Böhmer: Solidarpakt steht nicht zur Diskussion

Moderation: Marie Sagenschneider |
Wolfgang Böhmer glaubt trotz der Forderungen westdeutscher Politiker nicht an eine Änderung des Solidarpakts. Der im Grundgesetz verankerte Solidarpakt werde von niemandem ernsthaft infrage gestellt, sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Die Kritik aus Westdeutschland, dass auch wirtschaftlich gesunde Städte wie Dresden immer noch Fördermittel erhielten, wies der CDU-Politiker zurück.
Marie Sagenschneider: 16 Jahre nach der Einheit ist es an der Zeit, Hilfen nicht mehr nach der Himmelsrichtung, sondern nach Bedürftigkeit zu verteilen. Mit diesem Satz hat Hannelore Kraft, SPD-Chefin in Nordrhein-Westfalen, den Zwist um den Solidarpakt mal wieder aufleben lassen. Ihre Klage, dass es im Westen Städte gebe, die nicht mehr wüssten, wie sie ihre Kindergärten bezahlen sollten, die aber verpflichtet seien, Schulden zu machen, um Geld in Boom-Regionen im Osten zu überweisen, in diese Klage haben umgehend zahlreiche Politiker aus dem Westen eingestimmt, während natürlich die Ost-Kollegen davor warnen, ein bereits beschlossenes Gesetz wieder infrage zu stellen. – Wolfgang Böhmer ist Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Er gehört der CDU an und ist nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen Herr Böhmer!

Wolfgang Böhmer: Guten Morgen Frau Sagenschneider!

Sagenschneider: Ich gehe mal davon aus, dass auch Sie den Solidarpakt nicht infrage stellen wollen oder?

Böhmer: Nein! Wir haben den Solidarpakt im Grundgesetz festgeschrieben. Diese Diskussionen, die Sie genannt haben, gibt es schon seit einiger Zeit und sie werden sicherlich immer wieder einmal hochkommen. Aber das, was beschlossen ist, wird, so ich das wenigstens mitbekomme, von niemandem ernsthaft infrage gestellt.

Sagenschneider: Sie gehen davon aus, dass der Solidarpakt II trotz der Debatte unangetastet bleibt?

Böhmer: Ja!

Sagenschneider: Aber haben Sie denn Verständnis für die Kollegen im Westen, die ja sagen, wir geraten hier langsam aber sicher ins Hintertreffen und dann gerne Beispiele zitieren wie Dresden, eine Stadt, die schuldenfrei ist und trotzdem jährlich 300 Millionen Euro Fördermittel erhält?

Böhmer: Da sieht man, wie oberflächlich diese Diskussion ist. Dresden war hoch verschuldet und hat seinen gesamten kommunalen Wohnungsbestand verkauft, hat also Vermögen veräußert, um sich zu entschulden. Diese Möglichkeit haben natürlich auch Städte in Westdeutschland, wenn sie es denn tun müssten. Und das der Stadt Dresden jetzt vorzuwerfen und zu sagen, das ist eine Begründung dafür, dass wir den Solidarpakt nicht mehr einhalten müssen, das ist schon hoch merkwürdig.

Sagenschneider: Aber für die Politik, Herr Böhmer, stellt sich ja doch auch immer die Frage, wie vermittele ich das. Es gibt ja tatsächlich Regionen im Osten, die inzwischen sehr gut dastehen. Dresden steht gut da, Potsdam, Jena. Die haben, was die Wettbewerbsfähigkeit anbelangt, Städte wie Köln oder Frankfurt am Main inzwischen abgehängt, wie man in einer neuen Studie nachlesen kann. Wie wollen Sie dann plausibel machen, dass der Westen vernachlässigt wird?

Böhmer: Der Westen wird ja nicht vernachlässigt. Aber die Tatsache, dass es Inseln gibt, die sich gut entwickelt haben, ist nur ein Beweis dafür, dass die gesamte Förderpolitik erfolgreich war. Außer diesen Meinungen, die Sie jetzt eben zitiert haben, gibt es zum Beispiel auch noch den Professor Sinn vom Ifo-Institut in München, der vor kurzem erst wieder öffentlich festgestellt hat, wir hätten beim besten Willen noch nicht ein vernünftiges Wirtschaftswachstum im Osten organisieren können. Sie können genau auch das Gegenteil aus den Medien zitieren.

Sagenschneider: Das heißt, Sie sagen so wie es jetzt geregelt ist, ist es gut und es braucht gar nicht mehr Förderung auch für den Westen?

Böhmer: Das will ich ja nicht sagen. Natürlich gibt es dort auch inzwischen vor allen Dingen in Nordrhein-Westfalen einzelne Kommunen, denen es nicht besonders gut geht. Aber hier waren es ganze Länder oder ganze Regionen, denen es schlecht ging. Wenn es in Gelsenkirchen oder Bremerhaven bestimmte Probleme gibt, dann ist das noch lange nicht symptomatisch für das ganze große Land Nordrhein-Westfalen und man hat auch die Möglichkeit, sich innerhalb des Landes selbst zu helfen, wie das ja auch sonst üblich ist. Das darf nicht als Begründung dafür zitiert werden, dass man den gesamten Solidarpakt jetzt aufheben möchte.

Sagenschneider: Der Baden-Württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger hat vorgeschlagen, dass man ärmeren Ländern Entschuldungshilfe in Aussicht stellen sollte, also ärmere Länder wie zum Beispiel Bremen oder Berlin – das Saarland gehört sicherlich auch dazu -, und das vorausgesetzt sie würden es schaffen, einen neuen Haushalt ohne Schulden aufzustellen. Wäre das ein Weg, das Gemurre im Westen etwas einzudämmen?

Böhmer: Na gut, das sind Diskussionen, die jetzt im Zusammenhang mit der Föderalismusreform II geführt werden. Ich habe diese Berliner Rede von Herrn Oettinger durchgelesen. Er sagt nur dann, wenn tatsächlich auch eigene Bemühungen ernsthaft nachgewiesen werden, sollte man darüber sprechen, wie man diesen hohen Schuldenberg in einigen Regionen oder Städten wie zum Beispiel Berlin gemeinsam abbauen könnte. Das ist etwas, was in diesen Kommissionen diskutiert wird, aber noch hat sich niemand gefunden, der die Schulden übernehmen möchte. Deshalb bin ich da nicht sehr optimistisch.

Sagenschneider: Diese neuen Verhandlungen, die Sie angesprochen haben, wie schwierig werden die für den Osten werden jetzt gerade mit Blick auf das, was wir besprochen haben?

Böhmer: Es ist klar, wenigstens in den Gesprächen, die ich bisher miterlebt habe, dass der Solidarpakt nicht zur Diskussion steht. Und dass man danach eine andere Verteilung auch von Fördermitteln organisieren muss, gemessen an lokalen oder regionalen wirtschaftlichen Parametern, das halte ich für ausgesprochen sinnvoll. Das wird auch schon seit mindestens zwei oder drei Jahren intern diskutiert. Aber das bedeutet eben dann eine Förderpolitik für den Zeitraum nach dem Solidarpakt.

Sagenschneider: Also nach 2019?

Böhmer: Nach 2019, jawohl! Bis dahin müssen erst mal die einzelnen Länder, auch wir, erhebliche Anstrengungen übernehmen, um ohne neue Schulden auszukommen, um dann natürlich auch den eigenen angehäuften Schuldenberg langsam abtragen zu können.

Sagenschneider: Sie haben vorhin gesagt, Herr Böhmer, die Lage im Osten ist natürlich tatsächlich um einiges schwieriger als im Westen. Es gibt städtische Spitzenstandorte, wenige, aber es gibt ganz viele strukturschwache Regionen und für die gibt es immer weniger Hoffnung auf Besserung, besagt die von mir schon zitierte Prognos-Studie. Was machen Sie in diesen Regionen?

Böhmer: Auch in diesen Regionen muss das Überleben organisiert werden. Wir können ja nicht wie nach dem 30-jährigen Krieg systematisch Regionen entvölkern lassen. Aber das bedeutet natürlich, dass wir uns auf einen Bevölkerungsschwund einstellen müssen. Das heißt, dass wir die kommunalen Strukturen neu ordnen und reformieren müssen, dass wir größere kommunale Strukturen schaffen müssen und dass wir uns mehr auf regionale Zentren auch in den ländlichen Regionen konzentrieren werden.

Sagenschneider: Sind das dann Regionen, bei denen Sie sagen, Investitionen lohnen trotzdem, oder wir müssen sie woanders hinschubsen?

Böhmer: Das hängt davon ab, von welchen Investitionen wir sprechen. Natürlich müssen diese Regionen auch wenigstens infrastrukturell einigermaßen erschlossen werden. Sonst haben sie überhaupt keine Entwicklungschance. Aber diese Erschließung muss wirtschaftlich sinnvoll sein. Es hat keinen Zweck, in kleinen Orten in Straßenlaternen zu investieren oder sie zu installieren, wenn dort kaum noch jemand wohnt. Das alles sind Sachen, die im Einzelfall entschieden werden müssen. Ich bin aber völlig dagegen, dass man sagt, wir müssen größere Landstriche einfach entvölkern und uns auf die größeren Städte konzentrieren. So kann man Zukunftspolitik auch nicht machen.

Sagenschneider: Wolfgang Böhmer war das, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Ich danke Ihnen.