Bonn

Die Hauptstadt-Entschädigung

Der Dienstsitz der Vereinten Nationen in Bonn befindet sich im ehemaligen Abgeordnetenhaus, auch "Langer Eugen" genannt.
Der Dienstsitz der Vereinten Nationen in Bonn befindet sich im ehemaligen Abgeordnetenhaus, auch "Langer Eugen" genannt. © dpa / picture alliance / Wolfgang Moucha
Von Alois Berger · 14.10.2015
Die Angst in Bonn vor dem wirtschaftlichen Absturz war groß, als der Bundestag 1991 beschloss, die Regierung nach Berlin zu verlagern. Doch wirtschaftlich geht es Bonn heute sogar besser als damals − einer Stadt am Rhein, die nicht klein sein will.
"Am Gleis 1 fährt ein der ICE nach Berlin Hauptbahnhof über Köln, Wuppertal, Hagen, Bielefeld, Hannover, Abfahrt 6 Uhr 21. Vorsicht bei der Einfahrt."
Montag morgen, kurz nach sechs. Am Bonner Hauptbahnhof machen sich die Wochenendpendler fertig für die Fahrt nach Berlin.
"Ich arbeite in Berlin und wohne in Bonn." / "Ich hab Familie, und die ist auch lieber hier als in Berlin." / "Also ich pendle regelmäßig, montags morgen nach Berlin und Freitags nachmittag nach Bonn. Jede Woche."
Es gibt sie immer noch, die Bonn-Berlin-Pendler. Als die Bundesregierung vor gut 16 Jahren von Bonn nach Berlin umzog, haben viele Beamte und Angestellte ihre Wohnungen in Bonn behalten. Manche fahren mit dem Zug nach Berlin, die meisten nehmen den Regierungsflieger. Es sind zwar über die Jahre weniger geworden, die jede Woche hin und herfahren; Einige sind dann doch umgezogen, andere haben das Pensionsalter erreicht. Aber es kommen auch immer wieder neue Pendler dazu. Andreas Goldbach arbeitet im Verteidigungsministerium, das nach wie vor seinen Hauptsitz in Bonn hat. Vor drei Jahren wurde Goldbach nach Berlin versetzt, jetzt fährt er eben hin und her:
"Mir gefällt die Umgebung besser. Ich lebe hier, ich bin Motoradfahrer, das ist in der Eifel schöner als im Flachland um Berlin herum."
Bald ein Vierteljahrhundert ist es her, dass der Deutsche Bundestag am 20. Juni 1991 mit hauchdünner Mehrheit beschloss, dass Parlament, Bundesrat und Bundesregierung in die Hauptstadt Berlin umziehen. Für den Rest der Republik ist das längst Geschichte. In Bonn aber hadern nicht Wenige noch immer mit dem Umzugsbeschluß, vor allem am Montagmorgen kurz nach sechs am Gleis 1 nach Berlin.
"Ich glaube sogar, dass es für Deutschland besser gewesen wäre. Man hätte ja die Hauptstadt Berlin nennen können, aber den Regierungssitz Bonn. Weil ich glaube, dass das eine andere Politik geworden wäre, sowohl für den Westen Deutschlands als auch für den Osten."
Solche Überlegungen hört man oft in Bonn: Dass Deutschland von Bonn aus besser regiert würde: gelassener, unaufgeregter, ohne den öffentlichen Druck und die Hektik der Großstadt. Der Verlust der Hauptstadtfunktion beschäftigt die Stadt am Rhein noch immer, und es sieht nicht so aus, als ob dieser Phantomschmerz so schnell vergehen würde.
Dabei hat Bonn den Abzug von Regierung und Bundestag äußerlich gut verkraftet. Die Ängste von damals, dass die Stadt in ein tiefes Loch fallen würde, dass Stadt und Region wirtschaftlich abgehängt würden, dass Bonn auf dem Abstellgleis der Geschichte landen würde, sie haben sich nicht bewahrheitet.
Die frühere Hauptstadt boomt, die Arbeitslosigkeit ist niedriger als anderswo, die Einkommen sind höher, das Kulturangebot um ein Vielfaches größer als in irgendeiner vergleichbaren Stadt. Bonn geht es gut. Selbst der Politikbetrieb ist nicht wirklich verschwunden. Er ist nur bescheidener geworden, unauffälliger, ohne die großen Namen ausländischer Ministerpräsidenten und Staatschefs, die früher mit Blaulicht und Eskorte durch die Stadt brausten.
Das ehemalige Kanzleramt
Das schwere Eisentor vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt in Bonn ist bereits zur Seite gerollt. Über dem kupferbraunen Flachbau hängen tiefe Wolken, manchmal hallt das dumpfe Tuten der Schiffe vom Rhein herauf. Auf dem sattgrünen Rasen vor dem Kanzleramt steht immer noch die riesige Bronzeskulptur von Henri Moore. Damals, als Helmut Schmidt und später Helmut Kohl von diesem Gebäude aus die Republik regierten, als die Gorbatschows, die Mitterrands, die Clintons hier in dunklen Limousinen eintrafen, da sah man diese Bronzeskulptur fast jeden Tag in den Nachrichten. Aber das ist lange her. Jetzt sitzt ein Eichhörnchen vor der mattglänzenden Skulptur, und läuft erst weg, als vorne am Tor die Schranke hochgeht und der Pförtner ein paar Fahrradfahrer und ein Auto durchwinkt.
Im früheren Bonner Kanzleramt ist heute das Entwicklungshilfeministerium untergebracht, eines von sechs Bundesministerien, die nach wie vor ihren Hauptsitz in Bonn haben. Nur der Minister selber und die wichtigsten politischen Abteilungen sind in Berlin. Die meisten Beamten und Angestellten arbeiten in Bonn. Die Entfernung, meint Ministerialdirigentin Christiane Bögenmann-Hagedorn, sei heute kein Problem mehr:
"Am Anfang hatte das gewisse Anlaufschwierigkeiten, wie das so ist, aber wir haben uns da total eingespielt, weil es natürlich alle möglichen Formen gibt, wie man die Distanz überwinden kann. Das fängt damit an, dass wir hier Video-Fazilitäten haben. Ich weiß nicht, wieviele Videoräume wir haben. Wir haben jetzt auch die Möglichkeit, über Skype zu kommunizieren, wir haben Telefonkonferenzen. Es wird zunehmend egal, wo man sein Büro hat."
Für das Entwicklungshilfeministerium hat es durchaus Vorteile, im alten Kanzleramt zu residieren, meint die Ministerialdirigentin. Vor allem die Gäste aus den Entwicklungsländern seien immer wieder beeindruckt von der früheren Bedeutung des Hauses. Das ehemalige Kanzlerbüro wird deshalb gerne als Wartezimmer für Minister aus Afrika oder Asien genutzt, die sich dort Bilder von Willy Brandt oder die Tabakpfeife von Helmut Schmidt anschauen können. Für die anschließende Sitzung müssen sie dann nur zwei Türen weiter gehen, in den ehemaligen Kabinettssaal mit seinem riesigen ovalen Tisch, um den sich früher regelmäßig die Bundesregierung versammelte. Ministerdirigentin Bögenmann-Hagedorn.
"Den Stuhl hat man jetzt beseitigt, wo Herr Kohl immer drauf saß, der war etwas erhöht, und das ist natürlich schön, wenn man hier Regierungsverhandlungen hat und man kann den Gästen aus Afrika oder Asien oder sonstwoher die Geschichte dieser Republik erläutern."
Nicht nur das ehemalige Kanzleramt, fast alle früheren Regierungsgebäude von Bonn haben inzwischen eine neue, kaum weniger politische Funktion. Wo früher der Bundespräsident saß, da arbeitet heute das Kartellamt. Im ehemaligen Außenministerium sitzt der Bundesrechnungshof, und in den Büros der Bundestags-Abgeordneten haben sich die 800 Mitarbeiter der Vereinten Nationen ausgebreitet. Im alten Bonner Regierungsviertel arbeiten heute mehr Menschen als jemals zuvor.
Das Berlin-Bonn-Gesetz hat funktioniert, sagen die Bonner. Es habe sich gelohnt, dafür zu kämpfen. Denn als der Bundestag den Umzug nach Berlin beschloss, da forderten die Rheinländer einen Ausgleich. Die meisten Abgeordneten zeigten Verständnis für die Zukunftssorgen der Stadt, in der sie so lange gelebt und gearbeitet hatten. Man dürfe Bonn nicht einfach fallen lassen, forderten sie.
Im Berlin-Bonn-Gesetz legte der Bundestag schließlich fest, dass 60 Prozent der Regierungsbeamten und Angestellten auf Dauer in Bonn bleiben sollten. Alle Minister und ihre politisch wichtigen Referate nach Berlin, so die Faustregel, die weniger politischen Verwaltungsabteilungen sollten weiterhin in Bonn arbeiten.
Der Rutschbahneffekt
Doch die Praxis sieht anders aus. Immer wieder holen Minister ganze Abteilungen nach Berlin. Rutschbahneffekt nennen die Bonner das und protestieren dagegen. Der Fraktionschef der Christdemokraten im Rathaus, Klaus Peter Gilles, pocht auf das Berlin-Bonn-Gesetz:
"Vom Bürger wird Gesetzestreue verlangt, also würde ich das auch von allen anderen Akteuren, insbesondere von politisch Handelnden in Berlin erwarten, dass man gesetzestreu handelt. Darum geht es."
Derzeit sind nur noch knapp 7000 Ministerialstellen in Bonn – und 12.000 in Berlin. Eigentlich sollte es doch andersherum sein. Doch während die Bonner den Rutschbahneffekt beklagen, fragt man sich anderswo in Deutschland, ob es nicht an der Zeit wäre, alle Ministerien nach Berlin zu holen. Häufigstes Argument sind die Reisekosten. Zu Unrecht, sagt Ministerialdirigentin Bögenmann-Hagedorn.
"Der Rechungshof hat das mal erhoben und ausgerechnet, weil er meinte, herausfinden zu können, dass die Reiserei so teuer sei, und dass deshalb ein Umzug stattfinden müsse oder auch nicht. Das Ergebnis war, dass ein Gesamtumzug der Bundesregierung teurer wäre als die Reisen, die wir da hin und her machen."
Die Bonner Dienststellen der Ministerien sind nur ein kleiner Teil der Ausgleichs-Maßnahmen. Rund 2,8 Milliarden Euro hat die Bundesregierung von 1995 bis 2005 investiert, um dem ehemaligen Regierungssitz Bonn ein neues Leben einzuhauchen. Eine ganze Reihe von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen wurden gegründet, eine Hochschule aus dem Boden gestampft, Straßen- und Eisenbahnprojekte angeschoben. Um die leergewordenen Büros zu füllen, mussten 22 Bundeseinrichtungen nach Bonn umsiedeln, das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik zum Beispiel, das Institut für Berufsbildung, das Bundesversicherungsamt und auch die Deutsche Welle. Aus der ganzen Republik wurden Ämter und Institute an den Rhein verlegt. Zudem wurden 19 UN-Einrichtungen nach Bonn geholt, vom Fledermausbüro bis zum mächtigen Klimasekretariat - angelockt mit großzügigem Büroraum, mit günstigen Mieten, mit einem teuren Kongreßzentrum.
Was all die Maßnahmen wirklich gebracht haben, ist schwer zu beziffern. Manche Ausgaben haben sich als unsinnig erwiesen. Eine mit viel Geld geförderte Außenstelle des Deutschen Museums etwa wird gerade wieder abgewickelt – zuwenig Interesse, zuwenig Besucher.
Glücksfall Post
Der größte wirtschaftliche Schub für Bonn und die Region kam ohnehin aus einer ganz anderen Richtung und hatte mit dem Umzug der Regierung nur am Rande zu tun. Als 1994 die damals staatliche Bundespost privatisiert wurde, entstanden die drei Konzerne Telekom, Deutsche Post und Postbank. Und weil die Bundespost damals eben in Bonn ihren Sitz hatte, bauten auch die drei Töchter ihre Konzernzentralen in Bonn. Ein Glücksfall, meint Tom Schmidt von den Bonner Grünen:
"Ich glaube, da fehlte vor 15 Jahren die Fantasie, welche Bedeutung diese Konzerne mal bekommen würden und das ist in der Hinsicht der wichtigste Kern, den Bonn bekommen hat."
Die Telekom und die Deutsche Post sind seit Jahren fester Bestandteil des DAX. Zusammen mit der Postbank sichern sie in der ehemaligen Hauptstadt gut 25.000 hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Dazu kommen noch viele indirekt geschaffene Jobs, sagt Grünen-Chef Tom Schmidt:
"Das sind natürlich Anker, um die herum sich viele kleine und mittelständische Unternehmen angesiedelt haben. Und gerade das Thema Digitalisierung ist ja eines der Zukunftsthemen überhaupt, und da glaube ich, sind wir mit diesen Konzernen ziemlich gut aufgestellt, um uns in der Frage gut weiterzuentwickeln."

Das Alte Rathaus am Bonner Markt
Das Alte Rathaus am Bonner Markt© dpa / picture alliance / Daniel Kalker
Auf dem Bonner Marktplatz herrscht Gedränge. Die Bonner kommen gern in ihr schmuckes Stadtzentrum. Die Stadt pulsiert, die Läden sind voll, man spürt die Kaufkraft, die hier zuhause ist.
"Bonn XXL, damit ist jetzt Feierabend"
Doch ein paar Schritte weiter, im barocken alten Rathaus, da tragen sie tiefe Sorgenfalten, trotz des Wohlstandes rundherum. Denn die Stadt ist so gut wie pleite. Fast zwei Milliarden Euro Schulden hat Bonn, viel Geld für eine Kommune mit gerade mal 320 000 Einwohnern. Und jedes Jahr kommen 100 Millionen Euro neue Schulden dazu. Seit fünf Jahren, seit dem Ende der Bundeszuschüsse, schrammt die Bonner Verwaltung jedes Jahr haarscharf am Nothaushalt vorbei. Seit fünf Jahren predigt der Oberbürgermeister seinen Stadträten, dass nun endlich gespart werden muss:
"Bonn XXL, damit ist jetzt Feierabend."
Doch Oberbürgermeister Jürgen Nimtsch ist von der SPD, im Stadtrat aber dominiert eine schwarz-grüne Koalition. Was immer Nimtsch an Sparvorschlägen auf den Tisch legte – die Mehrheit im Stadtrat stimmte dagegen. Zumindest war das bisher so. Ende Oktober tritt ein neuer Oberbürgermeister das Amt an, der Christdemokrat Ashok Alexander Sridharan. Doch ob sich dadurch viel ändert, ist unklar.
Bonn habe das Sparen nie gelernt, sagt der noch amtierende Oberbürgermeister Nimtsch, als Regierungssitz musste man nicht sparen:
"Wenn der Stadtrat sagte, wir hätten gern, wir brauchen noch, ist das durch Zuschüsse des Bundes geregelt worden. So haben wir ganz viele Bauten erhalten und auch eine Infrastruktur, die eine Stadt mit 320.000 Einwohnern in der Regel nicht hat."
Neun Schwimmbäder hat die Stadt, 23 Gymnasien, Oper, Theater, Orchester, eine Reihe städtischer Museen - alles kostet Geld und alles ist irgendwie unverzichtbar. Allein der Kulturhaushalt ist doppelt so groß wie in Städten vergleichbarer Größe.
Knapp 27 Millionen Euro überweist die Stadt jedes Jahr an die Oper. Für das Orchester sind noch einmal knapp 7 Millionen fällig. Dabei sind es zur Oper in Köln gerade einmal 30 Kilometer, 50 sind es nach Düsseldorf. Aber Bonn will sein eigenes Musiktheater, auch wenn das Geld dafür inzwischen fehlt.
Alle paar Jahre werden bei der Oper ein paar Millionen gekürzt, was den Aufführungen nicht gut tut, das Haushaltsproblem aber auch nicht löst. Sowenig wie die kürzeren Öffnungszeiten bei den Schwimmbädern und die Schließung von Stadtteilbibliotheken. Alles nur Kleingeld, gemessen am 100-Millionen-Defizit. Aber für die großen Einschnitte fehlt nicht nur die Entschlossenheit, sondern auch die Überzeugung.
Denn tief drinnen glauben Bonner Politiker wie auch viele Bürger nach wie vor, dass eigentlich die Bundesregierung einspringen müsste. Schließlich ist Bonn nicht nur offizell Bundesstadt, sondern inzwischen auch der wichtigste UNO-Standort in Deutschland. Wenn es um die UNO geht, dann sind sich die Bonner Parteien einig, woher das Geld kommen muss. Grünen-Chef Tom Schmidt:
"Es ist ja nicht eine Aufgabe der Stadt, sondern der Bundesrepublik. Ich glaube, dass die Bundesrepublik eigentlich stolz sein kann auf den UN-Standort insbesondere mit diesen Schwerpunkten, die wir haben, nämlich Umwelt und Klimaschutz, das ist ja eine der drängendsten Probleme auf der weltweiten Agenda. Und ich glaube, dass wir hier in Bonn dazu beitragen können, einen bundesrepublikanischen Beitrag zur Lösung dieses Problems auch beizusteuern."
Das neue Markenzeichen
Deutsche Stadt der Vereinten Nationen, das will Bonn werden. Dafür hat die Stadt nicht nur hart gearbeitet, sie hat auch viel riskiert. Und nicht nur gewonnen. Denn die Vereinten Nationen wissen um ihre Attraktivität und verlangen viel, zum Beispiel ein Kongreßzentrum, groß genug für 5000 Teilnehmer.
Weil die Stadt aber kein Geld hatte, suchte sie einen Investor, der dieses Kongreßszentrum mit eigenem Geld baut und betreibt. Die üblichen Baukonzerne winkten ab – nicht rentabel. Doch Bonn wollte das Konferenzzentrum um jeden Preis, und hat sich gegen alle Vernunft mit einem windigen Geschäftsmann aus Korea eingelassen. Statt zu prüfen, was es mit dessen Firma Hyundai auf sich hat, klammerten sich die Bonner an den Glauben, sie seien mit dem Weltkonzern Hyundai ins Geschäft gekommen.
Vor vier Monaten ist dieses Kongresszentrum eingeweiht worden. Der Investor konnte allerdings nicht dabei sein, er sitzt im Gefängnis und hat einen gewaltigen Schuldenberg hinterlassen. Rund eine Viertelmilliarde wird das Projekt die Stadt wohl alles in allem kosten. Oberbürgermeister Jürgen Nimtsch:
"Das ist dann so, das war zu schultern, weil sonst der internationale Standort eklatant gefährdet worden wäre. Das können wir nicht machen. Deutsche Stadt der Vereinten Nationen, das ist unser neues Markenzeichen. Das war zu erfüllen, aber das wird sich am langen Ende auch rechnen."
Ob sich das wirklich rechnet, ist nicht so sicher. Denn die UNO fordert erhebliche Preisnachlässe für Konferenzen, sonst werde sie eben woanders tagen. Organisationen wie die Vereinten Nationen sind gewohnt, dass sie hofiert werden. Mitarbeiter der UNO zahlen beispielsweise keine Steuern, das ist international üblich. Derzeit wird in Bonn darüber gestritten, ob auch pensionierte UNO-Mitarbeiter von der Steuer befreit werden sollen. Ein heikles Thema, wie die langjährige nordrhein-westfälische Ministerin für Bundesangelegenheiten, Angelika Schwall-Düren, bestätigt:
"Es gibt da eine weltweite Konkurrenz und andere Staaten bieten oft sehr viel bessere Bedingungen materieller Art, als das bei uns in Deutschland gegeben ist. Wir sind froh, dass dennoch die Attraktivität des Standortes relativ groß gewesen ist in der Vergangenheit. Aber mit Erweiterungen oder Neuansiedlungen wird man immer eine Forderung verbunden haben, dass dort eine finanzielle Unterstützung kommen muss."
Der Blick ins Umland
25 Minuten braucht die Straßenbahn von Bonn nach Siegburg. 25 Minuten, die den Blickwinkel verändern.. Siegburg ist eine 40.000 Einwohnerstadt mit ICE-Bahnhof und großen Gewerbegebieten. Das Bonner Umland profitiert von der wirtschaftlichen und politischen Rolle Bonns, räumt auch Landrat Sebastian Schuster ein.
"Es geht der Region gut, wir haben fast Vollbeschäftigung, wir haben Zuzug, wir haben Bevölkerungsexpansion. Also, sich beschweren wäre völlig verfehlt. Aber das Ziel muss sein, dass wir uns weiter auf diesem Niveau entwickeln können."
In Siegburg sieht man die Dinge nüchterner als in Bonn. Die Zeiten haben sich geändert, sagt Landrat Schuster, damit müsse man leben. Er mag das Klagen der Bonner über den Umzug der Regierung nicht mehr hören. Bonn und die Region hätten beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft: Eine gesunde Wirtschaftsstruktur, ein hohes Ausbildungsniveau, eine großartige Landschaft mit Rhein, Eifel und Siebengebirge.
"Es ist gut, dass wir uns auf die Qualitäten, die die Region hat, jetzt mehr besinnen müssen. Man muss mit Bonn in Zukunft vermehrt was anderes verbinden, als die ehemalige Hauptstadt. Bonn und die Region, der Rhein-Sieg-Kreis, müssen ein eigenes Gütesiegel entwickeln."
Natürlich denkt man auch im Bonner Rathaus darüber nach, wie die Stadt sich aus ihrer Fixierung auf die gloreiche Vergangenheit lösen kann. Aber man tut sich doch sehr schwer mit der Vorstellung, Bonn könnte irgendwann eine ganz normale Stadt werden. Eine wohlhabende Stadt zwar, aber eben eine normale Stadt, mit einer Infrastruktur und einem Kulturhaushalt, wie man sie in vergleichbaren Städten vorfindet, in Münster zum Beispiel, in Wuppertal oder in Bielefeld.
Neben seiner Bedeutung als Bundesstadt und als UN-Standort will Bonn deshalb stärker als Beethoven-Stadt auftreten. Schließlich ist Ludwig van Beethoven in Bonn geboren und hat hier seine ersten Erfolge gefeiert. In fünf Jahren will Bonn den 250. Geburtstag des Komponisten begehen. Ursprünglich sollte dafür ein neues Festspielhaus an den Rhein gesetzt werden. Doch die Deutsche Post hat vor kurzem ihre Zusage als Hauptsponsor zurückgezogen. Den Postoberen schienen die Pläne der Stadt zu riskant und zu realitätsfern. Jetzt denkt man in der Stadtverwaltung darüber nach, wie man das Beethoven-Jubiläum trotzdem so begehen kann, dass Bonn noch heller strahlt. Noch fehlen die zündenden Ideen. Sicher ist nur, dass man auf die finanzielle Unterstützung aus Berlin baut, wie Klaus-Peter Gilles von der Bonner CDU erläutert:
"Es gibt in Bonn einige Themen, die sich durchaus anbieten, dass sich die Bundesregierung in Bonn stärker engagiert, oder ich sage mal, Themen, von denen man sagen kann, sie haben eine gesamtstaatliche Bedeutung. Ich möchte mal ausdrücklich das Thema Beethoven nennen. Ich würde sagen, das geht wahrscheinlich über den Bonner Tellerrand hinaus, könnte durchaus eine nationale Aufgabe sein."
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