"Brutalität wird selbstverständlich"
35:09 Minuten
Charly Graf gilt in den 1960er-Jahren als deutsche Hoffnung im Schwergewichtsboxen. Die Presse bejubelt ihn als “Cassius Clay vom Waldhof”. Doch Graf driftet ins Rotlichtmilieu ab. Bis ausgerechnet die Begegnung mit einem Terroristen alles verändert.
Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter wächst Charly Graf in den Mannheimer Benz-Baracken in ärmlichen Verhältnissen auf. Er gilt als sogenanntes Besatzungskind, entstanden aus einer Beziehung mit einem US-amerikanischen Soldaten. Schon früh erfährt er Rassismus und Ablehnung: "In der Schule haben sich Eltern beschwert: Ich durfte nicht neben ihren Kindern sitzen, wurde dann zurückgesetzt in die letzte Bank, alleine."
Sein Kapital ist sein Körper: Mit 17 Jahren wird Graf Profiboxer, gewinnt fast alle Kämpfe durch K.o. in der ersten Runde. Er gilt als außergewöhnliches Talent mit riesigem Potenzial. Doch der Erfolg währt nicht lange: Er wird schlecht beraten, hat keine Taktik. Im Kampf gegen einen erfahrenen Gegner kassiert er seine erste Niederlage: "Mir ging es schlecht, für mich ist eine Welt zusammengebrochen." So wie andere Jungen Mechatroniker oder Malermeister werden wollten, "so habe ich mir gedacht: Ich werde Box-Weltmeister!"
Doch aus dem Traum wird nichts. Graf zieht sich enttäuscht aus dem Boxsport zurück. Es folgen Jahre im Mannheimer Rotlichtmilieu, der Ex-Boxer macht sich schnell einen Namen in der organisierten Kriminalität. Zunächst als Türsteher, später als Zuhälter und Betreiber illegaler Spielcasinos.
Die Liste seiner Verbrechen ist lang. Wegen schwerer Körperverletzung, Vergewaltigung, Zuhälterei und dem Betreiben von Spielhöllen wird er insgesamt zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Von Einsicht keine Spur. Bis Graf ins Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim verlegt wird. Dort trifft er auf den ehemaligen RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock. Ausgerechnet der bringt den Ex-Schwergewichtsboxer dazu, sein Leben zu ändern.
Klaus Schirmer erzählt in dieser Sendung die Geschichte des Boxers Charly Graf – es ist die Geschichte eines Mannes, der viele falsche und einige richtige Entscheidungen getroffen hat.