Blutrausch mit Blechklang

Von Uwe Friedrich |
Am 8. Januar 1927 wurde "Penthesilea" Othmar Schoeck in Dresden uraufgeführt. Nun kehrt die Oper an den Ort ihrer Uraufführung zurück: An der Semperoper setzte Regisseur Günter Krämer konsequent auf Stilisierung. Ganz ohne Schockeffekte zeigt er die verhängnisvolle Liebe zwischen Achill und Penthesilea, die auf Täuschung basiert. Die Dresdner Staatskapelle setzte brillant Schoecks bronzenen Klang um.
Weit bauschen sich die schwarzen Reifröcke der Amazonen. Die Gesichter sind in Kriegsbemalung weiß geschminkt, blutrot die Lippen. Doch sie kämpfen vergebens gegen das Heer des Achilles. Er wird die Kriegerinnen bezwingen, wird sich in die stolze Königin Penthesilea verlieben und sich ihr schließlich waffenlos ergeben. Und dann wird Penthesilea ihn im Liebesrausch mit den Zähnen zerfleischen. "Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, der kann schon das eine für das andere greifen", diese monströsen Sätze Heinrich von Kleists bilden den schaurigen Kommentar zu einem Geschlechterkrieg ohne Sieger.

Ebenso gewalttätig wie Kleists Text ist auch Othmar Schoecks Musik. Kaum eine Handvoll Streicher, dafür acht verschiedene Klarinettenarten, zwei Klaviere, riesiges Schlagwerk und Blechbläser. Als bronzener Klang ist das Ergebnis oft beschrieben worden. Tatsächlich funkelt das Pathos dieser dunklen Töne ebenso kalt und geheimnisvoll wie die Kleistschen Verse. Hochexpressiv brechen die Klangkaskaden aus dem Graben wie aus den Menschen auf der Bühne hervor, reißen die Zuhörer mit in einen Strudel der Emotionen.

Für das mörderische Stück setzt der Regisseur Günter Krämer konsequent auf Stilisierung. Caspar David Friedrichs "Abtei im Eichwald" ist auf den bühnenhohen Vorhang gemalt, durch den zu Beginn schemenhaft der griechische Krieger Achilles hindurch scheint. Ein romantischer Albtraum von der Antike wird hier gezeigt.

Dafür hat Krämer sich die Bühne von Jürgen Bäckmann weitgehend leer räumen und schwarz verhängen lassen. Nur ein goldglänzendes Podium steht da, dessen Spielfläche hoch aufgerichtet werden kann. So erscheint Achill wie eine Statue, steht in T-Shirt und Lederhose zunächst auf einem hohen Podest, bis er sich herablässt zur unterlegenen Penthesilea im Reifrock, die noch glaubt, sie sei siegreich gewesen. Ganz vorne an der Rampe findet dann die Annäherung der beiden statt, die Bühne ist durch einen schwarzen Vorhang geschlossen.

Diese Liebe scheint noch unbeschwert, aber sie kann nicht dauern, weil sie auf List, Täuschung und Lüge basiert. Obwohl Achill Penthesilea liebt, wird er sie beinahe vergewaltigen, obwohl auch Penthesilea Achill liebt, wird sie ihn bald im Rausch zerfleischen. Günter Krämer zeigt Blutrausch nicht, lässt ihn bloß berichten von den Kriegerinnen, die starr ins Publikum schauen. Wenn dann Penthesilea erscheint, über und über mit Blut besudelt, ist das beeindruckender als es das pseudorealistische Schocktheater etwa eines Calixto Bieito je sein kann.

Das liegt freilich auch an der darstellerischen Intensität der Mezzosopranistin Iris Vermillion. Sie wirft sich rückhaltlos in die kräftezehrende Titelrolle und kostet alle Nuancen von der großen vokalen Operngeste bis zum rhythmisierten Sprechgesang virtuos aus. Der finnische Bariton Markus Nieminen steht ihr in der zweiten Hauptrolle kaum nach.

Der eigentliche Star des Abends ist aber der Dirigent Gerd Albrecht. Bewundernswert disponiert er den so genannten bronzenen Klang von Othmar Schoecks 80minütiger Partitur. Überwältigend, massiv, dabei immer klangvoll und detailreich. An den wenigen lyrischen Stellen zart aufblühend, dann wieder kraftvoll zupackend. So brillant musizierend hat man die Dresdner Staatskapelle zumindest an Premierenabenden schon lange nicht mehr gehört.