Breiviks Verteidigungsrede auf der Bühne

Von Christoph Leibold · 23.04.2013
Das Münchener Festival "Radikal jung" gehört für den Theaternachwuchs zu den wichtigsten seiner Art im deutschsprachigen Raum. Zu ihrer neunten Auflage setzt sich die Reihe mit Politik und Extremismus auseinander.
Kilian Engels: "Vor ein paar Jahren hat man uns vorgeworfen, das Ding heißt 'Radikal jung' und im Wesentlichen beschäftigen die sich nur mit ihren privaten Problemen. Das hat sich, glaube ich, deutlich geändert, und es gibt eine stärkere Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Problemen","

erklärt Kilian Engels, Chefdramaturg am Münchner Volkstheater und künstlerischer Leiter von "Radikal jung". Zwar will das Festival vor allem die Vielfalt junger Regiehandschriften präsentieren - und keine bestimmte Theaterauffassung. Aber natürlich lässt sich jede Auswahljury von eigenen Interessen leiten.

Engels: ""Ich bemerke bestimmte Sachen in der Gesellschaft und bestimmte Vorgänge, die passieren. Und es ist wirklich eine Frage: In welcher Welt wollen wir leben? Was wollen wir von unserer Gesellschaft? Wo wollen wir hin? Und dann finde ich es völlig probat, dass man Produktionen zeigt, die sich auch die Frage stellen. Weil das Theater letztlich ja ein politisches Forum ist. Es ist eine politische Öffentlichkeit. Und das darf man nicht vergessen."

Die rund 50 Inszenierungen, die Kilian Engels und seine Jurykollegen, der Theaterkritiker C. Bernd Sucher und die Schauspielerin Annette Paulmann gesichtet haben, wurden also gewissermaßen mit politischer Brille sortiert. Dass diese Suche auch in ein Land führte, das die weltpolitischen Schlagzeilen beherrscht wie kaum ein zweites, ist nicht weiter verwunderlich.

Aus Tel Aviv eingeladen zu "Radikal jung"wurde zum Beispiel die Performance "Mein Jerusalem" von Eyal Weiser. Sie verhandelt die Biografie einer fiktiven deutschen Künstlerin namens Sabine Sauber, die – einsam und abgeschnitten vom Leben – in der Kunst einen Zugang zur Welt sucht, als Fotografin aber doch immer auf beobachtender Distanz bleibt. Weiser stellt diese Geschichte einer Entfremdung in einen zeitgeschichtlichen Kontext. Die Künstlerbiografie, die er für Sabine Sauber erfunden hat, beginnt mit ersten Videoarbeiten zum Berliner Mauerfall 1989 und endet mit ihrer Übersiedlung in das Israel der Gegenwart, das ebenfalls von einer Mauer durchzogen wird.

Die Mauer in Jerusalem sei ein starkes Symbol, sagt Eyal Weiser. Neben dieser Mauer zu den Palästinensergebieten gebe es auch noch die unsichtbaren Mauern zwischen den verschiedenen Religionen, die alle Ansprüche auf die Stadt erheben. Es seien solche Mauern in den Köpfen, die eingerissen werden müssten, damit etwas Neues entstehen könne.

In "Mein Jerusalem" stellt Eyal Weiser die innere Blockade seiner Protagonistin in äußeren Bezug zu den Mauern von Berlin und Jerusalem. Das hebt die Aufführung über ein rein privates Künstlerseelendrama hinaus. Noch dezidierter politisch aber ist die zweite aus Israel eingeladene Produktion.

Choregrafie über die Gewalt in Israel

"Shall We Dance", der Titel der Theaterarbeit des Homemade Ensembles Tel Aviv, hört sich an nach einer harmlosen Aufforderung zum Tanz. Tatsächlich steht ein Volkstanzlehrer auf der Bühne, wie es sie in Israel viele gibt. Schleichend entwickelt sich seine direkt ans Publikum gehaltene Rede von einer Einführung in die Grundlage von Tänzen hin zu Ausführungen über in die Abgründe seines Lebens. Über Erfahrungen, die er als junger Mann in der israelischen Armee gemacht hat, unter anderem beim Grenzschutz, wo er zum Beispiel einen Palästinenser mit vorgehaltener Pistole zu einem peinlichen Tänzchen nötigte, aus Rache, weil der seine Vorgesetzten beleidigt hatte. Sozusagen seine erste Choreografie. "Shall We Dance" erzählt von der Bitterkeit des Lebens in einer von Gewalt geprägten Gesellschaft, die nur mit aberwitzigem Humor zu ertragen ist. Das Wort Gesellschaftstanz bekommt durch dieses israelische Gastspiel einen ganz eigenen Beiklang.

Solche Produktionen, sagt Festivalchef Kilian Engels, sind in Israel übrigens die Ausnahme. Obwohl man ja eigentlich meinen möchte, in einem derart politisierten Land wären sie an der Tagesordnung.

Engels: "In Israel ist es manchmal so, dass man das Gefühl hat, dass Theater da eine Tendenz hat, das, was dort wirklich in dem Land passiert, erst mal nicht auf die Bühne zu bringen, sondern zu ignorieren und zu unterhalten. Die Produktionen, die wir holen, entstehen in freien Gruppen, mit eigenem finanziellen Risiko und großem persönlichen Engagement. Und die schnappen sich auch Themen, die relevant und wichtig sind. Und da denke ich: Das muss man unterstützen."

Zugleich unterstützen diese Arbeiten das politische Profil, das Kilian Engels dem Festival "Radikal jung" in seiner nunmehr neunten Ausgabe zu verleihen versucht hat. In diesem Kontext ist natürlich auch die Einladung von Milo Raus "Breiviks Erklärung" zu verstehen - das Reenactment der Verteidigungsrede des norwegischen Massenmörders. Die gestrige Aufführung in München zog lange Diskussionen über die Auseinandersetzung mit Extremismus mit den Mitteln der Kunst nach sich. Diskussionen, die von einer Betroffenheit der Zuschauer zeugten, die man sich noch viel öfter im Theater wünschen würde.

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