Briefe aus den USA (1/3)

Wie sich das Land verändert

Empörte Aktivisten halten Transparente mit Anti-Trump-Parolen in die Luft.
In New York City protestieren Aktivisten gegen Trumps Entscheidung, den nationalen Notstand auszurufen. © imago/Pacific Press Agency/Gabriele Holtermann-Gorden
Eine Kolumne von Esther Dischereit · 20.02.2019
Die Schriftstellerin Esther Dischereit befindet sich derzeit in den USA. In drei Briefen zeichnet sie ein Stimmungsbild des Landes unter der Präsidentschaft Donald Trumps. Sie beobachtet, wie insbesondere Frauen zusehends an den Umständen verzweifeln.
New York im Februar 2019,
Erster Brief aus den USA
Ein Mann auf der 14th West Street in Manhattan verteilt Free-Phone-Karten. Eine kleine Reihe von Bedürftigen hat sich gebildet. Das Quartiersmanagement hat alle Hände voll damit zu tun, dass die Gutsituierten, die hier wohnen, es akzeptieren, wenn bald eine Unterkunft für Menschen ohne Wohnsitz hier eingerichtet werden soll. Die Frau aus dem 6. Stock unterstützt die Sache, sie war lange in Queens, dem Viertel, in das sich die Leute jetzt langsam hinbewegen, weil Brooklyn zu teuer wird.

Warten auf Gehalt und Sozialmarken

Donald Trump hielt nun endlich die Rede an die Nation. Die Frauen, die die Demokratische Partei vertraten, waren allesamt in Weiß gekleidet, eine symbolische Anlehnung an die Suffragetten. Auch Debra Haaland gehört jetzt zu ihnen, die erste Frau aus den Reihen der Native Americans im Kongress. Nancy Pelosi hatte den Präsidenten ausgeladen, solange er die 800.000 Beschäftigten der Zentralregierung in den "shutdown" gestürzt hatte.
Die Autorin Esther Dischereit 
Unsere Kolumnistin: die Schriftstellerin Esther Dischereit© Deutschlandradio / Bettina Straub
Im wahrsten Sinne des Wortes schloss die Regierung ihre Geschäftsfähigkeit, weil der Präsident auf den im Haushalt nicht durchsetzbaren Etat für einen Mauerbau an der mexikanischen Grenze nicht verzichtete. Die Leute blieben ohne Gehalt. Diejenigen, die als Sozialleistung Lebensmittel auf Marken beziehen, blieben 50 Tage lang ohne Marken. Am Flughafen sagten die Passagiere zu den wenigen Beamten: Danke, dass Sie arbeiten. Kleine Selbstständige waren ebenfalls betroffen, und zwar diejenigen, die davon lebten, jene Staatsangestellten zu versorgen. Sie bleiben auf ihren Verlusten sitzen.

"Im Namen der Menschlichkeit, das Regime muss fallen"

Melissa hat sich die Rede des Präsidenten nicht angehört. Sie erwartet sich davon nichts. Im Gegenteil: Wieder hat er die Verhältnisse an der mexikanischen Grenze zur Krise erklärt. Was allerdings stimmt, seit er die Asylsuchenden außerhalb des Landes in unbeschreiblichen Zuständen kampieren lässt, Warten in unbestimmter Dauer. Das hebelt das US-amerikanische Asylrecht vollkommen aus, das einstmals auch eine Antwort darauf gewesen war, dass das Land jüdische Flüchtlinge abgewiesen hatte.
"Im Namen der Menschlichkeit, das Regime muss fallen." Das hat jemand auf der Langen Nacht der Philosophy in der Brooklyn Library verteilt. Tausende waren gekommen. Ein Marsch zum Trump Tower wird angekündigt. Anderntags ist nichts in den Medien. Es ist auch nicht zu sehen, dass sich diesem NEIN viele angeschlossen hätten, obwohl es viele teilen.
Zur gleichen Zeit saßen eine Woche lang bei teils klirrender Kälte 1.650 Gefangene in ihren Zellen in New York ohne Heizung, ohne Heißwasser oder warmem Essen. Draußen gab es Demonstrationen und die Leute gingen aufs Gelände aus Protest, und sagten, das darf es nicht geben. Anwälte reichen eine Klage ein wegen Verletzung der Grundrechte. Die Verhältnisse sind nicht nur hier katastrophal.

Keine Hoffnungen mehr auf eine Amtsenthebung

Kristina ist fast mit dem Studium für Internationale Beziehungen fertig. Sie hatte am Samstag den ganzen Tag lang ein Bewerbungsgespräch für den diplomatischen Dienst. Ist das ihr Präsident? Sie verdreht die Augen, glaubt nicht an den Erfolg eines Amtsenthebungsverfahrens. Mit Wimperndauerwelle und Make up sitzt sie am Empfang eines Fachbereichs der New York University.
Die Frauen, die in der 13. Straße von einem Körper-Training kommen, reden im Aufzug über Mueller, Robert Mueller, den Sonderermittler, der die Einflussnahme Russlands auf die Präsidentschaftswahlen 2016 untersucht. Sie glauben nicht, dass er einen Durchbruch gegen Trump schaffen kann. Annie sagt: "Er wird sich irgendwie wieder etwas einfallen lassen, damit er davonkommt. Er will unbedingt davonkommen."
Joan ist blond gefärbt, ihre Haare sind grau nachgewachsen. Alles andere an ihr ist rot: ein roter Mantel, rote Ohrenschützer, rote Handschuhe, rote Schuhe. Es ist eng im Aufzug. Was kann man tun? "Jemand sollte ihn erschießen." Joan wiederholt den Satz, sie spricht laut und mit Nachdruck. "Ja", sagt sie, "nicht von mir", aber "am besten Pence gleich mit. Den gleich mit." Mike Pence, den Vize-Präsidenten.

Antisemitismus und Rassismus auf dem Vormarsch

Bei Amorina, einem Café mit einer exzellenten Eistheke, wartet Linda, die sich mit 69 Jahren für Kurse an der Columbia University eingeschrieben hat. Sie hat ihre Stimme gesenkt. Sie hasst den Präsidenten, besonders weil er ein Demagoge sei. Auf National Public Radio wird berichtet, dass die Anzahl der antisemitisch und rassistisch begründeten Straftaten dramatisch angestiegen sei.
Auf dem Weg die 14th West Street hinunter Richtung Hudson wird in erleuchteten Werbekästen Madame Liberty, die Freiheitsstatue, gezeigt, geschaffen aus einer Menge vieler einzelner Menschen: Democracy starts with you. Die Demokratie beginnt mir dir.
Um die Ecke: Public Seminar, The New School for Social Research, die berühmte Denkfabrik, die sich während der Nazi-Ära und heute erneut auch als University in Exile versteht, publizierte eine Postkarte: auf weißem Grund in schwarzer Schrift ist hier zu lesen: SHAME.
Schande.
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