Bosbach: Freilassung von Terrorverdächtigen bitter, aber logisch

Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach (CDU), hat die Freilassung von Terrorverdächtigen als eine bittere, aber logische Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum EU-Haftbefehl bezeichnet. Das Gesetz müsse nun zügig überarbeitet werden, sagte Bosbach.
Ricke: Deutsche Staatsangehörige können und dürfen nicht an EU-Mitgliedstaaten ausgeliefert werden, jedenfalls nicht einfach so. Das Bundesverfassungsgericht hat das seit knapp einem Jahr geltende deutsche Gesetz zur Umsetzung des europäischen Haftbefehls für nichtig erklärt, und es wird so begründet: Das Gesetz greife unverhältnismäßig in den Auslieferungsschutz des Grundgesetzes für deutsche Staatsbürger ein. Damit hat die Verfassungsbeschwerde eines terrorverdächtigen Deutsch-Syrers, der an Spanien ausgeliefert werden sollte, in vollem Umfang Erfolg. Ist dies nun ein Rückschlag im Kampf gegen den Terrorismus? Ist es ein Sieg der nationalen Souveränität über die Eurokratie? Oder ist es schlichtweg das Versagen der deutschen Politik, die es nicht geschafft hat, ein verfassungsgemäßes Gesetz auf den Weg zu bringen? Am Telefon ist nun der Innen- und Rechtsfachmann der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Bosbach. Herr Bosbach, lassen Sie uns mit dem Kampf gegen den Terrorismus beginnen. Wie bedenklich ist es, dass man eine mutmaßliche Schlüsselfigur des Terrornetzwerkes Al Kaida in Europa jetzt freilassen musste?

Bosbach: Das ist schon eine ganz bittere, leider aber auch logische Konsequenz aus der Mehrheitsentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, denn das Gesetz ist in Gänze für nichtig erklärt worden. Der Beschwerdeführer hat in Auslieferungshaft gesessen wegen der Auslieferung nach Spanien auf Grund des EU-Haftbefehls. Wenn das jetzt nichtig ist, dann gibt es keinen Grund mehr, die Haft aufrechtzuerhalten, so dass er aus der Haft entlassen werden musste.

Ricke: Das Gericht hätte die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat in seinem Urteil zu einer selbstbewussteren Wahrnehmung ihrer Rechte gegenüber EU-Vorgaben aufgefordert. Was heißt das denn aus Ihrer Sicht für den gemeinsamen Rechtsraum in der EU? Gibt es jetzt eine Phase der Kleinstaaterei?

Bosbach: Nein, das muss keineswegs die Konsequenz sein. Das Wichtige ist ja auch gerade für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, dass nicht die Institution EU-Haftbefehl vom Bundesverfassungsgericht in Frage gestellt wird oder gar als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat uns allerdings zwei Hinweise gegeben, nämlich der erste Hinweis, der Gesetzgeber hat den Spielraum nicht ausgeschöpft, den der Rahmenbeschluss der EU den nationalen Gesetzgebern bietet. Das hätten wir tun müssen, so wie dies andere Länder, beispielsweise Österreich, auch getan haben. Zweitens darf das Auslieferungsbegehren nicht unverhältnismäßig sein, und deswegen werden wir in einem neuen EU-Haftbefehlsgesetz den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichtes folgen müssen, und dann hätte auch die Auslieferung an Spanien nicht verweigert werden können, dann hätten wir ihn ausliefern müssen, wenn das Gesetz verfassungsgemäß gewesen wäre.

Ricke: Arbeiten Sie denn schon an einem solchen neuen Entwurf? Es besteht ja die Möglichkeit, dass es eine Bundestagswahl gibt und dass Sie eine wichtige Rolle bekleiden. Oder zählen Sie auf Frau Zypries, die sagt, das will man zügig überarbeiten und in vier bis sechs Wochen etwas Neues vorlegen?

Bosbach: Also zügig Überarbeiten ist richtig. Dass Frau Zypries sich selbst noch einmal mit der Problematik beschäftigen muss in ihrer Eigenschaft als Justizministerin, ist eher unwahrscheinlich. Der 15. Deutsche Bundestag ist zwar noch im Amt und gibt seine Funktion erst auf, wenn der 16. Deutsche Bundestag zusammengetreten ist, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass jetzt noch einmal eine Gesetzesinitiative ergriffen wird, und zwar aus dem praktischen Grund, der Bundestag hat das Diskontinuitätsprinzip. Also der nächste Deutsche Bundestag würde ohnehin wieder bei Null beginnen müssen. Trotzdem sollten jetzt schon im Justizministerium die Arbeiten vorgenommen werden, die notwendig sind, um in einem neuen Gesetz dem Rechnung zu tragen, was das Bundesverfassungsgericht uns auferlegt hat als Gesetzgeber.

Ricke: Jetzt hat das Verfassungsgericht weise geurteilt. Sie haben es auch juristisch trefflich auseinandergesetzt. Dennoch: Für den Laien ist die Sache ein wenig schwierig. Was tun wir denn jetzt zum Beispiel in der momentanen Rechtssituation, wenn jetzt die Drahtzieher der Anschläge in London in Düsseldorf gefasst werden?

Bosbach: Ja, das ist genau das Problem, um das es geht. Das ist dann eine Tat ohne so genannten Inlandsbezug. Es geht ja gerade um die Auslieferung, die es übrigens zu allen Zeiten gab in einem sehr komplizierten Verfahren gegenseitiger Amtshilfe. Wir haben auch nur noch ein relatives Auslieferungsverbot für deutsche Staatsangehörige. Sie unterstellen ja in der berechtigten Frage, dass die Attentäter von London deutsche Staatsangehörige sind. Sind sie es nicht, spielt diese Frage ja überhaupt keine Rolle, sondern hier geht es ja in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darum, dass der Beschwerdeführer sowohl syrischer als auch deutscher Staatsangehöriger ist, und deshalb gilt für ihn das Recht eines deutschen Staatsangehörigen, und Artikel 16 Absatz 2 verbietet nicht absolut die Auslieferung. Allerdings muss eine Auslieferung verhältnismäßig sein, und das hat im konkreten Fall das Bundesverfassungsgericht verneint. Hinzu kommt noch Folgendes: Es hätte eigentlich genügt zu sagen, dass in dem konkreten Fall die Auslieferung nicht unverhältnismäßig ist, denn es ist ja völlig unstreitig, dass die Unterstützung des internationalen Terrorismus in allen Fällen auslieferungswürdig ist.

Ricke: Vielen Dank für das Gespräch.