Breite Zustimmung der Esten zu Euro-Einführung

Staatswissenschaftler Wolfgang Drechsler im Gespräch mit André Hatting · 03.01.2011
Wolfgang Drechsler von der TU Tallinn äußert sich zuversichtlich zu Estlands wirtschaftlichen Perspektiven. Allerdings halte er die estnische Krone für überbewertet, sodass "der Euro, so wie er jetzt ist, (...) eigentlich für Estland ein wenig zu teuer" sei.
André Hatting: Wer heute wie gewohnt seine Zeitung oder seinen Kaffee kaufen möchte, der wird sie jetzt auch in Estland mit dem Euro bezahlen. Statt Staatswappen auf der Kronenmünze nun der Umriss des Landes, das ist das Motiv, das sich Estland für seine Münzen ausgesucht hat. Das kleine Land, flächenmäßig irgendwo zwischen der Schweiz und Niedersachsen, ist nach Slowenien und der Slowakei der dritte Staat des früheren kommunistischen Ostblocks im Euroklub. Aber der ist alles andere als elitär und wohlhabend, immer mehr Mitglieder der Eurozone geraten in finanzielle Schwierigkeiten und müssen Milliardenhilfen über Wasser gehalten werden. Wolfgang Drechsler lebt seit 1993 in Tallinn, in der estnischen Hauptstadt, und ist dort an der Technischen Universität Professor für Staatswissenschaften. Herr Drechsler, die Begeisterung der Esten für den Euro, ist die ungetrübt?

Wolfgang Drechsler: Sie ist vielleicht nicht ungetrübt in allen Bereichen der Bevölkerung, dort gibt es sicherlich Leute, die Angst haben vor der immer mit einer Euroeinführung einhergehenden Verteuerung von Dingen des täglichen Lebens. Es gibt auch in anderen Teilen der Bevölkerung eine sagen wir sentimentale Trauer über das Weggehen der Krone, die ja nun auch ein Symbol der wiedererreichten Selbstständigkeit nach dem Fall der Sowjetunion war, das war ganz genau so, wie hier in Deutschland, dass der D-Mark nachgetrauert wurde, obwohl man wusste, obwohl man wusste, dass der Euro eigentlich richtig ist und kommen muss.

Hatting: Wobei die Krone ja auch währungsmäßig oder währungspolitisch nicht ganz unabhängig war, sie war ja immer gebunden an andere Währungen.

Drechsler: Nicht ganz unabhängig ist gut, sie war völlig abhängig. Erst von der D-Mark, von Anfang an, und dann vom Euro. Das heißt, es stand eigentlich nur Krone drauf, und drin war entweder die D-Mark und dann, als die D-Mark in den Euro übergewechselt ist sozusagen, ist die Krone mitgegangen. Nun ist es aber so, dass Geld und die Währung so wichtig sind in unserem Leben und so konstitutiv, dass sie ja über das, was wirklich drin steckt, weit hinausgehen. Das heißt, ich sehe die nationalen Symbole, ich definiere mich über das Geld. Gerade die Stabilität, die die Krone hatte, plus dem estnischen Wappen, das Sie erwähnt haben, und all diesen Dingen, die da mitgingen, macht es natürlich zum Symbol von Freiheit und von Unabhängigkeit.

Hatting: Die Esten wollten den Euro ja ursprünglich schon 2007 einführen, wurden dann aber zurückgepfiffen. Begründung: Die Inflation war zu hoch. Wie sieht es denn heute aus, wirtschaftlich, in Estland?

Drechsler: Also Estland ist natürlich dabei, sich aus der großen Krise, die man überall hatte, wieder herauszukämpfen. Es sieht im Prinzip wirtschaftlich in Estland sehr, sehr gut aus, sehr viel besser als in vielen anderen europäischen Ländern, es ist ja eines der erfolgreichsten in der allerletzten Zeit durch sehr, sehr harte Sparmaßnahmen, die im Land generell auch unterstützt werden. Man kann also insofern sagen, dass in Estland generell die Euroeinführung als Belohnung für das gute Verhalten aus der Perspektive der Eurozone gesehen wird.

Hatting: Sie haben gerade die Sparmaßnahmen der Regierung in Tallinn angesprochen, man hat zum Beispiel den Staatsbediensteten um zehn Prozent das Gehalt gekürzt. Profitiert der Euroklub vom Musterknaben Estland, weil das als gutes Beispiel vorangeht?

Drechsler: Also das ist die Frage, das kommt natürlich darauf an, wie Sie das einschätzen, ob Sparmaßnahmen wirklich sinnvoll sind oder nicht, und das liegt wiederum an Ihrer wirtschaftlichen Philosophie, ob Sie mit Keynes eigentlich eher eine andere Richtung gehen wollen, oder ob Sie sagen, Einsparungen sind generell sinnvoll. Das liegt nun wirklich an Ihrer Überzeugung und das kommt darauf an, wo Sie sozusagen herkommen und wo Sie selber stehen, auch wirtschaftlich gesehen. Die estnischen Sparmaßnahmen sind zum Beispiel in Estland auch möglich, weil man ein klares Ziel vor Augen hatte, weil es auch um Abgrenzungen ging zum östlichen Nachbarn. In anderen Ländern gäbe es bei vergleichenden Maßnahmen Aufstände, und hat es sie auch gegeben.

Hatting: Zum Beispiel in Griechenland.

Drechsler: Zum Beispiel in Griechenland, aber auch in Lettland und Litauen sind sehr viel schwächere Sparmaßnahmen mit sehr viel stärkeren Unruhen einhergegangen.

Hatting: Es fällt auf, dass von den Eurokrisen vor allem die alten Mitglieder betroffen sind. Griechenland haben wir schon erwähnt, Spanien, Irland. Die neuen – Slowakei 2009, Slowenien 2007 – sind bislang relativ krisenfest. Woran liegt das?

Drechsler: Sie sind relativ krisenfest, das ist sicherlich klar, aber auf sehr lange Frist möchte ich da auch meine Hand nicht für ins Feuer legen. Es ist sicherlich so, dass man kurz vor der Euroeinführung seine Wirtschaft derart gestaltet hat, auch optisch, aber durchaus auch inhaltlich, dass es erst einmal ohne größere Krisen abgeht. Es ist ja nicht so, dass es nicht sehr problematisch aussieht für andere Länder der neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

Hatting: Ist Estland auf Dauer auch krisenfest, ich sag jetzt mal, trotz Euros?

Drechsler: Oh, so weit würde ich nicht gehen. Ich bin insgesamt der Meinung, dass die Krone überbewertet war und, da man die Krone direkt in den Euro mit dem klassischen Wechselkurs eingebracht hat, den man vorher hatte, dass das sicherlich ein Problem für die estnische Wirtschaft darstellt. Der Euro, so wie er jetzt ist, ist eigentlich für Estland ein wenig zu teuer. Auf der anderen Seite: Man muss schon eine Kristallkugel haben, um die wirtschaftliche Entwicklung der Zukunft zu sehen. Estland ist aber so klein und von so vielen Dingen abhängig, dass der Euro da relativ wenig Auswirkungen haben muss. Im Prinzip, muss ich sagen, bin ich aus verschiedenen Gründen, unter anderem der Ausbildungslage, der Situation dort, auch der Kompetenz der Leute durchaus optimistisch, was die estnische wirtschaftliche Entwicklung anbelangt.

Hatting: Estland gehört seit dem 1. Januar zum Klub der Euroländer. Das war ein Gespräch mit Wolfgang Drechsler, er ist Professor für Staatswissenschaften an der Technischen Universität Tallinn. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Drechsler: Vielen Dank meinerseits!

Links bei dradio.de:
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