"Boiband" auf Kampnagel

Eine queere, progressive Popshow

Die "Boiband" von Performer und Autor Tucké Royal, Musiker Hans Unstern und Produzent Black Cracker
Die "Boiband" von Performer und Autor Tucké Royal, Musiker Hans Unstern und Produzent Black Cracker © Kampnagel / Henrike Hannemann
Von Juliane Reil · 29.04.2016
"Boiband" heißt das neue Projekt des Performance-Künstlers Tucké Royale und des Musikers Hans Unstern, das in Hamburg auf Kampnagel zu sehen ist. Mit der klassischen Boygroup hat das Duo allerdings wenig zu tun – im Gegenteil: In ihrem Songs hinterfragen sie klassische Vorstellungen von Männlichkeit.
Probendurchlauf auf Kampnagel in Hamburg. Auf der Bühne steht der experimentelle Musiker Hans Unstern: langer Fusselbart, lila Sweatshirt, die Männerbeine stecken in einer schwarzen Netzstrumpfhose. Neben ihm testet der Berliner Performance-Künstler Tucké Royale die Drums. Zu glitzernden Turnschuhen trägt er ein schwarzes Shirt mit dem Aufdruck "Silence = Death". Gemeinsam wollen sie Musik machen – aber auch Politik.
"Boiband", mit "i", heißt das neue Projekt von Hans Unstern und Tucké Royale. Elf Songs haben die beiden entwickelt. Das Hinterfragen von Männlichkeitsvorstellungen ist ihr Thema. Arrangiert und mit Sounds versehen hat die Stücke der afroamerikanische Rapper und Produzent Black Cracker. Als drittes Mitglied der Band steuert er vom Computer aus die Beats.
In ihren Texten zitieren Boiband zum Beispiel die amerikanische Gender-Aktivistin Leslie Feinberg, die sich viel für Transgender-Personen eingesetzt hat. Dass es mehr gibt als Mann und Frau, die Welt aber oft nur diese beiden Kategorien kennt, das ist Thema der Musikperformance, erklärt Tucké Royale.

Heimatlos zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit

"Es geht darum, als trojanisches Pferd auf dem Männerklo zu sein – quasi in einer binären Geschlechterwelt zu verkehren, würde ich sagen, heimatlos zu sein zwischen diesen Toilettenräumen, aber doch da ein Leben bestreiten zu müssen."
Tucké Royale weiß, wovon er spricht. Er ist mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt gekommen, aber als Frau im konventionellen Sinne hat er sich nie gefühlt. Inzwischen ist seine Stimme tiefer, über der Oberlippe sprießen Barthaare. Boiband sind queer und denken progressiv. Das passt zu ihrer Musik.
Nicht nur eine Spieluhr kommt zum Einsatz, sondern auch die selbst gebaute Harfe von Hans Unstern. Halleffekten verfremden sie so, dass eine Zuordnung vom Klang auf das Instrument gar nicht möglich ist. Wenn man so will, "verqueeren" Boiband auch ihre Instrumente.

"The Power Of Love - No Force From Above"

Schon auf seinem Debütalbum von 2010 rief Hans Unstern dazu auf, den Mann in sich "rauzukratzen". Genau festlegen zwischen Mann und Frau möchte auch er sich nicht. Stereotype in der Popmusik interessieren ihn ebenso wenig. Wie ein typischer Rockstar auf der Bühne stehen, kommt für ihn nicht in Frage.
"Ja, ich fühle mich damit nicht so wohl. Ist für mich auch so ein abgegriffenes Bild. Typ mit Gitarre auf der Bühne – geht auch alles, aber ich hatte Lust, andere Instrumente zu spielen. Und vor allem, weil ich die Harfe immer mehr mag jetzt - oder beziehungsweise die selbst gebauten – will ich mir da auch möglichst neue Aufgaben geben, um neue Sachen zu lernen."
Das trifft auch auf Tucké Royale zu, der zum ersten Mal in einer Bandkonstellation das Schlagzeug spielt. Boiband richtet sich aber nicht nur an den Kopf, sondern will auch zum Tanzen einladen.
Anders als zum Beispiel bei Peaches steht Provokation für das Trio nicht im Vordergrund. Vielmehr der gemeinsame Spaß an Mehrdeutigkeit.
Während die Band probt, leuchten über den Köpfen der Mitglieder auf einem LED-Band Wörter und Sätze. Zum Beispiel "The Power Of Love / No Force From Above".
"Dieses LED-Board, sagen wir mal so, das ist dazu da, um die Texte möglichst schnell an die Leute zu bringen oder denen die Möglichkeit zu geben, inhaltlich einsteigen zu können, in das, was wir singen, weil wir gar nicht den Anspruch haben irgendwie kryptisch sein zu wollen."

Herosexuell - statt hetero, schwul, bi

Boiband lassen die Uneindeutigkeit hochleben. Der Preis dafür: Der Auftritt zwischen Musikkonzert und Bühnenperformance lässt einen etwas ratlos zurück. Trotzdem möchte man diese drei spannenden Leute auf der Bühne nicht verpassen. Ihre Klamotten wirken nicht wie eine Verkleidung. Stattdessen vertreten sie mit bemerkenswerter Lässigkeit ein ernst gemeintes Anliegen. Auf dem LED-Band leuchtet mittlerweile das Wort "herosexual" auf.
"Ich glaube, das wäre toll, wenn sich so eine Vokabel wie 'herosexual' zum Beispiel durchsetzen könnte gegenüber hetero, schwul, lesbisch, bi. Das fände ich super."
Und was ist jetzt herosexuell?
"Ist eine ganz mutige Selbstbeschreibung von 'Man ist ganz gut'."
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