Brief an einen amerikanischen Freund

Von Alan Posener |
Lieber Henry, wie jedes Jahr am 4. Juli muss ich an dich und deine Familie denken. Ich stelle mir vor, wie ihr im Garten sitzt, wie dein Vater seine berühmten Hamburger grillt und wieder mal von seiner Zeit als Wehrpflichtiger in Deutschland erzählt, als er in derselben Einheit diente wie Elvis Presley.
Ich erinnere mich auch an die Geschichten deines Großvaters. Der war 1944 in der Normandie gelandet, hatte sich bis an den Rhein durchgekämpft und schwärmte von den deutschen Fräuleins: eben noch Lebensborn-Material, jetzt ganz begeistert vom American Way of Life. Sein Vater wiederum war 1917 als Soldat nach Europa geschickt worden. Immer wieder musstet ihr uns aus der Patsche holen. Das ist, glaube ich, ein Grund, weshalb wir Europäer euch nicht wirklich mögen. Es ist unangenehm, dankbar sein zu müssen. Ja, ich weiß, ihr verlangt gar keine Dankbarkeit. Das macht die Sache nur noch schlimmer.

Ich meine, wenn ihr wenigstens etwas von uns fordern würdet dafür, dass ihr Hitler zum Teufel gejagt, im Kalten Krieg hier ausgeharrt und danach auch noch die Sache mit Bosnien und dem Kosovo geklärt habt, nachdem wir sie vergeigt hatten – dann könnten wir etwas tun, um endlich quitt zu sein. Andererseits: Soldaten in den Süden Afghanistans schicken? Lieber nicht. Ein Boykott iranischen Öls? Doch nicht bei den Spritpreisen. Ein größeres Engagement im Irak, jetzt, wo wider Erwarten doch eine Demokratie entsteht? Vielleicht sollten wir einfach lernen, mit unserem schlechten Gewissen zu leben.

Du wirst als Anhänger der Demokratischen Partei, und mit diesem amerikanischen Optimismus, der uns Dauerjammerer vielleicht noch schlimmer auf Nerven geht als das Gefühl, dankbar sein zu müssen - du wirst also sagen, dass jetzt alles anders wird, weil Barack Obama die Wahl gewinnen und George W. Bush, den du noch mehr hasst als die meisten Europäer, bald Geschichte sein wird. Obama wird Guantanamo schließen, die Truppen aus dem Irak abziehen, Amerika zur Klimaschutzgroßmacht ausrufen, er wird mit seinem Witz, seiner Urbanität, seiner Hollywood-Aura die Europäer bezaubern, wie John F. Kennedy damals.

Bush wird Episode bleiben meinst du. Das meine ich auch. Wie Bill Clinton, dem wir das Abfeuern von Cruise Missiles gegen einen gewissen Osama bin Laden verübelten. Wie George Bush senior, dem wir die Befreiung Kuwaits nicht verzeihen konnten. Wie Ronald Reagan, der in Berlin nur unter Polizeischutz vor ausgesuchten Gästen sein "Mister Gorbachev, tear down this wall!" ausrufen durfte. Wie Jimmy Carter, dessen Menschenrechtsidealismus wir belächelten - und so weiter und so fort bis zurück zu Kennedy, dem die einen übel nahmen, dass er wegen der Berliner Mauer keinen Krieg anfing, die anderen, dass er wegen Kuba beinahe einen angefangen hätte, und weiter zurück bis zu den großen Demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry Truman, denen wir das Überleben der Demokratie im Zeitalter der Totalitarismen verdanken. Es ist ja kein Zufall, dass es in Berlin zwar für Rudi Dutschke eine Straße gibt, aber keine für Roosevelt oder Truman.

Bush wird Episode bleiben. Der Antiamerikanismus wird bleiben. Was hätten wir sonst zur Identitätsbildung? Diese Woche zum Beispiel läuft der Trickfilm "Kung Fu Panda" an. Das ist ein gesamteuropäisches Kulturereignis. Für französische oder deutsche Filme interessieren sich allenfalls Franzosen und Deutsche, für Hollywood interessieren sich alle Europäer. Also gehen wir in "Kung Fu Panda", amüsieren uns köstlich und schimpfen anschließend über die Dominanz Hollywoods. Ach ja, außerdem beginnt diese Woche die französische Ratspräsidentschaft der EU. Du weißt nicht, was Ratspräsidentschaft bedeutet? Macht nicht. Die meisten von uns wissen es auch nicht und halten die EU für eine Behörde, die Sachen wie Gurkenkrümmung und Kondomgröße regelt. Also schauen wir weiterhin gebannt nach Washington, fragen uns, was der große Kung Fu Panda USA als nächstes machen wird, und schimpfen über die Dominanz der USA.

Barack Obama kann so sympathisch sein, wie er will, er bleibt Präsident einer Weltmacht. Hoffentlich ist ihm das klar. Denn wenn es eine Eigenschaft an euch Amerikanern gibt, die uns Europäer noch mehr nervt als eure Uneigennützigkeit, euren Optimismus und eure Fähigkeit, bessere Filme zu machen als alle anderen, dann ist es euer Wunsch, geliebt zu werden. Das könnt ihr euch abschminken. Das passt nicht zur Jobbeschreibung.

Lasst euch die Hamburger schmecken und trinkt eine Flasche Millers Bier für mich mit. Nächstes Jahr in New York …

Alan Posener, 1949 in London geboren, aufgewachsen in London, Kuala Lumpur und Berlin, studierte Germanistik und Anglistik an der FU Berlin und der Ruhr-Universität Bochum. Er arbeitete anschließend im Schuldienst, dann als freier Autor und Übersetzer. Von 1999 bis 2004 war er Mitarbeiter der "Welt", zunächst als Autor, dann als Redakteur. Seit März 2004 ist er Kommentarchef der "Welt am Sonntag". Posener publizierte neben Schullektüren u.a. Rowohlt-Monographien über John Lennon, John F. Kennedy, Elvis Presley, William Shakespeare und Franklin D. Roosevelt, die "Duographie" Roosevelt-Stalin und den "Paare"-Band über John F. und Jacqueline Kennedy. Soeben erschien "Das Imperium der Zukunft. Warum Europa Weltmacht werden muss".
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