"Breites Versagen" auf allen Ebenen

Marion Kraske im Gespräch mit Frank Meyer |
"Es wird verleugnet, es wird verharmlost, es wird weggeschaut", sagt die Journalistin Marion Kraske. Das sei das traurige Ergebnis eines Reports zu rechtsradikaler Gewalt in Westdeutschland der Amadeu Antonio Stiftung. Sie spricht von Staatsversagen in West- wie Ostdeutschland.
Frank Meyer: Nachdem die Mordserie des nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurde, gab es viele Appelle und Versprechen aus der Politik – vom Bundespräsidenten bis zu den Landesinnenministern. Die Bundestagsfraktionen haben gemeinsam gefordert, alle demokratischen Gruppen zu stärken, die sich gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren. Was ist aus solchen Forderungen und Versprechen geworden? Die Journalistin Marion Kraske wollte das wissen. Sie ist im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung durch Westdeutschland gereist und hat sich die Lage vor Ort angesehen. Jetzt ist sie hier bei uns im Studio, seien Sie herzliche willkommen!

Marion Kraske: Ja, hallo!

Meyer: Warum waren Sie gerade in Westdeutschland unterwegs – sonst wird Rechtsextremismus ja gerne als ostdeutsches Problem behandelt?

Kraske: Ja, eben das ist das Problem, wir haben auch dazu schon eine Studie gemacht vor gut einem Jahr, "Das Kartell der Verharmloser", und haben daraufhin so viele Zuschriften bekommen, auch von Betroffenen in Westdeutschland, dass wir gesagt haben, da müssen wir einmal draufgucken, wie ist die Lage in Westdeutschland. Wir glauben – und das haben auch die Recherchen ergeben –, dass das Thema jahrelang tatsächlich ein bisschen verharmlost wurde in Westdeutschland. Es wurde als Jugendphänomen dargestellt und vor allen Dingen als Ostphänomen, und das ist auch ein bisschen Teil des Problems.

Meyer: Und was ist Ihr Befund jetzt, dass das Problem in Westdeutschland ähnlich groß ist wie in Ostdeutschland oder sogar noch größer?

Kraske: Tatsache ist, dass in den letzten Jahren die Straftaten rechtsextremer Gewalt nahezu gleichgezogen haben in Ost- und in Westdeutschland. Das ist ein bisschen abseits der Öffentlichkeit passiert. Ich glaube, da sind wir uns alle einig, dass man das alles immer schön über Ostdeutschland diskutiert hat, auch mit der NSU-Terrorzelle, das war dann die Zwickauer Terrorzelle, aber wir haben uns nicht deutlich gemacht, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, von dem auch Westdeutschland betroffen ist.

Meyer: Sie haben sich das an mehreren konkreten Orten an Beispielfällen angesehen. Ein Fall ist Wuppertal – da wurde von Rechtsextremen ein Kino überfallen. Ihre Grundthese ist ja Staatsversagen, also wie Polizei und Justiz versagen. Wie ist das im Fall von Wuppertal passiert?

Kraske: Ja, es gab im November 2010 einen bewaffneten Angriff auf dieses CinemaxX-Kino. Die Polizei hat dann daraufhin den gewalttätigen Angriff dieser bewaffneten Neonazis – die mit Pfefferspray und Reizgas bewaffnet waren – auf das dortige Kino kleingeredet, die Ermittlungen wurden zwischenzeitlich sogar eingestellt. Und nur weil es einen zivilen Akteur gab, das Medienprojekt Wuppertal, der sich hingestellt hat und gesagt hat, Taten müssen folgen, hier muss weiterermittelt werden, Zeugen müssen befragt werden – die haben auch eine Anwältin eingeschaltet –, ist dann tatsächlich auch weiterermittelt worden.

Erst im November 2012 ist jetzt die Anklage erhoben worden. Aber man muss konstatieren, zweieinhalb Jahre nach diesem Angriff, bei dem es auch ja Verletzte gab in dem Kino – die beiden Sicherheitsleute behandelt werden –, gibt es keinerlei Konsequenzen. Und die Polizei und auch der Verfassungsschutz sprachen im Anschluss an diesen Angriff von einer Störung beziehungsweise von einer Auseinandersetzung zwischen Linken und Rechten. Der Kern, der dahintersteht, also sprich die rechtsextreme Gesinnung, die rechtsextreme Ideologie, wurde ausgeblendet.

Meyer: Sie sagen auch in Ihrem Bericht, dass Wuppertal ein Schwerpunkt der rechten Szene gerade in Nordrhein-Westfalen geworden sei, neben Dortmund. Wie ist es dazu gekommen?

Kraske: Also es gibt in den letzten Jahren einige Schwerpunktbildungen, auch in NRW. Dortmund gehört dazu, auch Wuppertal, das hat natürlich auch ein bisschen mit der Sozialstruktur dieser Städte zu tun, also zum Teil hohe Arbeitslosigkeit … Das trifft es aber nicht nur, weil wir haben auch in anderen Gegenden – das haben wir im Report auch nachgewiesen – wir haben diese Probleme mit rechtsextremen Gewalttaten auch in prosperierenden Gegenden, zum Beispiel nördlich von Stuttgart, im Rems-Murr-Kreis. Es gibt bestimmte Schwerpunktstädte, die sich ausbilden, Schwerpunktregionen, und da muss man feststellen, dass es natürlich auch damit zu tun hat, wie gehe ich als Behörde, als Polizeibehörde, wie positioniere ich mich. Wenn ich den Rechtsextremen einen breiten Spielraum gewähre, dann wird der auch ausgenutzt, und das ist in Wuppertal der Fall.

Meyer: Und das ist für Sie ein Grundzug des Handelns der deutschen Polizei, dass das Problem Rechtsextremismus letztlich verharmlost wird?

Kraske: Wir haben ein breites Versagen von verschiedenen Ebenen, von verschiedenen Apparaten, also Behörden. Wir haben nicht nur die Polizei, wir haben auch die Justiz. Wir haben einen Fall aus Tostedt da dokumentiert, wo es um einen Richterspruch ging, der eigentlich tatsächlich wirklich sehr skandalös ist, weil Landfriedensbruch gar nicht geahndet wurde und man sich dann mit einem Bagatelldelikt zufriedengegeben hat. Wir haben Versagen im Verfassungsschutz und wir haben Versagen im Bereich der kommunalen Politik. Das heißt, die Versagen, die laufen zum Teil nach dem gleichen Muster: Es wird verleugnet, es wird verharmlost, es wird weggeschaut, die Täter lässt man zum Teil davonkommen. Der Rechtsstaat übt da nicht die Möglichkeiten aus, die er hätte, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Meyer: Jetzt sagen Sie ja, das ist ein strukturelles Problem, also das heißt im Prinzip, es tritt überall auf, in verschiedener Stärke, Sie haben sich aber nur zehn Orte – also nur in Klammern – zehn Orte angeschaut. Wie können Sie dann wissen, dass dieses Problem tatsächlich ein grundsätzliches strukturelles des deutschen Staates ist?

Kraske: Ich glaube, es wird da einfach strukturell, wo es zum Teil auch nicht geahndet wird, und das ist natürlich genau der Fall, das haben wir auch anhand dieser Fälle dokumentiert. Wir haben gesagt, wir nehmen erst einmal die aktuellen Fälle – die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen, das ist so –, wir haben natürlich auch ganz andere Fälle, die liegen zum Teil auch ein bisschen länger zurück. Wir haben uns bemüht, jetzt erst mal aktuelle Fälle zu dokumentieren, die zum Teil auch über die Medien bekannt gemacht wurden, und wir haben uns bemüht, solche Fälle zu nehmen, die besonders drastisch das Versagen auf diesen bestimmten Ebenen auch dokumentieren. Es sind nicht die einzigen Fälle, die wir haben.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, unser Thema "Staatsversagen: Wie Engagierte gegen Rechtsextremismus im Stich gelassen werden" – so heißt ein neuer Report der Amadeu Antonio Stiftung. Heute Vormittag wurde dieser Report vorgestellt, die Journalistin Marion Kraske hat ihn erfasst, und was heute ja auch bekannt wurde, dass Rechtsextreme aus Gefängnissen heraus versucht haben, ein Netzwerk aufzubauen vor dem Hintergrund Ihrer Recherchen. Was sagen Sie zu diesem Befund, hat Sie das überrascht, dass es auch in Gefängnissen solche Netzwerke gibt?

Kraske: Überraschend ist das natürlich nicht. Wir kennen das eigentlich aus früheren Meldungen heraus, dass es immer schon Gefängnisse gab, wo sich bestimmte Netzwerke gegründet haben, kriminelle Netzwerke – man kennt das aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Also die Frage ist natürlich: Warum sollten Rechtsextreme diese Möglichkeiten nicht nutzen?

Meyer: Aber sie sollten ja unterbunden werden, genau solche Netzwerke.

Kraske: Das ist genau das Problem. Das ist eben genau hier auch das, was wir ja auch in der Studie erarbeitet haben in dem Report. Das heißt, es wird auch hier offenbar den Gefangenen aus dem rechtsextremen Netzwerk hier ein Spielraum eingeräumt, damit sie sich organisieren können, und das ist nicht in Ordnung. Wir haben genau das, was wir in dem Report eben auch fordern, das belegt dieser Fall aus Hessen, aus den Gefängnissen. Wir brauchen eine Null-Toleranz-Kultur seitens der Behörden, eben auch in den Gefängnissen, und das ist leider nicht der Fall, das belegt dieses Beispiel.

Meyer: Sie berichten in Ihrem Report auch von Orten, an denen sich Kommunen erfolgreich wehren gegen Rechtsextreme, ein Beispiel ist Sulzbach-Rosenberg in Nordbayern. Was hat denn dort funktioniert, was an anderen Orten eben nicht funktioniert hat?

Kraske: Dieser Fall ist besonders interessant, weil genau einige Kilometer weiter entfernt Amberg liegt, eine Stadt, in der genau das eben nicht gemacht wird, was in Sulzbach gemacht wird. In Sulzbach hat sich dann auch die Politik hingestellt und hat gesagt, wir wollen keine Nazis. Es wurde eine Null-Toleranz-Kultur aufgebaut, das hat funktioniert. Man ist dort sehr engagiert, hat eine sehr extrem engagierte demokratische Jugendszene, und man sieht an diesem Beispiel sehr gut, was man machen kann, wenn man tatsächlich eine Null-Toleranz-Kultur an den Tag legt.

Meyer: Der Hintergrund für Ihre Studie war ja – ich hab’s vorhin schon gesagt – die vielen Erklärungen und Appelle von ganz verschiedenen politischen Stellen, von den Ländern bis hinauf zum Bundespräsidenten sogar, wo gesagt wurde, wir müssen jetzt alle Initiativen gegen Rechtsextreme verstärken und wir dürfen keine Toleranz gegenüber rechtsextremen Gedanken zeigen. Nach Ihren Recherchen, was ist von diesen Erklärungen und Versprechen aus der Politik zu halten?

Kraske: Bislang sind das alles Lippenbekenntnisse. Es ist ja wunderbar, es gab ja auch einen fraktionsübergreifenden Appell im Bundestag, wo gesagt wurde, wir müssen eine Atmosphäre schaffen, wo alle zivilen Akteure gestärkt werden, um sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Das Gegenteil ist der Fall: An der Basis ist das nicht angekommen. Und ich glaube, wir müssen wirklich hingehen und einfach auch noch mal deutlich machen, dass Rechtsextremismus kein Bagatelldelikt ist. Wir haben es hier mit einer Gefährdung der Demokratie zu tun. Es wird zum Teil verharmlost, weil man diese Gefährdungen nicht artikuliert, und man hat nicht verstanden, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, das Ost- und Westdeutschland gleichermaßen betrifft.

Meyer: Sie sprechen allerdings von einem Staatsversagen, nicht von einem Versagen der deutschen Gesellschaft, und sagen an manchen Stellen auch, dass es in der deutschen Gesellschaft ja auch viel Widerstand gebe von einzelnen Initiativen. Ist das der Grund, warum Sie das so trennen, Staat und Gesellschaft?

Kraske: Ja, das ist richtig. Während meiner Recherchen habe ich gemerkt, dass es wirklich ein ganz großes Engagement gibt im zivilgesellschaftlichen Bereich – Akteure, die sich in ihrer Freizeit engagieren, die Hotlines aufrechterhalten, weil sie ein Handy mit sich tragen, die sich in Beratungsstellen und Opferberatungsstellen engagieren. Die werden mitunter von staatlicher Seite ausgebremst, zum Teil auch stigmatisiert.

Das beste Beispiel hier ist der Fall a.i.d.a. in Bayern. Das ist ein antifaschistisches Dokumentationsarchiv, das ist einer der am bestinformiertesten Akteure im Bereich Rechtsextremismus. Und ausgerechnet dieser Akteur, der auch schon Preise gewonnen hat für sein Engagement, ist vom Verfassungsschutz dann als linksextrem eingestuft worden, fand sich seit 2008 im Verfassungsschutzbericht wieder, und das zeigt, dass hier mitunter, ja, die auf der rechten Seite die Behörden zum Teil sehr blind agieren, aber gerade ausgerechnet diejenigen ins Visier nehmen, die Teil dieser wehrhaften Demokratie hier sind in Deutschland.

Meyer: "Staatsversagen: Wie Engagierte gegen Rechtsextremismus im Stich gelassen werden", so heißt Marion Kraskes Report für die Amadeu Antonio Stiftung, heute wurde der Report vorgestellt. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.