Bourgeoisie, Swing und Molotow-Cocktails

Von Jochen Stöckmann · 12.07.2013
Die private C/O-Galerie ist mittlerweile wohl die wichtigste Berliner Kunstinstitution in Sachen Fotografie. Annie Leibovitz und Peter Lindbergh haben dort schon ihre Arbeiten gezeigt. Im Frühjahr musste die Galerie das Postfuhramt im Bezirk Mitte verlassen. Jetzt hat sie im Amerika-Haus mit einer Freiluftschau wiederöffnet.
"Unser junges Publikum, das wir im Postfuhramt hatten – und wir haben einfach die größte Facebook-Community aller deutschen Museen mit über 41.000 Followern – ob dieses junge Klientel mitkommt, das ist eine große Frage. Das Gebäude wird nicht so rough sein, wie es im Postfuhramt war. Und wir werden natürlich im Amerikahaus auch durch den Umbau musealer."

Kurator Felix Hoffmann hat vor dem ehemaligen Amerikahaus im Berliner Westen, einem schnörkellosen zweigeschossigen Flachbau der späten Fünfziger, die erste Ausstellung eingerichtet, eine Freiluftschau: Unter dem Titel "Bourgeoisie, Swing und Molotow-Cocktails" versuchen die Fotoleute sich an einer kulturgeschichtlichen Spurensuche in der Umgebung des Bahnhof Zoo, zeichnen nach, wie hier um 1900 die "Secession" entstand mit Malern wie Liebermann und Slevogt, wie in der "Villa d’Este" erst der Swing Einzug hielt und dann eine Kunsthalle entstand, in der unter den Nazis bereits Fotografie ausgestellt wurde – Farbaufnahmen von Hitlers Leibfotografen Walter Frentz. Und da knüpfte, wenn auch unter entgegengesetzten Vorzeichen, das Amerikahaus an:

"Es gab eben in Westberlin relativ wenig Kulturorte, sodass Amerikahäuser so wichtig waren, um Fotografie überhaupt anschauen zu können. Und dann gab es in Deutschland in den siebziger Jahren die erste Robert Rauschenberg-Ausstellung überhaupt im Amerika-Haus!"

Zur Eröffnung 1957 gab es Fotos von Will McBride, auch Gordon Parks stellte hier aus. Darüber hinaus hatte jedes Amerikahaus eine Bibliothek und ein Kino, architektonische Funktionsbereiche, die künftig so nicht mehr gebraucht werden: Die C/O Galerie hat sich, auch als Reaktion auf die finanziell aufreibenden Querelen um das Domizil im Postfuhramt, organisatorisch neu aufgestellt:

"C/O Berlin ist eine operativ gemeinnützige Stiftung geworden. Und um vom Land Berlin als eine solche anerkannt zu werden, mussten wir einen musealen Hintergrund nachweisen. Und wir werden auch, soweit wir uns das überhaupt erlauben können, sammeln. Das Museum für Fotografie konzentriert sich ja eher auf Fotografie historischer Natur vor 1945. Dann gibt es die Helmut Newton Foundation, die sich eher mit Mode auseinandersetzt. Und wir werden ein Programm haben, wo es sehr stark um junge Positionen geht."

Damit wäre die neu konzipierte C/O-Galerie eine ideale Ergänzung zum Fotomuseum, das gleich gegenüber residiert, unter einem Dach mit der Stiftung des vor einigen Jahren verstorbenen Starfotografen Helmut Newton. Auf dessen Lehrmeisterin, die 1942 von den Nazis umgebrachte Mode- und Porträtfotografin Yva, weist direkt hinter dem ehemaligen Amerikahaus ein Straßenschild an der S-Bahn hin, der "Yva-Bogen", dem das besondere Interesse des C/O-Kurators Felix Hoffmann gilt:

"Weil keiner Yva kennt, nur die Fotografieleute kennen die, und das muss man jetzt einfach mal erklären. Wer ist Yva? Wir wollen diesen Bogen auch so gestalten, dass klar wird, das ist der Eingang zu einem neuen Cluster für Fotografie, wo eben wir, die Helmut Newton-Stiftung und das Museum für Fotografie angesiedelt sind."

Dieses derzeit noch virtuelle Zentrum der Fotografie sollte künftig einiges an Strahlkraft entwickeln. Die nämlich hat die angeblich so potente Kunstmetropole Berlin bitter nötig, wie kürzlich die Abwanderung der Sammlung Kicken nach Frankfurt ins Städel Museum gezeigt hat: In die Finanzmetropole am Main hat der Fotogalerist der ersten Stunde seine Kollektion mit mehr als 1000 Arbeiten von Klassikern der Moderne gegeben – möglicherweise auch, weil er in der Hauptstadt das bürgerliche Engagement, die finanzielle Absicherung der Museen durch Mäzene vermisste. Das war, so lässt die C/O-Ausstellung zur Geschichte des Quartiers am Zoo vermuten, nicht immer so:

"Unser frühestes Foto ist aus den 1870er Jahren, und dann sieht man eben auch, dass vereinzelt in den zehner und zwanziger Jahren sich bourgeoise Strukturen gebildet haben, also ein Maurermeister, der sich eine große Villa gebaut hat, die da stand, wo das Amerikahaus heute steht. Und das ist auch wichtig zu betonen, dass es durchaus Großbürgertum in dieser Gegend gab."

Davon konnte wohl schon keine Rede mehr sein, als das Amerikahaus in der Studentenbewegung Ziel gewalttätiger Proteste gegen den Vietnamkrieg wurde. Auf Steinwürfe und Brandanschläge mit Molotow-Cocktails folgte der Niedergang eines Bezirks, der neuerdings Ziel einschlägiger Luxus-Investitionen ist:

"Im September wird eine Ausstellung folgen mit der Agentur Ostkreuz, die sich mit dieser Gegend auseinandersetzen: mit der Obdachlosigkeit, mit den Strichern, aber auch mit dem Waldorf Astoria, das gerade eröffnet worden ist oder den Prada-Läden am Kudamm. Und diese visuellen Eindrücke tragen wir dann in einer Ausstellung zusammen, ebenfalls vor dem Haus."

Spätestens mit dieser open-air-Schau, mit einer öffentlichen Installation, die vor allem Intervention ist, dürfte die neue C/O-Galerie zum alten, aufregend ruppigen Ton zurückfinden: Fotografie nicht als Medium, um etwa Architektur hochglänzend in Szene zu setzen, sondern Fotografie als Austragungsort kreativer Spannungen. Potenzial, das wird jetzt sichtbar, hat die Gegend um das ehemalige Amerikahaus.
Besucher stehen zur Eröffnung der C/O Berlin Open-Air-Ausstellung «Bourgeoisie, Swing und Molotowcocktails, das Amerika Haus im Wandel der Zeit»
Besucher zur Eröffnung des C/O Berlin am 12. Juli© picture alliance / dpa Foto: Marcel Kusch
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