Brauchtumspflege auf Plattdeutsch

Von Gerhard Richter |
Das Dorf Born liegt in der Nähe von Ahrenshoop auf dem Darß. Die 22 Sänger des Borner Dorfensembles singen deshalb vor Reisegruppen, in Hotels und Kurkliniken. Sie wollen aber nicht nur Touristen unterhalten, sondern vor allem das kulturelle Erbe des norddeutschen Dorfes pflegen und weitergeben.
Ein plattdeutsches Trinklied, schon Hunderte Male gesungen, niemand hat's gezählt.

Helga Mau: "Und das ist eben so verwurzelt bei den Leuten doch, kommt gleich Stimmung auf, und dann geht’s los ja, und wir haben so oft gefeiert mit diesen Liedern und wenn erklingt 'Süßer, hast ma'n'lütten Sluck', ja Prost, dann kommt Freude auf."

Das Borner Dorfensemble trifft sich meist montags zu den Proben im Sommertheater, einer kleinen Bühne für die Urlaubsgäste. Im Nebenraum, wo sich sonst die Schauspieler umziehen. Zweireihige Neonröhren, Laminatfußboden, ein paar Reihen Stahlrohrstühle mit bordeaux- und zimtfarbenen Polstern. In einer Ecke stapeln sich alte Koffer mit Requisiten, in der anderen Ecke sitzt Thomas Kampf am Klavier. Seit zwei Jahren ist er der Chorleiter.

Thomas Kampf: "Okay, ich fang jetzt mal an, und dann kommt immer auf die Eins, wenn ihr schon ein bisschen mitschunkeln wollt, ja, also Gospelschritt ist immer auf die Eins, ba ba ba ba, huuhhhm. So, ihr habt jetzt mal ein paar Sekunden Zeit, euch da einzuschnipsen und einzuschunkeln, und dann singen wir einfach mal, so wie's kommt."

Thomas Kampf greift in die Tasten. Der 30-Jährige arbeitet im Nachbarort als Lehrer für Deutsch und Englisch. Eigentlich kommt er aus Sachsen, hat im Dresdner Kreuzchor gesungen. Er hat eine Gesangsausbildung und leitet noch andere Chöre. Gospelmusik ist sein Lieblingsgenre und die 22 Sängerinnen und Sänger aus Born lassen sich gern auf was Neues ein.

Die eigentliche Kernkompetenz des Borner Dorfensembles ist aber das plattdeutsche Liedgut. So hat der Chor angefangen, 1982 war das, zu tiefsten DDR-Zeiten. Der erste Auftritt war eine Modenschau in der historischen Tracht der Darßer Frauen, erzählt Elke Segebarth:

"Also im bunten Rock, mit weißer Bluse, Teeschürze und genähter Haube. Und da sind wir zu dritt eigentlich über diesen Laufsteg gelaufen, mit Heuharke und Weinkrug und es war immer die Idee, die Folklore zu erhalten und die Tradition zu pflegen, und daraus ist 'ne Tanzgruppe geworden."

Aus der Tanzgruppe wurde dann eine Singgruppe, weil zu einigen Tänzen auch gesungen wird. Zum Beispiel beim sogenannten "Kegel", der bis in die 50er-Jahre auf dem Darß modern war.

"Schatz bleib hier, du weißt ja nicht wie's Wetter wird, Schatz bleib hier, du schläfst heut Nacht bei mir."

Elke Segebarth: "Der wurde Punkt zwölf auf jedem Borner Saal getanzt, den haben wir wieder ausgegraben, mit Hilfe von ganz alten Bornern, der uns das gezeigt hat, dann hatten wir einen Akkordeonspieler. Und dann sind zehn Frauen zusammengekommen und dann wurde die Ostseewelle noch dazu gesungen und dann ging es vom FDGB alle 14 Tage zur Urlauberbetreuung."

"Und letztlich kamen wir dann dazu, Programme zu machen, zum Jahrestag der Republik und da haben wir keine politischen Programme gemacht, sondern haben Programme gemacht zum Erntedankfest, Erntebräuche, Hochzeitsbräuche, und so hat sich das entwickelt."

Die jüngste im Chor ist Luise. In dem Lied vom traurigen einsamen Mädchen singt sie das Solo. Sie ist 14 und der einzige Teenager zwischen all den Erwachsenen. Von den anderen Jugendlichen in Born interessiert sich sonst niemand fürs Dorfensemble.

Luise: "Ja das ist nicht deren Musikrichtung, so wirklich, also die hören andere Sachen und würden auch nie hier mitmachen irgendwie, einfach - was weiß ich - weil's denen peinlich ist oder so, aber bei mir ist das halt anders."

Wenn Luise mit der Schule fertig ist, wird sie vermutlich weggehen, wie viele Chormitglieder vor ihr. Im Urlaubsort Born gibt es zu wenig Ausbildungs- und Arbeitsplätze.

Helga Mau: "Es sind leider sehr viele hier weggezogen, weil man irgendwo halt auch seinen Lebensunterhalt verdienen muss, und das ist für uns auch ein bisschen nachteilig gewesen, dass nicht so viele … aber wir haben dann auch wieder ganz viele dazubekommen aus den alten Bundesländern, den verbrauchten, und denen macht das auch Spaß und für uns ist das ganz toll."

Vor Reisegruppen, in Hotels oder Kurkliniken singt das Borner Dorfensemble. Und für die Stimmung unter den 1200 Einwohner ist es auch ganz gut, wenn man mit einem gemeinsamen Lied anstoßen kann.

"So, wer will keinen? Prost!"

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.