Boom des Mittelstands

Von Julio Segador |
Mitte der 80er-Jahre prägten Gewalt, Armut, Hyperinflation und Diktatur Brasilien. Nicht einmal drei Jahrzehnte später hat sich in dem Land, inzwischen die sechststärkste Wirtschaftsmacht weltweit, eine prosperierende Mittelschicht gebildet.
Die Elektroabteilung in einem großen Kaufhaus in Sao Paulo. Die Leute stehen vor TV-Geräten, staunen über die Technologie. 55, 60 oder sogar 65 Zoll haben die riesigen Bildschirme. Und es wird gekauft. Ununterbrochen werden die riesigen TV-Kartons aus den Geschäften gebracht. Brasiliens Mittelklasse konsumiert ohne Unterbrechung. Dass andernorts wegen Finanzkrise und Sparmaßnahmen die Menschen den Gürtel engerschnallen, kümmert hier niemand.

Die Kauflust der Brasilianer scheint ungebremst. Brasiliens neue Mittelschicht leistet sich das, was sie sie sich noch vor zehn Jahren nicht leisten konnte, berichtet der Verkäufer in der Elektroabteilung.

"Am meisten verkaufen wir Elektro-Haushaltsgeräte, also Kühlschränke, Waschmaschinen, Spülmaschinen, Herde. Also Dinge, die man wirklich braucht. Und dann verkaufen wir natürlich sehr viel hier in der TV-Abteilung. Ich schätze mal, dass das Verhältnis bei 60 zu 40 zugunsten der Haushaltsgeräte liegt."

20 Millionen, manche sprechen sogar von bis zu 30 Millionen Menschen, die in Brasilien in den vergangenen zehn Jahren aus der Unterschicht in die Mittelschicht aufgestiegen sind. Sozialprogramme wie "Bolsa Familia” – eine Art Familienunterstützung für Arme oder auch die Anhebung des Mindestlohns machten dies möglich. Die Menschen haben mehr Geld im Portemonnaie und Staatspräsidentin Dilma Rousseff setzt darauf, dass diese neue Gruppe den Binnenkonsum weiter ankurbelt.

"Wir sehen unsere Bürger als Konsumenten. Und zwar als Konsumenten, die nun all die Güter kaufen können, die ihre Familien brauchen, um komfortabler und glücklicher leben zu können."

Freilich ist nicht alles Gold was glänzt. Der Boom der neuen Mittelklasse führte zu einer Aufblähung der Staatsquote, der Dienstleistungssektor wurde massiv ausgeweitet, zudem leistet sich Brasiliens neue Mittelschicht das meiste auf Pump. Viele aus dieser neuen Mittelschicht müssten erst noch lernen, mit Kreditkarten umzugehen, erklärt der Wirtschaftsfachmann Eduardo Giannetti
da Fonseca.

"Diese neue Mittelklasse ist ein wenig verblendet durch den plötzlichen Zugang zu Krediten und Konsum. Es verwundert auch nicht, denn über lange Zeit konnten sie sich ja keine Wünsche erfüllen. Aber das ist nur eine Phase. Die Menschen müssen nämlich schon bald damit beginnen, an die Zukunft zu denken. Also an Bildung, Sparen, Zukunftsvorsorge. An solche Dinge. Aber das will erst mal gelernt sein."

Derzeit aber kümmert dies nicht viele dieser neuen Mittelschicht. Viele Menschen in Brasilien können sich zum ersten Mal wirklich etwas leisten. Zeit für dunkle Gedanken verschwendet da kaum jemand.
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