Nora Bossong über den Krieg in der Ukraine

    Deutschland ist mit der Situation überfordert

    Außenministerin Annalena Baerbock im Konfliktgebiet Donbass in der Ukraine. Sie trägt eine schwarze FFP2-Maske, einen Tarnhelm und eine schwarze Schutzweste. Sie ist umringt von Menschen, die ebenfalls Tarn- und Schutzkleidung tragen.
    Außenministerin Annalena Baerbock im Konfliktgebiet Donbass in der Ukraine. © picture alliance/dpa
    Die Autorin Nora Bossong stellt der deutschen Außenpolitik im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine kein gutes Zeugnis aus. Vor allem mit Annalena Baerbock geht sie hart ins Gericht. Über deren Generation hat Bossong jüngst ein Buch veröffentlicht.
    Die Schriftstellerin Nora Bossong beurteilt die Außenpolitik Deutschlands im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine kritisch. Die deutsche Strategie der versuchten diplomatischen Deeskalation erscheine an diesem Tag „sehr gescheitert auszusehen“, sagt sie. Deutschland – und insbesondere die Außenministerin und der Bundeskanzler –, hätten sich „zwischen Russland und die Ukraine gestellt“.

    Baerbock fehle die "charakterliche Reife"

    Es sei „ein hochproblematischer Ausspruch“, wenn die Außenministerin sage, ‚Wir haben eine historische Verantwortung gegenüber allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion‘ – dies in einem Moment, in dem Russland bereits eine Drohkulissen an den Grenzen der Ukraine aufbaue. „Da, glaube ich, hat sie die Geschichte nicht ganz richtig verstanden – oder die Gegenwart.“ Baerbock fehle hier „eine charakterliche Reife, die sie jetzt ein bisschen tragisch aussehen lässt.“
    Die Generation der heute um die 40-Jährigen hat in einer Welt gelebt, in der „das Entdramatisierende immer überwogen“ habe, sagt Nora Bossong. Die 39-jährige Schriftstellerin hat den Fortysomethings von heute ihr aktuelles Buch „Die Geschmeidigen“ gewidmet.
    Diese Generation fokussiere vor allem auf das eigene Vorankommen. Zugleich mangle es ihr an ernsthafter politischen Auseinandersetzung, „an einem wütenden Aufstehen, wie man es beispielsweise bei den Jüngeren jetzt im Rahmen der Klimaproteste mitbekommt.“

    Politische Passivität wurde gefördert

    Die Neunzigerjahre gelten oft als ein Jahrzehnt, in dem Demokratie und Wohlstand quasi wie von allein immer mehr würden. Das stimme natürlich nicht, sagt Bossong. Zum einen seien die Neunziger beileibe kein friedliches Jahrzehnt gewesen. Es sei aber vor allem fatal zu glauben, dass die Geschichte sich immer zum Besseren wendet. „Das ist etwas, das natürlich politische Passivität fördert.“
    Ihrer Generation mache sie den Vorwurf: „Dass man zu wenig verstanden hat, dass politisches Handeln mehr bedeutet, als auf dem Sofa zu sitzen und irgendwas bei Facebook anzuklicken.“
    Die Rückkehr der alten Drohkulissen
    Mit dem Krieg in der Ukraine seien nun allen die Drohkulissen wieder da, von denen man in den Neunzigern geglaubt habe, man dürfe sich von ihnen verabschieden – etwa Nuklearwaffen oder ein Angriff auf Tschernobyl.

    Ich glaube, wir haben gesellschaftlich den Fehler gemacht, uns zu früh zu sicher zu fühlen.

    Nora Bossong

    Dennoch will die Schriftstellerin in dem Konflikt nicht alle Hoffnung aufgeben. Es könne auch ein Urvertrauen geben, dass man auch die stärksten politischen Konflikte lösen könne. Dies habe sich mit dem Ende der Sowjetunion und insbesondere mit der Wiedervereinigung Deutschlands gezeigt. „Darauf möchte ich doch ein bisschen hoffen“, sagt Bossong.
    Dennoch scheine ihr, dass insbesondere Deutschland, aber insgesamt der Westen überfordert sei mit einer Situation, die sich nicht mehr in einer friedlichen Kulisse einfangen lasse.
    (tmk)

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