Machismo in Bogotá

Telefonhotline gegen Gewalt an Frauen

06:02 Minuten
Die Mutter eines Opfers weint auf einem Protest gegen Femizide in Bogota, Kolumbien. Die Frauen halten Kerzen und trösten sich gegenseitig. 25.11.2021.
Protest gegen Femizide in Bogotá: Die Gewalt gegen Frauen ist auch in Kolumbien ein großes Problem. © imago / ZUMA Wire / Chepa Beltran
Von Martina Weber · 19.02.2022
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Bedrohung gehört in Bogotá zum Alltag. Und sie ist hauptsächlich männlich. Vom "Kampf gegen den Machismo" ist daher die Rede. Die Telefonhotline Línea Calma versucht Gewalt gegen Frauen vorzubeugen, indem sie Männer in emotionalen Krisensituationen unterstützt.
Wir sind in einem Callcenter in Bogotá. Ramón arbeitet hier. „Ein Mann rief gerade an. Er hat vor kurzem seine Arbeit verloren. Er macht sich Sorgen um seine wirtschaftliche Lage und die Familie, vor allem, weil er auch Migrant sei“, erzählt er.
Zwischen 40 und 50 Anrufe pro Tag bekommen die elf PsychologInnen der Hotline Línea Calma in Bogotá. Die Anrufenden sind Männer zwischen 20 und 60 Jahren, hauptsächlich aus der Mittelschicht. Nach Feiertagen und am Wochenende häufen sich die Anrufe.

Deeskalieren in gefährlichen Situationen

„Es gibt Männer, die erstmal sehr viel reden. Da kann ein Anruf schon zwei bis drei Stunden andauern. Und es gibt Männer, die anfangen zu reden, aber dann, wenn sie sich verletzlich fühlen oder ihnen nach weinen zumute ist, erst mal auflegen müssen.“
Germán Monroy von der Línea Calma hört zu. Wenn Männer über ihre emotionalen Krisensituationen sprechen, versucht sie, wie der Name schon sagt, zu beruhigen und in gefährlichen Situationen zu deeskalieren. Im schlimmsten Fall Krankenhaus und Polizei zu kontaktieren. Denn es sind die unkontrollierten und unausgesprochenen Gefühle bei den Anrufenden, die in Gewalt enden könnten, sagt Germán.

„Es geht um Trennungen und Liebeskummer. Sie erzählen davon, wie sie sich in der Beziehung beleidigen, schlecht behandeln und sogar schlagen. Damit hängen oft Probleme im Job zusammen, Angst vor sozialem Abstieg und vor der Zukunft. Und was es bedeutet, ein Mann zu sein. Die ganze Frage des Machismo, die emotionale Belastung, die das Mannsein mit sich bringt, das Gefühl, verletzlich und angreifbar zu sein - all diese Themen kommen hier häufig zur Sprache.“

Kampf für "neue Maskulinität"

Germán spricht deshalb ganz unerschrocken vom „Kampf gegen den Machismo“ und für eine „neue Maskulinität“. Neben der Hotline sollen demnächst spezielle Kurse Männer dazu anleiten, sich mehr in den Haushalt einzubringen, zu kochen, sich um die Kinder zu kümmern.
Hinter der Offensive der Bürgermeisterin von Bogotá, Claudia Lopez, steht daher ein progressiveres Ziel: Die Gesellschaft zu transformieren und den Machismo und Sexismus zu verlernen. Oder wie sie es in einer offiziellen Videobotschaft radikaler formulierte: „Der Machismo ist eine Krankheit, eine Krankheit, die man besiegen kann.“

Das Problem des Machismo ist kein Phänomen, das sich auf Bogotá oder Kolumbien beschränkt. Im kolumbianischen Kontext kommt die jahrzehntelange Gewalterfahrung durch den Bürgerkrieg hinzu, die die Rollenbilder und das Männerbild mitgeprägt haben, und so verschiedene Arten von Gewalt systematisiert hat.

Vielfältige Konflikte

„Wir haben es einerseits mit tödlicher Gewalt zu tun, die stark auf den bewaffneten Konflikt im ländlichen Kolumbien zurückzuführen ist, und sich auf die städtischen Gebiete in Form von Rachemorden und organisiertem Verbrechen übertragen haben. Andererseits gibt es Gewalt, die mehr mit der Beziehung zwischen BürgerInnen und schlechter Konfliktlösung zusammenhängt. Männer sind in der Öffentlichkeit stark von Gewalt betroffen, und Frauen hauptsächlich im privaten Bereich.“

Wenn die Anthropologin Sayra Aldana Hernandéz von der männlich dominierten Öffentlichkeit spricht, fallen mir im Stadtbild Bogotás die Soldaten mit Maschinengewehren auf, die überwiegende Anwesenheit von Männern auf den Straßen - besonders nachts, und die warnenden Worte eines Taxifahrers als wir an einer Ampel stehen: „Stecken Sie bitte ihr Handy weg, hier sind Diebe unterwegs.“

Die Bedrohung gehört zum Alltag. Und sie ist hauptsächlich männlich. Als ich Sayra die Frage stelle, ob die Gewalt in Kolumbien zu etwas Alltäglichem geworden ist, antwortet sie: „Traurigerweise, ja, ich glaube schon.“

Kollektive Heilung nötig

Ein Land wie Kolumbien, das sich im Übergang nach einem Konflikt befindet und einen Prozess der Versöhnung und Vergebung durchläuft, müsse sich auch erstmal kollektiv heilen, sagt Sayra.

„Psychologische und geistige Gesundheit ist ein Tabuthema - sowohl in der Gesellschaft, als auch in der Politik. Es gibt kein politisches Interesse, keinen Fahnenträger, der die Notwendigkeit eines kollektiven Heilungsprozesses in Bezug auf die Folgen des Krieges sieht. Ich glaube, dass die Gemeinschaften selbst emotionale und spirituelle Heilungsprozesse als Gesellschaft, als soziale Gruppen durchgeführt haben, dass sie es geschafft haben, das soziale Gefüge wieder aufzubauen, und dadurch überleben, aber es hat bisher keine ernsthafte Politik in diesem Sinne gegeben.“

Die Telefonhotline Línea Calma kann da nur ein Anfang sein. Und auch wenn durch Kochkurse gewalttätige Männer nicht von heute auf morgen als liebevolle Ehemänner und Väter aufwachen, zeigt es, dass Angebote angenommen und gebraucht werden.

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