Böhmer lehnt Rüttgers-Vorschlag ab

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, will den Antrag seines nordrhein-westfälischen Amtskollegen Jürgen Rüttgers zum Arbeitslosengeld I auf dem Parteitag in Dresden ablehnen. Er werde dem Antrag nicht zustimmen, weil der Entwurf viele Arbeitslose in den neuen Bundesländern benachteiligen würde, sagte der CDU-Politiker.
Marie Sagenschneider: Wolfgang Böhmer ist CDU-Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Guten Morgen, Herr Böhmer.

Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Frau Sagenschneider.

Sagenschneider: Warum gibt man in der CDU eigentlich nicht zu, dass es einen handfesten Richtungsstreit gibt?

Böhmer: Weil das kein handfester Richtungsstreit ist. Alle Absichten, selbst die, die sich als so genannte Neoliberale bezeichnen, haben den Hintergrund, die soziale Situation zu verbessern, allerdings auf unterschiedlichen Wegen. Die einen sagen, wir müssen vor allen Dingen in die Wirtschaft so weit Schwerpunkte setzen und investieren, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Und die anderen sagen, solange das nicht der Fall ist, muss etwas mehr oder etwas anders umverteilt werden. Hinter beiden Absichten steht im Grunde genommen ein sozialpolitisches Motiv, was sich in unterschiedlicher Weise artikuliert.

Sagenschneider: Wenn es denn keinen Richtungsstreit gibt, warum warnen dann einige in der CDU, wie zum Beispiel Günther Oettinger, Ihr Amtskollege aus Baden-Württemberg, vor einem Linksruck der CDU?

Böhmer: Das hängt im anderen Zusammenhang. Das hängt damit zusammen, dass die CDU jetzt in der Koalition mit der SPD, nach der Meinung der Kollegen aus Baden-Württemberg, zu viele Konzessionen gemacht hätte. Das kann man, wenn man selber in einer Regierung sitzt mit einem anderen Koalitionspartner, furchtbar leicht behaupten. Dem zur Folge will er und wird auch die baden-württembergische CDU einen Antrag bringen, der sich insbesondere mit mehr Beweglichkeit im Arbeitsrecht beschäftigen soll. Und er behauptet, das Gegenteil davon wäre ein Linksruck. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein.

Sagenschneider: Ja, und aus derselben Reihe kommen ja dann auch die Stimmen, die sagen, Jürgen Rüttgers versucht die SPD von links zu überholen.

Böhmer: Das ist ein ausgesprochen polemischer Vorwurf. Die SPD würde das mit Sicherheit selbst auch nicht so sehen. Aber es ist richtig, dass er mit dem Motiv, mehr soziale Gerechtigkeit, eine andere Struktur in der Arbeitslosenversicherung anbahnt. Darüber kann man reden. Ich halte das für – auf den ersten Gedanken hin – irgendwie auch sympathisch und habe immer gesagt, bei näherem Hinschauen ist das höchstproblematisch, wenn man dann sagen muss, wenn wir innerhalb des Systems umsortieren, müssen wir anderen die Leistungen kürzen. Und dafür gibt es meistens auch keine Zustimmung. Oder wir müssen das System langfristig umsteuern. Das ist machbar, das ist aber dann nicht innerhalb von zwei, drei Jahren umsetzbar.

Sagenschneider: Sie sagen jetzt, Arbeitslosengeld I für Ältere, die arbeitslos werden, länger zu zahlen, was ja Rüttgers will, im Prinzip ja, aber nicht auf Kosten der Jüngeren.

Böhmer: Das ist genau das Problem. Man kann das mit zurückgehender Arbeitslosigkeit, bei gleich bleibenden Beiträgen bekommt man die Freiheit, die Strukturen umzuändern. Wir haben ja jetzt schon eine Altersstufe, dass man sagt, besonders ältere Arbeitslose bekommen eine längere Bezugsdauer. Das gibt es jetzt mit einer einzigen Abstufung. Man kann durchaus sagen, wenn wir es uns leisten können, bei rückgehender Zahl der Arbeitslosen, machen wir zwei oder drei Leistungsstufen in dem System. Das halte ich alles für diskussionswürdig und sogar für vernünftig. Aber man darf nicht versprechen, man kann es mit einem einzigen Parteitagsbeschluss sofort ändern.

Sagenschneider: Bedeutet das denn dann, dass Sie dem Antrag Rüttgers, dem Antrag aus Nordrhein-Westfalen, Ihre Stimme geben werden?

Böhmer: Ich würde dem Antrag – das hängt davon ab, wie er ausformuliert ist, aber so wie ich es bisher aus den Medien kenne – nicht zustimmen, weil das insbesondere für uns in den neuen Bundesländern niemanden bevorteilen, aber viele benachteiligen würde, weil die Arbeitsdauer aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsbiografien bei den meisten gar nicht ausreichen würde, um eine höhere Leistung zu beziehen. Wir müssten aber vielen die Leistungen kürzen. Deswegen halte ich das im Moment nicht für zustimmungspflichtig. Aber trotzdem sage ich ganz deutlich auch, im Laufe einer längeren Zeit sollte dieses Ziel angestrebt werden.

Sagenschneider: Rechnen Sie trotzdem damit, Herr Böhmer, dass beide Anträge, sowohl der aus Nordrhein-Westfalen als auch der aus Baden-Württemberg, in dem es eben unter anderem um die Lockerung des Kündigungsschutzes geht, dass beide abgesegnet werden, beide ihre Stimmen bekommen?

Böhmer: Das halte ich für denkbar, denn beide schließen sich gegenseitig nicht aus.

Sagenschneider: Und dann, dann geht der Auftrag an die Bundestagsfraktion und die wird beides stillschweigend versenken?

Böhmer: Die wird das nicht stillschweigend versenken, aber die kann nur das umsetzen, was sie innerhalb der Koalition mehrheitsfähig bekommt. Und das dürfte sicherlich nicht der gesamte Parteitagsbeschluss sein. Das ist fast zu erwarten.

Sagenschneider: Ihr sächsischer Amtskollege Milbradt spricht ja schon ganz offen von einer Beerdigung erster Klasse. Wenn es denn so kommt, wäre das nicht schwierig auch für die Glaubwürdigkeit der CDU?

Böhmer: Ja, vor allen Dingen, wenn man das laut, alles solches schon vorher deklariert. Dann wird es nicht einfacher, das ist wohl wahr. Dass man sagt, wir haben etwas beschlossen, wofür wir aber keine Mehrheit in der gegenwärtigen politischen Konstellation bekommen haben, das ist nicht ehrenrührig. Beide Parteien machen jetzt ja Grundsatzprogramm. Beide Parteien legen auch Wert darauf, sich voneinander abzugrenzen. Und beide Parteien sagen, was sie tun würden, wenn sie alleine regieren könnten, und wissen, dass sie Kompromisse machen müssen, wenn sie nicht allein regieren können. Das gehört zum Grundverständnis der Demokratie und das muss man gelegentlich auch dazu sagen.

Sagenschneider: Würden wir, Herr Böhmer, diese Debatte auch so erleben, wenn die Umfragewerte für die CDU besser ausfielen jetzt? Oder anders gefragt, hätte sich Ihre Partei nicht schon gleich nach der Bundestagswahl mehr damit auseinandersetzen müssen, warum sie längst nicht so viele Stimmen damals erhalten hat, wie das ja alle erwartet haben? Also rächt es sich jetzt, dass das weitgehend ausgeblieben ist?

Böhmer: Das ist ja nicht völlig ausgeblieben, aber das ist zugegeben nicht alles in der Öffentlichkeit geschehen. Das halte ich auch nicht für falsch. Es gibt bestimmte Sachen, die muss man untereinander ausdiskutieren. Und das ist auch geschehen. Und ein Ergebnis davon ist, dass die Partei mit unterschiedlichen Vorstellungen zurzeit darüber diskutiert, wie der soziale Charakter dessen, was die CDU vorhat, besser deutlich gemacht werden kann. Und da gibt es für mich nicht die eine Seite, die mehr, und die andere, die weniger sozial ist, aber es gibt eine Befürwortung unterschiedlicher Instrumentarien und darüber muss man in einer Demokratie auch öffentlich diskutieren können.

Sagenschneider: Wolfgang Böhmer, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.

Böhmer: Bitte schön, Frau Sagenschneider.