Bosnien-Herzegowina noch immer zerrissen

Moderation: Jürgen König |
Auch zehn Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton ist das ehemalige Jugoslawien nach Angaben des Leiters des Goethe-Instituts in Sarajewo, Michael Schroen, zerrissen. Bislang habe die Regierung es versäumt, für die Einigung von Bosnien-Herzegowina zu werben, beklagt zugleich Nazif Hasanbegovic. Er ist Leiter einer Werbeagentur, die für den Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina wirbt.
König: Heute vor zehn Jahren beendete das Friedensabkommen von Dayton den dreieinhalbjährigen Bürgerkrieg zwischen Serben, Kroaten und Muslimen in Bosnien-Herzegowina. Seither herrscht Frieden, jedenfalls von außen besehen, aus dem Land ist zu hören, dass die Trennung in den Köpfen fortbesteht und das wundert einen ja auch nicht.

Was kann man nun tun, um diese inneren Barrieren zu überwinden? Darüber wollen wir sprechen mit Michael Schroen, dem Leiter des Goethe-Instituts in Sarajevo, das eine Initiative unternommen hat in Zusammenarbeit mit der Werbeagentur Concept Metropolis Communications, abgekürzt CMC, aus Sarajevo. Ziel dieser landesweiten Werbekampagne ist es, nationalistischen Bestrebungen entgegenzuwirken und die Bürgerinnen und Bürger anzuregen, sich mit ihrem jungen Staat Bosnien-Herzegowina zu identifizieren, der wiederum sich auf dem Weg nach Europa befindet.

Michael Schroen ist ins Studio gekommen, ist in Begleitung von Nazif Hasanbegović von der Werbeagentur CMC, willkommen! Vielleicht reden wir zuerst über die Schwierigkeiten und danach über die Ansätze, sie zu lösen. "Die Trennung in den Köpfen besteht weiter", heißt es auch in einem Pressetext aus Ihrem Hause. Woran merkt man das, können Sie einige Beispiele nennen?

Schroen: Ja, sehr gerne. Der Tourist, der nach Sarajevo kommt, bekommt eigentlich eine Stadt mit, die wieder intakt ist. Aber jemand, der längere Zeit dort lebt - ich mittlerweile drei Jahre, oder Herr Hazanbegović schon seit seiner Geburt -, dem fällt auf, dass dieses Land von einer Misstrauenskultur geprägt ist. Die von Ihnen erwähnten drei Gruppen leben in einer fraktionierten Gesellschaft.

Ich möchte ein Beispiel hervorheben: Als in Banja Luka, der Hauptstadt der serbischen Republik, vor wenigen Wochen 75 Jahre Nationaltheater gefeiert wurde, hat man die serbische Nationalhymne gesungen und nicht die bosnisch-herzegowinische, man hat danach die Gäste aus Belgrad begrüßt, aber nicht die Gäste aus Sarajevo oder aus Zagreb, und man hat - zu guter Letzt - noch ein Stück gewählt, das den Titel trägt "Der heilige Georg tötet den Drachen" und was nichts anderes ist als eine politische Mythenbildung der Opferposition der Serben.

Das ist nur ein Beispiel aus dem Kulturbereich, das Ihnen zeigt, dass diese Gesellschaft noch weit davon entfernt ist, in einem gemeinsamen Staat an gemeinsamen zivilgesellschaftlichen Zielen zu arbeiten.

König: Ist das auch eine Frage der Generation? Hat das was mit Alten und Jungen zu tun? Wer reagiert wie?

Hasanbegović/Schroen: Nazif sagte gerade, dass die junge Generation natürlich von einer besseren Gesellschaft träumt. Dass ihr aber auch bewusst ist, dass die Menschen dort noch in einem "kalten Frieden", wie wir das gerne sagen, leben, also weit davon entfernt noch von einer positiven Gemeinwohlbestimmung für das ganze Land.

König: Sie wollen mit Ihrer Kampagne ausdrücklich nationalistischen Bestrebungen entgegenwirken. Welche gibt es?

Schroen: Wir haben in dem Land das Problem, dass die Wahlen gewonnen werden von ethno-nationalistischen Parteien - und nicht von Parteien, wie wir sie kennen, die sich aufsplittern in das klassische politische Spektrum liberaler, sozialdemokratischer, christdemokratischer Parteien. Das gibt es in Bosnien nicht. Wir haben dort nationalistische Parteien der Serben, der Kroaten und der muslimischen Bosniaken.

Das Problem, das wir immer wieder sehen, ist das bosnische Paradox, dass nämlich jeder Clanführer eigentlich ein Interesse daran hat, dass die beiden anderen auch stark sind. Denn die Stärke der anderen bedeutet auch die eigene starke Position vor der eigenen Gruppe. Das führt zu einem Dilemma, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die internationale Gemeinschaft diesen Staat ja möglichst schnell in einen normalen europäischen demokratischen Staat führen möchte, der sich selbst reguliert.

König: Das heißt, dieser Staat hat für sich keine Fürsprecher, sondern nur die einzelnen Clans?

Schroen: Dieser Staat hat unter den Bosniaken die stärksten Befürworter. Die Bosniaken waren ja auch diejenigen, die am ehesten die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas wollten. Und für diese Unabhängigkeit auch sehr viele Dinge unternommen haben. Auf der zweiten Position rangieren die Kroaten, die ja nun mehrheitlich in der Föderation zusammen mit der muslimischen Bevölkerung leben. Und ganz gesamtstaatskritisch sind die Serben, die in der Republika Srbska, dieser 49 Prozent umfassenden serbischen Entität, einen Staat im Staate gegründet haben.

König: Wie zeigt sich das im Alltag? Wenn, weiß ich nicht, im Restaurant, in der Kneipe Menschen verschiedener Volksgruppen zusammenkommen, reden die wie ganz normale Menschen miteinander, wie man das erwarten sollte, oder nicht?

Schroen: Auch dort ist die Gesellschaft weitgehend fraktioniert. Es gibt Lokale, in denen sich die einen oder die anderen treffen. Die einzige Ausnahme kann man ziehen für bestimmte Eliten. Also es gibt in der Geschäftswelt mittlerweile natürlich auch eine Elite, die miteinander Handel treibt. Überhaupt kann man sagen, immer dann, wenn Handel getrieben wird, dann gibt es auch Fortschritt in der Verständigung, auch zwischen den Religionen. Junge Leute, die miteinander studieren, haben aber hin und wieder Berührungsängste und Berührungsprobleme. Ich weiß von jungen Studenten, die jeweils abhängig davon, in welcher Minderheitensituation man ist, auch heute, auch in den Friedenszeiten, Drohungen ausgesprochen bekommen.

König: Kommen wir auf Ihre Kampagne: Think BiH - denk BiH, heißt die - "bich", geschrieben B i H, das internationale Kürzel für Bosnien-Herzegowina. Ist das so eine Art Pendant zu dieser "Du bist Deutschland"-Kampagne, die wir hier gerade erleben?

Schroen: Also Nazif und ich, wir haben uns vor rund vier Wochen sehr gefreut, dass es parallel zu unserer Kampagne in Deutschland etwas sehr Wahlverwandtes gibt. Und "Du bist Deutschland" ist sicherlich parallel dazu entstanden. Wir haben davon erfahren, als unsere Kampagne in der ersten Phase bereits abgeschlossen war, jetzt stehen wir in der zweiten Phase. Und wir werden auch die Kollegen der Agentur am Dienstag treffen, denn wir möchten gerne einen Gedankenaustausch haben.

König: Nazif, please, give us an impression of this campaign.

Hasanbegović/Schroen: Ja, wir beklagen, Nazif sagte das eben, dass von staatlicher Seite aus wenig unternommen wird, um den Gesamtstaat gegenüber der Bevölkerung vor allen Dingen zu promovieren. Die Bevölkerung braucht aber das Zusammenleben und es gibt auch keine Alternative letztendlich zu Bosnien-Herzegowina als Gesamtstaat. Und von daher passte diese Initiative zehn Jahre nach Dayton sehr gut, denn - das wurde uns bestätigt von vielen Seiten - eine zivilgesellschaftliche Kampagne, die mit Mitteln der Interventionskunst arbeitet und sich vor allen Dingen an die breite Bevölkerung richtet, hat es bisher noch nicht gegeben.

König: "Mit Mitteln der Interventionskunst"- was sind das für Mittel?

Hasanbegović/Schroen: Ja, wir sind der Meinung, dass in den letzten zehn Jahren unglaublich viele Konferenzen stattgefunden haben, sehr viele Texte produziert wurden, sehr viel reflektiert wurde, von Religionsführern, von politischer Seite, von philosophischer Seite, dass wir uns gesagt haben, wir müssen die Menschen im Land mit einer Visualisierung ansprechen.

Und dieser Slogan "Think big," der ja nun unglaublich knapp und trotzdem sehr präzise ist - Denk ans Ganze, denk nicht an Deine eigene Gruppe, denk nicht an den Kanton, nicht an Deine Entität, denk ans Ganze - und "big", das ja nur einen Buchstaben weg ist von dem internationalen Abkürzungszeichen des Staates BiH, also "bich" wie man das ausspricht, dieser Slogan genügte, um die Künstler zu stimulieren, Visualisierungen zu bringen, die die Menschen ansprechen und die auch Offenheit genug haben, um diesen Slogan für sich selbst zu interpretieren.

Denn wenn wir über Identität in diesem schwierigen Land sprechen, dann muss man ganz klar sagen: Es gibt keine exklusive, keine definierbare Identität, wie sie vielleicht für Italien oder vielleicht für Deutschland oder Frankreich möglich wäre. Sondern die Vielfalt dieses Landes, das Nebeneinanderherbestehen von vielen Kulturen, vielen Religionen, ist gerade das Kennzeichen der Identität.

Und das geht jetzt darum, dass die Menschen begreifen, stolz zu sein auf den Nachbarn, der anders ist, der eine andere Religion hat, der andere Feiertage feiert, und zu begreifen, dass das ein Stück Europa ist. Dies als Stärke zu begreifen, ist in unseren Augen das Ziel der Kampagne.

König: 130 Plakatwände sind es, 450 Spots fürs Fernsehen und im Internet, Briefmarken, dazu Hunderte von Postern sowie Anzeigen in Tageszeitungen, die alle ja letztlich den Vielvölkerstaat als Motiv präsentieren, in irgendeiner Form gedanklich anregen jeweils, wie Sie es geschildert haben, Herr Schroen, die andere Seite mitzubedenken. Welche Reaktionen hat es gegeben?

Hasanbegović/Schroen: Also zu der Reaktion sagte gerade Nazif, dass wir auf der einen Seite Impulse gegeben haben über ganzseitige Anzeigen oder auch diese Fernsehspots, dass wir aber auch sehr darauf gesetzt haben, dass es redaktionelle Berichterstattung von den Medien selbst gibt. Und diese Rechnung ging auf. Es gab über 50 dieser Berichte, dieser Meldungen, dieser - ja der Gegenstand selbst wurde zum Thema, ohne dass es besonders wichtig ist, wer das in die Wege geleitet hat. Das war ja unser Anliegen, dass man über das Problem spricht.

Und eine der schönsten Reaktionen für uns war die von Radio B91 in Belgrad, die von der Initiative gehört hatte und auf ihrer Homepage einen Chatroom aufgemacht hat über dieses Thema "Think big - denk BIH": Ist das wichtig? Und sie haben natürlich als Gatekeeper eine sehr gute Funktion erfüllt, indem sie sowohl negative als auch neutrale, aber jetzt - und das ist das Überraschende für den Nachbarstaat Serbien-Montenegro - auch positive Stimmen gebracht haben und zum ersten Mal über diese sehr, sehr tabuisierte Frage der gesamtstaatlichen Identität in Bosnien-Herzegowina einen öffentlichen Diskurs entfachten.

König: Hat es auch Stimmen gegeben oder hat es Leute gegeben, die gefragt haben: Wie kommt ein deutsches Kulturinstitut dazu, dass sie sich Gedanken machen über die Identität unseres Landes?

Schroen: Ja. Diese Fragen hatten wir vor allen Dingen in den Rundfunk- und Fernsehsendungen. Und unsere Antwort ist die, dass es nicht das deutsche Kulturinstitut alleine ist, sondern dass wir von dem ersten Moment an das Konzept und die Durchführung dieser Initiative auf Augenhöhe zwischen CMC, dieser Agentur von Herrn Hazanbegović, und dem Goethe-Institut Sarajevo geplant und durchgeführt haben. Und dass es umgekehrt auch jetzt sehr wichtig ist, dass Herr Hazanbegović hier in Deutschland ist. Das heißt, wir treten auch nur zusammen auf.