Boomstadt Marrakesch

Von Rüdiger Maack |
Marrakesch, die Stadt in Marokko, wird seit einiger Zeit zu den In-Städten gezählt. Hier trifft sich der Jetset, um einmal ungestört Urlaub zu machen. Madonna, Nicole Kidman und Alain Delon sind öfters da. Im Edel-Restaurant "Le Comptoir" kommen zu Ambient-Musik Scharen von Bauchtänzerinnen die Freitreppe herunter.
Jemma Ef Fna, der Platz der Gehenkten, größte Touristenattraktion in Marrakesch, Schlangenbeschwörer, Dattelverkäufer, Wahrsagerinnen, Transvestiten, Wunderdoktoren, Geschichtenerzähler – das ganze Programm für die Millionen Besucher, die jedes Jahr hierher kommen.

Hierher kommen die Touristen selten: "Le Comptoir" heißt das Restaurant, was heißt schon Restaurant, der TEMPEL, den Marcel Chiche gebaut hat. Laternen am Eingang, auf jeden Gast mindestens zwei erlesen schöne Empfangsdamen, Kerzenbeleuchtung, Ambient-Musik, ach ja, gegessen wird manchmal auch und am Wochenende kommen zu den Klängen einer jeder Disco würdigen Anlage ganze Scharen von Bauchtänzerinnen die Freitreppe herunter, die zur Bar im ersten Stock führt. Das "Comptoir" ist die Mutter aller In-Läden: Chiche hat sein Restaurant vor fünf Jahren eröffnet – und damit einen Trend gesetzt:

" Damals habe ich mich ständig gefragt, ob so ein Konzept hier funktionieren kann. Heute hat sich alles so verändert, da ist das gar keine Frage mehr!"

Nebenan dinieren gerade die Stars der französischen Serie "Star Academy", Chiche braucht sich um seine unmittelbare Zukunft keine Sorgen machen.

" Drei Stunden Flugzeit von jeder großen Stadt haben Sie hier ein relativ großartiges Klima, eine beruhigende Umgebung, einen überaus herzlichen Empfang, das sind schon ein paar gute Gründe, um nach Marrakesch zu kommen."

Im Stadtviertel Hivernage reihen sich die Fünf-Sterne-Hotels aneinander, jedes zweite neue Geschäft ist ein Designerladen, Inneneinrichter haben Hochkonjunktur, das Nachtleben explodiert: "The White Room" heißt ein Club, in dem alles weiß ist – auch die Gäste, wer in Schwarz oder blau auftaucht, muss mit Blicken rechnen.

Vor den Toren der Stadt hat "BoZin" aufgemacht, ein Marokko-Französisch-Thai-Restaurant, eine Villa in gedeckten Farben und schönen Möbeln, mit der Inhaber Cyril Durand die große Welt nach Marokko holt.

" Der große Raum könnte in New York oder Paris stehen, die Pergola könnte in Bali sein, der Garten ist asiatisch."

Ibiza, Mabella, Marrakesch – Durand sagt: Seit fünf Jahren ist die Stadt am Kommen.

" Die Leute sind doch schon lange da. Galliano, Yves Saint-Laurent, die Modeschöpfer, aber sie verstecken sich. Wenn sie hierher kommen, wollen sie leben, und das können sie hier in den Villas und Riads. Man fährt nach Ibiza, um gesehen zu werden. Man kommt nach Marrakesch, um hier schön zu wohnen in schönen Häusern. Seit den 60ern kamen ja schon die Rolling Stones hierher, viele sind auch seitdem da geblieben, also das ist ein sehr diskreter Jetset, nicht mit einer großen Jacht im Hafen wie in Saint Tropez, sondern Leute, die etwas Persönlicheres suchen."

Zu seinen Gästen zählt er das halbe marokkanische Königshaus, dessen Jetset-Status wohl eher niedrig zu bewerten ist, aber auch Kylie Minogue, Mick Jagger, Kenzo oder Galliano. Es ist vor allem französischsprachige Prominenz, die seit Jahren nach Marrakesch pilgert vom Präsidenten abwärts, kanadische Premierminister, Schauspieler, Komiker. Puff Daddy, wie er sich damals noch nannte, feierte im "Comptoir" seinen 30. Geburtstag – angeblich auf Einladung und Rechnung des marokkanischen Königs. Karl Lagerfeld sieht man in der Disco, Patricia Kaas hat ein Zweithaus und deutsche Spitzenverdiener beginnen auch, sich für Häuser in Marrakesch zu interessieren.

Madonna, Nicole Kidman und Alain Delon sind öfters da. David Beckham und Frau waren kürzlich hier. Absteigen können sie in einem der berühmtesten Hotels der Welt, dem "Mamounia" – aber immer beliebter: Riads - alte Stadthäuser mit Innenhof und galerieartig angelegten Räumen, die reihenweise von Europäern aufgekauft und in Gasthäuser umgewandelt werden.

Gasthaus ist für die "Villa des Orangers" schamlos untertrieben. Zu Preisen zwischen 260 und 600 € die Nacht, tritt man von der lauten Straße in ein anderes Universum. Hier gibt es nur guten Geschmack, gediegene Eleganz, erlesene Materialien und Bäder, die so groß sind, wie anderswo ganze Hotelzimmer.

Hier arbeitet Hamid Aschaq in aller Diskretion – welche Promis absteigen, erfährt man nicht. Deswegen, sagt er, kommen sie ja nach Marrakesch:

" Hier gibt es alles. Marrakesch ist dabei, ein Ziel zu werden, das sehr in Mode ist, aber gleichzeitig bleibt es doch eine sehr traditionelle Stadt. Sie können in der Medina sein und neben Ihnen steht eine Berühmtheit, oder geht an Ihnen vorbei, in aller Ruhe. Es gibt außerhalb der Altstadt immer mehr In-Diskos, aber daneben gibt es immer noch die Tradition. Das ist wahrscheinlich sein Charme. Selbst die Allerberühmtesten werden hier nicht weiter gestört. Man schaut sie schon mal an, aber man lässt sie in Ruhe, das ist marokkanische Mentalität. Sogar bei marokkanischen Stars. Eine andere Sache ist, dass Leute mit Geld sich hier ALLES leisten und ihre verrücktesten Träume realisieren können."

Rund um die Reichen und Schönen hat sich eine Parallelwelt in der Stadt aufgebaut, in der viele Menschen bitter arm sind. In Luxus-Hammams wird der Kunde schon mal 60 € los für das Gefühl, von vorne bis hinten in wohliger Wärme gepampert zu werden. Nebenan zahlen Marokkaner nicht einmal 2 € fürs traditionelle Dampfbad. Die Stadt ist in den letzten Jahren so in geworden, dass sie fast aus allen Nähten platzt. Marcel Chiche, der "Comptoir"-Chef, sieht das nicht ganz ohne Sorgen:

" Das darf hier nicht zu einem Marrakesch-Land verkommen! Aber ich glaube, in dieser Kultur gibt es starke Kräfte, und die werden widerstehen. "