Bodenlose Geschichten von bodenständigen Menschen

Claire Keegans Geschichten spielen auf dem Lande, die Menschen mühen sich mit ihren Erinnerungen ab, bei denen es oft um eine geheime, verbotene Liebesbeziehung geht. In volkstümlichem Ton schreibt sie lakonische, aber ungemein eindringliche Erzählungen, die etwas Bodenloses haben – obwohl doch ihre Personen mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.
Die Irin Claire Keegan wurde 1968 auf dem Lande geboren, in der Grafschaft Wicklow südlich von Dublin, sie wuchs auf einem Bauernhof auf, und in größeren Städten hat sie es, außer zum Studieren, auch später nicht ausgehalten.

Auf dem Lande spielen auch ihre lakonischen, aber ungemein eindringlichen Geschichten, die wirklich etwas zu erzählen haben und die in unserm Kopf zu rumoren anfangen, wenn das Buch längst weggelegt ist. Vor vier Jahren konnten wir Claire Keegan durch ihren Erzählungsband „Wo das Wasser am tiefsten ist“ zum ersten Mal kennenlernen. Schon da zeigte sie das Leben, wie es ist, mit all seinen Gefährdungen und all seinen Möglichkeiten.

Eigentlich ist das Leben eintönig, das ist klar, aber es kann eben jederzeit von einem Unglück heimgesucht werden, manchmal sogar von Glück. Irgend etwas bricht in eine mühsam aufrechterhaltene Harmonie ein, oder jemand bricht daraus aus, aber dann merken die Leute eben, dass Erfahrungen mit Risiken verbunden sind und dass sie Konsequenzen haben. Ihre Erzählungen, so heißt es, dienen der „elementaren Orientierung“.

Gleich in der ersten Geschichte geht ein noch junges Mädchen ins große New York, man erfährt dann auch bald den wenig schönen Grund – und wie regungs- und gefühllos der erzählt wird, macht die Sache nur noch schrecklicher. In diesen neuen Erzählungen ist es oft eine geheime, oft verbotene Liebesbeziehung, die zwar vergangen ist, aber unter der Oberfläche weitergärt und ein ganzes Leben prägt.

In der Titelgeschichte, die aus der Perspektive eines Priesters erzählt wird, steht ein junges Paar vor dem Traualtar, der Priester ist ein melancholischer Zeitgenosse, irgend etwas stimmt nicht mit ihm, an seine eigene jüngere Vergangenheit möchte er nicht zurückdenken, beim anschließenden Hochzeitsmahl betrachtet er die etwas verloren wirkende Braut, die „den Stiel ihres Glases streichelt“, da möchte er am liebsten allein sein, dann reißt ihre Kette, die Perlen kullern über den Boden, er hebt sie auf, sie sind „warm von ihrem Körper“. So werden bei Claire Keegan langsam und unspektakulär die Spuren gelegt.

In welcher Zeit ihre Geschichten spielen, weiß man überhaupt nicht, ziemlich sicher spielen sie nicht heute, eher in einer diffusen Vergangenheit, das können die vierziger oder ebenso gut die siebziger Jahre sein. Claire Keegan bedient sich gern auch volkstümlicher Erzählweisen, weshalb so manche Geschichte dann auch ein wenig unvermittelt oder „fabelhaft“ endet, wie die letzte, „Die Nacht der Quickenbäume“, in der eine alleinstehende Frau sich mit ihrem eher ungepflegten Nachbarn einlässt, um doch noch ein Kind zu kriegen, obwohl sie schon 40 ist.

Claire Keegan weiß, dass Literatur etwas Bodenloses haben muss, obwohl ihre Personen wiederum mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Die Wirklichkeit hält genug Aufgaben bereit, die einen beschäftigen, besonders auf dem Lande. Aber sie schafft es nicht, den Menschen ihre Träume, zuweilen auch Hirngespinste wegzunehmen oder sie davon zu erlösen. Die Erzählung selbst ist die Erlösung, hat die Kritik über Keegans Literatur gesagt: indem sie nämlich das Schlimme zur Episode einer schönen Geschichte macht.

Rezensiert von Peter Urban-Halle

Claire Keegan: Durch die blauen Felder
Erzählungen. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Steidl Verlag, Göttingen 2008
192 Seiten. 16 Euro