Braten ante portas

Von Tina Hüttl · 23.12.2012
Der Berliner Koch Martin Hasselberger bietet ein Enten- und Gänsetaxi. Mit seinem Lieferservice bringt er gebratene Weihnachtsvögel inklusive Knödel, Rot- und Grünkohl bis zur eigenen Haustür. Besuch bei einem, der sich nichts sehnlicher wünscht, als dass Weihnachten endlich vorbei ist.
"Heute mache ich kein à la carte, war gestern allein in der Küche und hatte vier Veranstaltungen, plus Ententaxi. Das war so Kopfkino, ich habe es alles zeitlich hin bekommen, aber die Spülkräfte oder die Hilfskräfte in der Küche haben alle nur gesagt, der hat ne Macke."

Die Tür der Teichterrasse bleibt heute zugesperrt. Michael Hasselberg reicht es. Der Koch hängt mehr am Bistrotisch, als dass er steht. Darauf ein paar Tannenzweige mit Silberkugeln. Wäre nicht die Weihnachtsdeko, der geflieste Gastraum hätte den Charme eines Großraumbüros.

Es gibt viele Stühle, heute zum Glück leer. Gestern hat Hasselberg hier 60 Personen bekocht, mit Gänsebraten, Brust- und Entenkeulen, mit Wildgulasch und Preiselbeeren und einem Jungschweinerücken, in den er Backpflaumen gefüllt hat. Das war die leichte Übung.

Daneben hat er noch drei Buffets ausgerichtet, für 140, 80 und einmal 50 Leute, alles Betriebsweihnachtsfeiern. Hasselberg ist nicht nur Küchenchef der Teichterrasse, er arbeitet zudem als Caterer und beliefert das Enten- und Gänsetaxi.

"Ich habe immer einen Sprachfehler, ich kann nicht Nein sagen, also kommt das dann auch noch dazu, plus Ententaxi. Und das Ententaxi ist von Donnerstag bis Sonntag begrenzt, und dann gehen am Wochenende hier 40 bis 50 Enten und Gänse raus."

Er rafft sich auf, geht durch die Schwingtür zur Küche durch. Ein Kickertisch hätte hier drinnen keinen Platz, der Gang zwischen Herd und Arbeitsfläche ist eng, der Steinboden glatt, vielleicht vom Wasserdampf, vielleicht vom Bratenfett der Gänse:

"Die sieben Vögel gehen jetzt alle um 16 Uhr raus, das sind alles Lieferungen, die kriegen die Kunden nach Hause. Dann die 18-Uhr-Gans habe ich noch, hier hinten sind die nächsten Vögel, noch mal drei."

Michael Hasselberg geht weiter zur Kühlkammer - neue Ware holen. Von Sankt Martin bis zum letzten Weihnachtsfeiertag schleust er hier um die sechs Tonnen Gänse und Enten durch.

"Hier habe ich Gänsebrüste, noch mal ganze Gänse, Gänsekeulen, hier ist schon alles vorbereitet fürs Buffet nachher, Apfel-Fenchel-Salat, Lebkuchen-Tiramisu, und hier ist die Seite, wo ich meine ganzen Enten lagere, die ich heute Abend noch brauche."

Die gerupften Gänse- und Entenkörper liegen in Kisten, mannshoch übereinandergestapelt, der Koch greift sich die obersten. Seit 6:30 Uhr ist er heute wach. In der Früh hat er als Erstes 100 Portionen Tiramisu gerührt und in 100 Plastikschälchen gefüllt.

Hasselberg ist blond und von Natur aus eher blass, so wenig Farbe hatte sein Gesicht aber wohl noch nie. Es sieht überarbeitet aus und älter als 40.
Auch zu Hause ist Hasselberg momentan ein Phantom:

"Meiner Frau schreibe ich dann bloß einen Zettel, koche ihr morgens einen Kaffee, weil ich schon weg bin, die freut sich auch, wenn Weihnachten dann vorbei ist."

Die Idee, fertig gebratene Weihnachtsvögel samt Rotkohl, Klößen und Soße Kunden nicht nur im Restaurant, sondern auch für zu Hause anzubieten, hatte Michael Hasselberg schon vor Jahren. Bisher mussten die Kunden ihren Braten selbst abholen. Seit letztem Jahr hat er mit einem Kompagnon das Enten- und Gänsetaxi gegründet. Jetzt kann er liefern, bis zur Haustür, in ganz Berlin:

"Man muss nur Namen finden, wie man das Kind nennt. Jetzt inzwischen sind wir bei 500 bis 600 Vögeln."

Bis nach Weihnachten ist noch viel zu tun, Hasselberg eilt wieder Richtung Küche, wo sie gerade Kartoffelknödel machen.

Der Ofen läuft, 150 Gänse und Enten schafft er am Tag, wenn es sein muss, im Dreistundentakt schiebt er sie rein und raus. Hasselberg mag seine Arbeit, mit 26 macht er eine Kochausbildung. Sein Körper, erzählt er - während er die Gänse mit Orangensaft übergießt - ist allerdings nicht ganz so stressresistent:

"Mit 33 habe ich schon ans Aufhören gedacht, weil da hatte ich meinen ersten Herzinfarkt, weil es einfach zu viel war. Da war ich teilweise morgens um vier in der Küche habe bis 22 Uhr durchgezogen, und das sieben Tage die Woche. Da gab es kein frei. Da hatte ich meine eigene Cateringfirma."

In der engen Küche arbeiten sie nun zu dritt, die zwei angestellten Köche füllen den Rot- und Grünkohl in Thermoschachteln ab. In ein paar Minuten kommt das Enten- und Gänsetaxi, bis dahin muss alles portioniert und verpackt sein. Für viele ist so ein Herzinfarkt ein Warnschuss, bei Michael Hasselberg kam er im Frühjahr, nachdem das Weihnachtsgeschäft vorbei war. Er hat gelernt, ruhig zu bleiben, wenn in der Küche nicht alles schnurrt. Aber Kürzertreten? Das fällt ihm bis heute schwer:

"Ich kann doch immer nicht Nein sagen. Na mein Schwager hatte mir letztens zum Geburtstag eine CD geschenkt, wo er die ganze Zeit Nein darauf gesprochen hat. Und er sagte: 'Abends vor dem Schlafen gehen, hörst Du Dir das an und irgendwann geht es weg, dann biste geheilt.' Aber ich glaube das kann ich nicht."

Nach den Weihnachtsfeiertagen will Hasselberg bis Silvester gar nichts machen, sagt er. Und dann: eventuell doch die eine oder andere Veranstaltung.

Er schöpft mit einer Kelle heiße Kartoffelknödel aus dem Wasser, immer sechs Stück in eine Aluschale - mit einer Hand, die andere hält das Handy. Seine Frau ist dran:

"Hasselberg:Vermisst Du mich schon? Ich glaube, ich bin spätestens um neun heut zu Hause. Das ist nicht spät, um elf um zwölf ist spät, um neun ist nicht spät. Ich habe hier noch Weihnachtsfeier und Ententaxi auch den ganzen Tag. Da ist nichts spät, bald ist Weihnachten vorbei."

"Bald ist Weihnachten vorbei" - mit diesem Satz vertröstet er sie gerade immer. Seine Frau wünscht sich an Heiligabend ein Essen von ihm, am liebsten eine Gans. Warum sie in Europa zur Weihnachtszeit Tradition hat, darüber hat Hasselberg nie nachgedacht. Keine Zeit. Er wird sie für zu Hause nicht machen. Wenn er morgen Abend aus der Küche kommt, will er Fisch essen, am liebsten im Restaurant.
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