Brandverletzte Annika Ladewig

Lebenslust trotz Narben wiedergewinnen

07:35 Minuten
Porträt von Annika Ladewig
Bei einem Unfall sind 23 Prozent von Annika Ladewigs Körperoberfläche verbrannt. © Annika Ladewig
Von Natalie Putsche · 09.08.2021
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Bei einem Grillunfall erlitt Annika Ladewig schwere Brandverletzungen. Heute arbeitet die 25-Jährige als Physiotherapeutin in der Klinik, in der sie damals behandelt wurde, mit Patienten mit ähnlichem Schicksal. Das hilft beiden Seiten.
"Hallo, ihr Lieben, heute ein Video von mir und zwar zum Thema Medical Needling. Ihr habt euch gewünscht, dass ich das Medical Needling vorstelle, und somit dachte ich: Machste das mal per Video."
"Im Prinzip kann man auf Deiner Seite auch in den medizinischen Prozess miteinbezogen werden...
"Ja, genau."
Annika zeigt mir ihre Instagram Seite: Gezeichnet durch Brandnarben. Hier informiert sie über schwere Brandverletzungen und teilt Geschichten wie ihre eigene oder die von anderen Betroffenen. Aber auch, um abzuschrecken, weil sie zeigen will, was alles passieren kann. Sechseinhalb Tausend Menschen folgen ihrer Seite inzwischen.
"Und das ist jetzt z.B. ein Operationsverfahren. Da hab‘ ich meine Erfahrungen erzählt. Das ist wie so ‘ne Nadelrolle, die unter Anästhesie über die Narben gerollt wird, um die Beweglichkeit wiederherzustellen und die derben Narben flacher zu machen."
Sieben Jahre ist Annikas Unfall jetzt her.
"Und zwar sind wir aufs Festival gefahren, am 05.06.2014. Wir wollten grillen, und dann hat jemand Spiritus auf den Grill gekippt. Dann gab es eine Verpuffung, er hat sich erschrocken und hat die Flasche weggeworfen, leider in meine Richtung."
Annikas Unterkörper und ihre Hände fingen Feuer. Sie hatte Glück, dass sich jemand auf sie werfen und die Flammen so final ersticken konnte. 23 Prozent ihrer Körperoberfläche sind trotzdem verbrannt. Vor allem ihre Beine.

Anderen Zuversicht schenken

"Okay, mal das Bein strecken. Ja. Und strecken. Und beugen."
Annika Ladewig bei ihrer Arbeit als Physiotherapeutin. Die 65-Jährige Monika soll bald aus der Reha entlassen werden und hat, nach einem schweren Verkehrsunfall, vor allem durch Annika, neue Zuversicht gewonnen.
"Die Annika schafft es tatsächlich, auch wenn man mal einen schlechten Tag hat, einen wieder aufzurichten", schwärmt sie.
"Das Schwierigste war, dass die Wade nicht erhalten werde konnte. Die ist transplantiert worden aus meinem eigenen Rücken."
"Und wieder strecken."
"Da habe ich noch Schmerzen."
"Deshalb machen wir das zusammen. Und wieder strecken. Oberschenkelmuskel schön anspannen. Super."
"Ich habe auch mit Annika viel darüber gesprochen, wie sie mit Blicken von anderen umgeht. Sie hat ja auch die Beine verletzt und den Rücken. Und für mich ist das auch ein Problem: Wie wird das sein, wenn ich am Strand bin? Musst du da jetzt immer ein Tuch drüber decken? Aber sie hat gesagt: Einfach machen und sich trauen. Da ist sie mir auch ein Vorbild."
"Das macht mich unglaublich glücklich, weil genau das passiert, was ich möchte. Dass meine Patienten davon was mitnehmen können, was mir passiert ist. Das ist ja auch ein Grund, warum ich hier arbeite, warum ich Physiotherapeutin geworden bin. Um einfach für andere ein Stück weit Mut machen zu können."
Und auch für sie selbst sei es ein Stück Heilung.
"Man kann aus jeder Begegnung was mitnehmen, was lernen."

Lebenslust war komplett weg

Annika wirkt reflektiert, ist engagiert und wirklich sowas wie eine gute Seele für ihre Patienten, wie eben Monika. Durch ihren eigenen Unfall und die zurückgebliebenen großflächigen Narben, die sichtbaren und sicher auch die nicht sichtbaren, hat Annika nochmal einen ganz anderen Zugang zu den Reha-Patienten, die zur Nachsorge in die u.a. auf Brandverletzungen spezialisierte Moritz-Klinik kommen. Auch Dr. Hans Ziegenthaler, Chefarzt für den Fachbereich Brandverletzungen, teilt sein Wissen auf Annikas Instagram Seite.
"Wir waren ganz froh, dass sie den Weg gefunden hat, weil es sehr ambivalent war, was mit ihrer Zukunft, beruflich, sein sollte. Wir müssen nur gucken, dass die Ansprüche, die wir als gut empfinden, oder die Annika als ihren Weg bezeichnet, dass wir die nicht eins zu eins übertragen auf die Patienten. Aber jemanden in dieser Findungsphase zu haben, der sagt: ‚Mir ging's ähnlich, ich war auch verzweifelt, die Narben sind Teil von meiner Lebensgeschichte‘, da ist Annika definitiv eine große Hilfe für die Patienten."

Zwar hadert auch Annika immer mal wieder mit ihrem Schicksal. Doch liegen Welten zwischen heute und dem Tag vor sieben Jahren, als sie ihre Beine zum ersten Mal nach dem Brandunfall sieht und ihre Lebenslust komplett weg war.
"Und trotzdem hast du in diesem ganzen Prozess, mit dem du ja überhaupt erst mal klarkommen musstest – für dich begann ja zu dem Zeitpunkt ein ganz neues Leben - hast du dein Abi auch noch gemacht."
"Völlig verrückt. Nein, ich wollte mich nicht kleinkriegen lassen von meinem Unfall und sagen: Ich kann jetzt kein Abitur schreiben. Ich wollte das unbedingt schaffen."

Würde sie den Reset-Knopf drücken?

Für ihre Berufsentscheidung war der Aufenthalt in der Reha-Klinik enorm wichtig.
"Ich habe gesehen, was ein Physiotherapeut leisten kann und dass es nicht nur darum geht, zu massieren, sondern darum, Menschen so zu rehabilitieren, dass sie wieder in ihrem Alltag klarkommen. Und es hat mich unglaublich begeistert. Mir war klar: Ich will genau hier arbeiten und die Brandverletzten betreuen."
Und die Begegnungen mit ihren Patienten oder anderen Betroffenen dokumentiert die 25-Jährige auch auf ihrer Instagram Seite, zur Abschreckung und auch als Mutmachgeschichte. Und sie möchte noch mehr...
"Ich möchte Medizin studieren. Einfach aus dem Grund, weil ich in der Brandverletztenszene noch was erreichen will. Ich möchte dann auch hier zu dieser Klinik und von Dr. Ziegenthaler lernen. Und dass er mich dann quasi auch hier im …"
"... Ärzteteam mit aufnimmt."
"Ja, genau."
Annika Ladewig ist für ihre Patienten und ihre Follower zu einem Vorbild geworden, angetrieben durch ihre eigene Unfallerfahrung. Und auch, wenn sie seit sieben Jahren zielgerichtet nach vorne schaut, sei auch sie immer noch mitten in einem Prozess. Diese Ehrlichkeit brauche es-, vor sich selbst und für die anderen.
"Natürlich ist es so, dass ich mich oft frage: Was würde ich tun, wenn es einen Reset-Knopf geben würde. Und aktuell würde ich sagen: Ich würde ihn drücken. Auch wenn ich stolz bin, auf das, was ich jeden Tag mache. Aber ich würde ihn drücken. Und ich weiß nicht, wer ich dann wäre. Ein ganz anderer Mensch, würde ich sagen. Vielleicht noch oberflächlich und naiv, auf jeden Fall nicht so ein Mensch wie heute, nicht so stark, nicht so zielorientiert."
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