Bob Dylan wird 75

Müde Diva mit hellwachen Texten

Bob Dylan bei einem Auftritt am 22.7.2012 während des Vieilles Carrues Festivals im französischen Carhaix
Bob Dylan: Der Folk- und Rockmusiker und Lyriker wird 75. © picture alliance / dpa / O. Lejeune
Von Laf Überland · 23.05.2016
Unnahbar, seltsam und empfindlich: Als erster radikaler Protestsänger eroberte er mit einem Antikriegslied die Hitparaden. Seit Jahrzehnten enttäuscht Bob Dylan regelmäßig seine Fans und bringt die Welt zum Grübeln. Daran wird auch sein 75. Geburtstag nichts ändern.
Bob Dylan - Blowin' In The Wind
Es gab da diese Zeit, als die USA auch schon mal innerlich zerrissen waren. Viele erregten sich gegen den Vietnamkrieg und für die Bürgerrechte und für Gerechtigkeit, und einige packten ihren Zorn darüber in Lieder: "Folksingers" nannte man diese Leute, meist strenge Männer mittleren Alters. In den frühen 60ern war das, und der "Folksong" war damals so bunt und lustvoll wie der Gang zur Heiligen Kommunion. Aber wer wirklich jung und scharf war, der hörte natürlich nicht Folk, sondern Rock – der hatte zwar Texte für Idioten, aber er hatte diese jugendliche Brünstigkeit in sich. Aber dann -
Bob Dylan - The Times They Are A-Changin'
Dann kam Bob Dylan, der brachte beides zusammen - die Lust und den Verstand - zu einer kritischen Rockmusik. Und die ernsten, strengen Folkies heulten auf wie Katzen, die man an die Tür nagelt.
Bob Dylan - Highwy 61 Revisited
Eigentlich hieß er Robert Zimmermann, aus Duluth, Minnesota, und im Grunde konnte er weder singen noch Mundharmonika noch Gitarre spielen. Aber seine Texte waren Offenbarungen!

Endlose Wortkaskaden gegen Krieg und Heuchelei

In endlosen Wortkaskaden schnarrte er gegen Krieg und Bürgertum und Heuchelei – so brillant, dass er zwölfstrophige Lieder auf einem einzigen Ton singen durfte, notfalls.
Dabei gab er sich ziemlich seltsam: divenhaft unnahbar und unfaßbar, böse und giftig, unheimlich empfindlich, aufgeblasen und - so unglaublich müde! Nur in seinen Texten war er so hellwach, dass er die halbe Welt mit ihnen aufweckte und anlockte wie der Rattenfänger.
Und deshalb kriegte das Enigma Dylan dann ja auch ziemlich bald eine echte Paranoia wegen all der Fans, die seine Mülltonnen durchwühlten. Also wurde er zum Eigenbrötler, zog sich von seinen Fans zurück und ging auf eine manchmal recht kuriose spirituelle Suche nach sich selbst. Phasenweise war er dann, auch auf der Bühne, so unfreundlich und in sich zurückgezogen, dass sich die Presse bereits überschlug, wenn er mal gegrinst hatte.
Bob Dylan – Not Dark Yet
Viele Leute können Bob Dylans Stimme nicht ertragen, die zuerst so klang, wie wenn andere Leute auf dem Kamm blasen, später dann als käme sie über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums und noch später wie ein permanentes Sich-Erbrechen. Trotzdem gierten die Fans und Dylan-Jünger nach immer neuen, immer gleichen Meilensteinalben, nach immer neuen Attacken aufs System und nach immer neuen Einzelheiten aus seiner Privatsphäre.

Mal hoch verrätselt, mal tief verzweifelt

Aber Dylan verweigerte sich, ließ seine Platten für sich und seine jeweilige Verfassung sprechen: Mal hoch verrätselt, mal tief verzweifelt, spielte er Country, spielte er Reggae, spielte er Rhythm and Blues und weißen Soul, er schreckte nicht vor Entertainment à la Las Vegas zurück, und in den 70ern lief er sogar mal in allen Diskotheken!
Bob Dylan - Hurricane
Der US-amerikanische Folk- und Rockmusiker und Lyriker Bob Dylan während einer Studiosession in New York im Jahr 1966
Bob Dylan während einer Studiosession in New York im Jahr 1966© picture-alliance / dpa / CBS / Landov
Mit verblüffender Zähigkeit erfand "His Bobness" sich ein ums andere Mal neu – und wurde regelmäßig dafür beschimpft und ausgebuht oder "Verräter" genannt. Aber nach Jahrzehnte langer Selbstdemontage als Idol interessiert den größten der sogenannten Protestsänger von einst inzwischen nur noch die Musik! Deshalb ist er seit beinahe drei Jahrzehnten ununterbrochen auf Tournee. Und deshalb hat er vor ein paar Jahren Radiosendungen gemacht, in denen er gut gelaunt den Menschen längst vergessene amerikanische Musiker und Stile nahe brachte und die man immer noch im Netz anhören kann.
Bob Dylan – Maggie's Farm
Sein Privatarchiv hat Bob Dylan neulich nach Tulsa, Oklahoma, verschenkt, wo Dylanologen jetzt über die Kritzeleien in seinen Notizbüchern grübeln können: Was wollte der Dichter uns sagen?

Grübelnde Fans und Experten

Genau wie wir alle über seine letzten beiden Platten grübeln, mit Coverversionen von Frank-Sinatra-Stücken im vorigen Jahr oder mit alten Rumba-Slowfox-Music Hall-Nummern und Filmschlagern jetzt gerade neu: die innerlich grauhaarige Sicht des 75-Jährigen auf die Wonnen des Verliebtseins.
Und irgendwann werden wir auch das vielleicht begreifen...
Bob Dylan - Forever Young

Wir würdigen Boby Dylan - mit Songs über Bob Dylan. Die Spotify-Playlist von Deutschlandradio Kultur:
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