Wahl in Brasilien

Angst vor Gewalt, Hunger und einem Staatsstreich

09:44 Minuten
Präsident Jair Bolsonaro bei einer Militärparade anlässlich der Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Brasiliens.
"Räuberische Elite": Präsident Jair Bolsonaro bei einer Militärparade anlässlich der Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Brasiliens. © picture alliance / dpa / Mateus Bonomi
Jessé de Souza im Gespräch mit Vladimir Balzer  · 27.09.2022
Audio herunterladen
Hoffnungen und Sorgen begleiten den Wahlkampf in Brasilien. Der Soziologe Jessé de Souza erwartet einen Sieg des linken Ex-Präsidenten Lula da Silva, befürchtet aber einen Staatsstreich des rechtspopulistischen Amtsinhabers Jair Bolsonaro.
Der regierungskritische Soziologe Jessé de Souza hofft bei den Wahlen in Brasilien am 2. Oktober auf einen Wahlsieg des linken Präsidentschaftskandidaten Luiz Inácio Lula da Silva. Deshalb ist er aus Europa in seine Heimat zurückgekehrt, die er 2018 verlassen hatte, nachdem der Rechtspopulist Jair Bolsonaro zum Staatschef gewählt worden war.

Parallelen zwischen Brasilien und den USA

"Es sieht danach aus, als ob er sogar in der ersten Runde gewinnen kann", sagt de Souza über die Wahlchancen des früheren Staatschefs Lula, der laut Umfragen führt.
Ein solcher Ausgang der Wahl sei allerdings auch mit Ängsten verbunden. Es werde befürchtet, dass es am Wahltag zu Gewalt oder sogar zu dem Versuch eines Staatsstreiches durch Bolsonaro kommen könnte, sagt der Soziologe - "ungefähr so wie es in den Vereinigten Staaten mit Donald Trump geschah".
Dort hatte der damalige US-Präsident nach der verlorenen Wahl im November 2020 die Ergebnisse angezweifelt und am 6. Januar 2021 seine Anhänger zu einem Sturm auf das Kapitol in Washington ermutigt.
Anhänger des Präsidentschaftskandidaten der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva stehen am Fenster und machen machen mit ihren Händen den Buchstaben "L" in Anspielung auf seinen Namen.
Held der kleinen Leute: Der linke Kandidat Luiz Inácio Lula da Silva führt in den Umfragen.© picture alliance / dpa / Fernando Souza
Ähnliche Vorkommnisse seien durchaus denkbar, weil Brasilien so gespalten sei wie nie, sagt de Souza. Es gebe eine "räuberische Elite", die das Volk ausbeute und hasse. Die weiße Mittelschicht europäischer Herkunft stütze Bolsonaro. "Es ist ein rassistisches Land", urteilt der Soziologe.
Alles, was Lula während seiner Präsidentschaft für Brasilien erreicht habe, sei inzwischen völlig verschwunden. Der armen Bevölkerung, die rund 40 Prozent der Brasilianer ausmache, sei damals mit Programmen gezielt geholfen worden.
Heute gebe es Angst vor Gewalt und einer Hungersnot. Während Lulas Amtszeit sei Brasilien in der Rangfolge der Wirtschaftsmächte vom zwölften auf den sechsten Platz aufgestiegen, betont de Souza. Unter Bolsonaro sei das Land wieder zurückgefallen.

Die Rolle der Medien

Es gehe nun um die Neugestaltung der Gesellschaft, sagt de Souza. Dafür sei auch eine freie, pluralistische Presse notwendig. Die privaten Medien skandalisierten oft und die Bevölkerung bekomme dadurch ein verzerrtes Bild der Lage vermittelt. Für eine Demokratisierung der brasilianischen Gesellschaft würden deshalb öffentlich-rechtliche Medien benötigt, wie in Deutschland: Damit man "verschiedene Meinungen hören kann".
2018 wurde Lula selbst wegen Korruption und Geldwäsche zu einer Haftstrafe verurteilt. Der populäre Politiker konnte deshalb 2018 nicht an der Präsidentenwahl teilnehmen, die Bolsonaro gewann. Im vergangenen Jahr hob der Oberste Gerichtshof das Urteil wegen Verfahrensfehlern auf. Lula erhielt seine politischen Rechte zurück.
(gem)

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema