Boris Charmatz wird Leiter am Tanztheater Wuppertal

"Wir werden tanzen, um Geschichte zu machen"

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Porträt des Tänzers und Choreographen Boris Charmatz
Boris Charmatz soll das Erbe von Pina Bausch weiterentwickeln. © Tanztheater Wuppertal Pina Bausch / Sébastien Dolidon
Elisabeth Nehring im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 21.10.2021
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Ab September 2022 wird der Tänzer und Choreograf Boris Charmatz die Leitung des Tanztheaters von Pina Bausch übernehmen. Der Franzose sei zugleich künstlerischer Visionär und politisch denkender Künstler, sagt Tanzkritikerin Elisabeth Nehring.
Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch bekommt einen neuen Intendanten: Der französische Tänzer und Choreograf Boris Charmatz soll das Haus ab September 2022 leiten. Nach dem Streit um Ex-Intendantin Adolphe Binder hatte Bettina Wagner-Bergelt ab 2019 für zwei Jahre die künstlerische Leitung übernommen und im vergangenen Frühjahr bis Sommer 2022 verlängert.
Bei der Auswahl hat diesmal ein ungewöhnlich großer Personenkreis mitgewirkt: neben der Mitarbeiterschaft (Tänzer, Verwaltung, Technik) und dem Aufsichtsrat auch Vertreter von Stadt, Land und Stiftung. Eine von allen Beteiligten getragene Entscheidung war das Ziel, um Streitigkeiten wie die mit Binder auszuschließen.
Charmatz sei ein sehr bekannter, einflussreicher und prägender Choreograf, sagt Tanzkritikerin Elisabeth Nehring. Er habe große Performances kreiert, die in Erinnerung blieben, zum Beispiel "Enfant" mit Kindern und professionellen Tänzern oder "10000 Gesten", bei denen er Eigenwilligkeit und Mut zum Risiko gezeigt und viel über gesellschaftlichen Dynamiken erzählt habe.
"Er hat auch viel mit Tanz im öffentlichen Raum gearbeitet und sich viele Jahre intensiv mit Tanzgeschichte beschäftigt. Sein Projekt Museé de la danse hat die Tanzgeschichte ganz frisch und lebendig und überhaupt nicht verstaubt gezeigt."
Bei der Pressekonferenz zu seiner neuen Intendanz habe er enthusiastisch gewirkt, sagt Nehring. "Er hat gesagt, er sei überwältigt. Und so, wie er dann gesprochen hat, nimmt man ihm das auch ab. Seine Worte waren gut vorbereitet und hatten teilweise auch etwas Visionäres: Wir werden tanzen, um Geschichte zu machen, die Geschichte von heute und die Geschichte von morgen." Man dürfe also gespannt sein.

Pläne für grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Außerdem habe er das Gemeinschaftliche und Unhierarchische betont und von einer möglichen Einbettung des Tanztheaters Wuppertal in ein deutsch-französisches Projekt gesprochen. "Das könnte im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen Nordrhein-Westfalen und der Region Hauts-de-France realisiert werden, also Landschaften, in denen er viele geologische, soziale, ästhetische und ökonomische Gemeinsamkeiten sieht." Charmatz habe sich nicht nur als künstlerischer Visionär, sondern auch als politisch denkender Künstler präsentiert, sagt Nehring.
Der eindeutigen Entscheidung zugunsten von Charmatz sei ein schwieriger Findungsprozess vorangegangen, sagt Nehring. Sie hofft, dass ihm "die gleiche Begeisterung entgegenschlägt, die er heute ausgestrahlt hat. Stadt, Tanztheater und Verantwortliche rund um das zukünftige Pina-Bausch-Zentrum wollten eine starke Künstlerpersönlichkeit. Die haben sie mit Boris Charmatz bekommen. Hoffentlich lassen sie ihn auch arbeiten."
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