Breitscheidel: Altenpflege im Minutentakt ist inhuman

02.09.2005
Der Buchautor und Altenpflegehelfer Markus Breitscheidel hat mehr Zeit für die Pflege von alten Menschen in Heimen gefordert. Der derzeit geforderte Minutentakt für Pflegehandlungen sei inhuman, sagte Breitscheidel im Deutschlandradio Kultur anlässlich der Vorstellung seines Buches "Abgezockt und tot gepflegt" in Berlin.
Der Zeitdruck sei sowohl für die Pflegekräfte als auch für die zu Pflegenden unerträglich, das System sei unmenschlich. Mitarbeiter, die nicht im Minutenkorsett funktionierten, verlören ihren Arbeitsplatz. "Man muss die Gefühlswelt während des Dienstes abschalten", sagte Breitscheidel. Die Pfleger hätten vor allem die Aufgabe, vernachlässigte Bewohner ruhig zu stellen. "Eine soziale Betreuung ist nicht gefragt."

Während seiner Arbeit in fünf verschiedenen Heimen in Deutschland habe er schwere Vernachlässigung bei den Heimbewohnern erlebt. Manche seien wochenlang nicht geduscht oder gebadet worden. Manche Heimbewohner hätten auf der Suche nach Zuwendung Pflegekräfte auf dem Gang festgehalten, andere hätten sich in ihren Zimmern mit Fäkalien beworfen, um möglichst lange einen Mitarbeiter an sich zu binden.

"Es steht und fällt alles mit der Heimleitung", sagte Breitscheidel. Wenn die Heimleitung ein soziales Gewissen habe, komme das Geld den Heimbewohnern zu Gute. Wenn rein nach ökonomischen Gesichtspunkten mit Gewinnmaximierung gearbeitet werde, entstünden hingegen katastrophale Verhältnisse.

Der Buchautor forderte zudem Mindestlöhne für Pflegekräfte, weil sie trotz schwerer Arbeit völlig unterbezahlt würden.

Die Reportagen von Günther Walraff seien Vorbilder für sein Buch gewesen, weil er Walraffs Vorgehen "als eine der ehrlichsten Recherchen" ansehe, sagte Breitscheidel. Seine Kollegen und die Heimleitung hätten nichts davon gewusst, dass er über seine Arbeit schreiben werde. Er habe mit seinem früheren Leben als Marketingleiter gebrochen, weil er "in der Theorie der Wirtschaftswissenschaften den Menschen nicht wiedergefunden" habe. Stattdessen habe er fast täglich mit Kündigungen zu tun gehabt.