnung.

Bukowski, der über zwölf Jahre im Dienst der amerikanischen Staatspost stand, hat einige Original-Schriftsätzen in den Roman eingebaut und Matthias Brandt weiß, was man am besten daraus macht:

"Wie uns mitgeteilt wurde, sind sie am 12. März 1969 von der Polizei der Stadt L.A. wegen Trunkenheit festgenommen worden … ja, na und? … Wir müssen sie in diesem Zusammenhang auf Abschnitt (lachen) 7 der Dienstvorschriften hinweisen, wo es heißt, Postangestellte sind Diener der Allgemeinheit und ihr Verhalten muss in vielen Punkten nach strengeren Maßstäben gemessen werden als das vielleicht bei gewissen Angestellten der Privatwirtschaft der Fall ist, bla bla." (Papier wird zerknüllt)"

Sadistische Aufseher, sinnlose Anweisungen, zermürbende Routinen: Nach zwölf Jahren kündigt Chinaski bei der Post. Aber statt der großen Erleichterung, kommt die große Krise:

""Ich fing richtig an zu saufen. Ich kam aus dem Saufen gar nicht mehr raus und war meistens besoffen wie ein Stinktier im Fegefeuer. Eines Nachts hatte ich sogar bereits das Metzgermesser am Hals und dann dachte ich: Moment mal alter Junge, vielleicht möchte dein kleines Mädchen, dass du mit ihr in den Zoo gehst … Lass das mal alter Junge."

Unbenommen: Charles Bukowski, einer der heiligen Trinker, Spieler und Hurenböcke der Literaturgeschichte, kann nerven: seine Proll-Attitüden, seine ständigen Saufereien und Zusammenbrüche und immerzu lobt er das feste Fleisch seiner drallen Puppen. Aber das Laute, Grobschlächtige, Zwanghafte an Bukowskis Texten ist nur die Verkaufs-Oberfläche. Das Wichtige liegt darunter. Bukowski besitzt die Weisheit sich beim eigenen Untergang mit Heiterkeit zuzuschauen.

Deshalb ist "Der Mann mit der Ledertasche" die Geschichte einer bemerkenswerten Haltung: warmherzig frotzelnd und hellsichtig trotz Sucht und Selbstzerstörung. Bukowskis Held kommt keiner mit Mitleid oder Heilsrezepten. Denn er ist einer, der tut, was er kann. Und den man aus Respekt so lässt wie er ist. Matthias Brandt holt genau diesen Aspekt mit seiner Stimme aus dem Text hervor. Und: Er spricht ihn ohne jeden Druck, wechselt mühelos die Figuren: Mann oder Frau, Aufseher oder Arbeiter, bei Brandt nur eine Nuance Unterschied – aber genau um diese Feinheiten geht’s.

Besprochen von Brigitte Neumann

Charles Bukowski: Der Mann mit der Ledertasche
Aus dem Englischen von Hans Hermann, gelesen von Matthias Brandt
Kunstmann Verlag, München 2011
4 CDs, 297 Minuten – 19,90 Euro