"Braucht Bildung Religion - braucht Religion Bildung?"

Von Susanne Mack |
"Braucht Bildung Religion, braucht Religion Bildung?" - das war Thema eines Podiumsgespräches in Erfurt. Eingeladen hatte die Bertelsmann–Stiftung, die zurzeit ein Forschungsprojekt über "Die Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft" betreut.
Widl: "Mindestens die monotheistischen Religionen gehören ganz eindeutig in den öffentlichen Bereich. Weil die Verantwortung für die Gestaltung der Kultur und der Gesellschaft, jedenfalls im Christentum, ein ganz zentrales Thema darstellt."

Das erklärte Maria Widl, Professorin für Pastoraltheologie an der Erfurter Universität, aus dem katholischen Österreich stammend. Und für Arnd Brummer, Chefredakteur der evangelischen Zeitschrift "Chrismon", gehört Religiosität ganz einfach zum Mensch-Sein.

Brummer: "Jeder Mensch hat religiöse Gefühle, Religionsgemeinschaften haben die Aufgabe, ihm Gegenstände zu liefern, an denen er diese religiösen Gefühle fest machen kann."

Keinerlei Einsprüche von Seiten der anderen Gesprächspartner.
Das war schon merkwürdig, ein solch "gläubiges Einvernehmen" auf einem Podium in Thüringen zu erleben, in Thüringen, wo doch die "Ungläubigen", genauer: die Nicht-Konfessionsgebundenen, in der Überzahl sind. Zumindest laut Statistik. Fast zwei Drittel der Bevölkerung gehören keiner Kirche an.

Die Bertelsmann-Stiftung hatte schon mit der Besetzung des Podiums dafür gesorgt, dass eine wirklich streitbare Diskussion nicht stattfinden konnte, denn eine solche lebt nun mal von pro und contra, und "contra" hatte auf dem Podium keinen Platz. Dem Publikum im Saal missfiel das durchaus. Nach rund einer Stunde Gespräch hatte es endlich Gelegenheit, sich zu äußern und monierte sogleich die Abwesenheit Nichtreligiöser in dieser Experten-Runde.

Tiefensee: "Ich bedaure es etwas, dass diese Gruppe nicht auf dem Podium vertreten ist. Denn die hätte wahrscheinlich noch sehr interessante Beiträge geliefert zu dem Thema. Es ist, glaub’ ich, für die Gesprächskultur mit Nichtreligiösen nicht sehr dienlich, wenn sie auf die Art und Weise einfach mit eingesackt werden."

Eberhard Tiefensee, Professor für Philosophie an der Erfurter Universität.
"Bildung braucht Religion " – Das galt auf dem Podium a priori als ausgemacht. Ob Religion denn auch Bildung braucht, ob, wer Religion mit der Muttermilch eingesogen hat in einem christlichen Elternhaus, ob der sich vielleicht auch mal mit der Geschichte des Atheismus beschäftigen sollte, darüber wurde an diesem Abend erst gar nicht gesprochen. Man verlegte sich lieber auf bequemere Frage wie diese:

Gehler: "Wie kriegen wir die Religion praktisch in die Bildung rein? Man muss doch überlegen, wieso gerade im Moment Schulen in kirchlicher Trägerschaft, Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft einen enormen Zulauf haben. Woran liegt’s, kann mir jemand hier vorn eine Antwort geben?"

Moderator Matthias Gehler.
Gerade christliche Schulen seien eben dafür bekannt, dass ihnen "Bildung" mehr bedeute als die bloße Vermittlung von Lernstoff, erklärte Arnd Brummer von der Zeitschrift "Chrismon":

"Dieses Menschenbild, dass die Bildung für die Kinder da ist, und nicht die Kinder für ein Wissenssystem, das ist der Grundgedanke vieler reformpädagogischer Modelle, und die kirchlichen Schulen sind da in der Regel beweglicher als staatliche Schulen, solche reformpädagogischen Modelle aufzunehmen. Christentum erfüllt keinen Zweck; Bildung erfüllt keinen Zweck…"

Nordhofen: "Thomas Mann hat das das "Übernützliche" genannt. Das, was sozusagen dem Kalkül des Nutzens entzogen ist."

Ergänzte Eckhard Nordhofen, Dezernent für Bildung, aus dem Bistum Limburg angereist. Maria Widl dagegen meinte, man könne Religion durchaus auch unter dem Aspekt ihrer Nützlichkeit betrachten – als Arbeit an der Kultur.

Widl: "Die antike Welt hat ja die Arbeit den Sklaven überlassen. Die Tradition der Benediktiner, also einer kirchlichen Mönchstradition, hat dann eine ganz andere Richtung hervorgebracht, die sich kristallisiert hat in diesem " ora et labora": Gestalte die Arbeit, wie wenn sie Gebet wäre, das Gebet lass’ durch die Arbeit hindurchfließen. Diese Fähigkeit, in der Entspannung zu arbeiten anstatt im Stress zu arbeiten."

Ob nun primär zweckfreie Reflexion oder doch Kultur-Arbeit: Auf alle Fälle gehöre Religionskunde unbedingt in den Bildungs-Kanon unserer Schulen, meinte Arnd Brummer.

Brummer: "Religionsgeschichtliches Wissen über die prägende Kraft des Christentums in Europa und über die prägende Kraft des Islam in weiten Teilen der Welt gehört zum Kern - content europäischer Bildung. Möglicherweise auch zum Beispiel endlich die Überwindung unseres Karl-May-Wissens vom Islam in diesem Land."

Das war das Stichwort für Jamal Malik, Professor für Islam-Wissenschaften an der Erfurter Universität:

Malik: "Also, die Karl-May-Geschichte ist natürlich sehr interessant. Na, ist insofern interessant, weil es in der Tat das Islam-Bild stark prägt, vor allem in Deutschland."

Der Professor meinte, man müsse hierzulande dringend über das Thema "interreligiöse Bildung" nachdenken.

Malik: "Ich weiß, dass es so einen Versuch in Hamburg gibt: "Religion für alle". Da sitzen also verschieden Gruppen miteinander, und das läuft auf Gemeinde-Ebene. Interessant ist nur, dass diese Initiative große Kritik gerade aus der katholischen Kirche kriegt, der Träger ist, glaub’ ich, eine evangelische Initiative."

Eckard Nordhofen als Vertreter der katholischen Seite mochte sich in dieser Sache lieber nicht positionieren, sondern blieb eher vage.

Nordhofen: "In dieser pluralistischen Situation muss ich mich mit den anderen beschäftigen, kann ich mich nicht nur mit meiner eigenen Religion beschäftigen, und ich muss wissen, was ungefähr mit meinem Banknachbarn los ist, was der so im Kopf hat, was der will. Und das Ganze braucht aber eine Voraussetzung, einen Grundpakt, und das ist die Frage, die auch die Gesellschaft als ganze sich stellen muss: einen Grundpakt, der da heißt: Wir haun’ uns nicht."
Am Ende der Diskussion kamen alle Gesprächspartner noch einmal überein: Der Grundstein für echte religiöse Bildung müsse in der Kindheit gelegt werden.

Wobbe: "Es beginnt bereits im häuslichen Bereich, in der Sozialisation. Also, dieser familiäre Bereich ist sehr wichtig für die Religion,"

erklärte Theresa Wobbe, Professorin für Soziologie.

Widl: "Wir wissen bis heute, dass Religion maßgeblich über die Familie weitergegeben wird, und dort, wo sie über die Familie nicht mehr tradiert wird, bekommen auch die Kirchen ein Problem mit der Weitergabe des Glaubens."

Maria Widl. Und Arnd Brummer ergänzte:

"Werte werden nicht gepredigt, Werte werden gelebt. Und wenn Sie fragen, was den Leuten die wichtigsten Personen sind, wir haben da neulich ’ne Umfrage gemacht in "Chrismon", da ist als Vorbild, als Nummer eins, nicht irgendein weiser Lehrer, sondern die Mutter!"

Auf diesem Podium hat leider keine Mutter gesprochen. Auch kein Lehrer, kein Schüler, kein Student. Nur Doktoren und Professoren. Die hatten zweifellos auch Interessantes zu bieten, aber sie hätten es verdient gehabt, dass man ihnen kräftig widerspricht. Dann hätten sie an diesem Abend vielleicht etwas weniger dozieren können und dafür etwas mehr überzeugen müssen– überzeugen im Interesse der Sache: im Interesse einer Allianz von Bildung und Religion, oder doch zumindest von Bildung und Wissen über Religion.