Blutleer
Wenn über "Werktreue" zu debattieren wäre, säße der Regisseur Stefan Kimmig beinahe immer auf der richtigen Seite - eher selten bereichert er Theatertexte um eigene Visionen.
Das gilt auch für "Kasimir und Karoline", Ödön von Horvath "Arbeitslosenballade" aus dem Weltwirtschaftskrisenjahr 1929 – fast 70 Jahre ein Paar viel schwärzere Börsen-Freitage später zwingt er das Stück zwar (zum Glück) nur ein ganz kleines bisschen und auch gar nicht angestrengt in die Gegenwart, und er nimmt den Text auch durchaus so lakonisch und pausenreich, wie er in der Tat ja ist. Doch zugleich treibt der Regisseur dem Stück auch all jene irgendwie magische Melancholie aus, diese aus Schmerz geborene, verzweifelte Sehnsucht, die Horvaths Figuren eben auch fast immer ausmacht. Hier sind alle und hier ist alles wie schockgefroren - und in diesem Verlust aller Träumerei, mit oder ohne Zeppelin, nun leider auch ziemlich langweilig.
Selbst das aber wäre noch halb so wild, wenn Kimmigs Bühnenbildnerin Katja Haß die Aufführung nicht vom ersten Blick an fahrlässig (und völlig unverständlicherweise) einer anderen Horvath-Vorstellung aussetzen würde, die vor gerade mal zwölf Jahren ebenfalls in Hamburg entstand: der von Christoph Marthaler, die seit der Premiere 1996 immerhin vom Schauspielhaus aus zumindest europaweit über alle Topp-Festivals tingelte und insofern eben nicht nur in Hamburg noch in allerbester Erinnerung ist. Der beinahe bühnenhohe Rundbau eines klassischen Panoptikums, den damals die stilbildende Bühnen-Künstlerin Anna Viebrock für Marthaler kreierte und aus dem der dann das "Abnormitätenkabinett" der Riesen, Zwerge und Damen ohne Unterleib heraus und auf das Publikum zu treten ließ, prägt bei Haß (damals Viebrocks Assistentin) nun abendfüllend und in ständiger Drehung die Bühne; allerdings fast völlig leer, keine Spur mehr von Oktoberfestrausch und "Abnormitäten". Die leben wohl jetzt draußen - zwei Huren zum Beispiel streunen gleich zu Beginn vorbei, und die eine spricht Schwedisch (oder Norwegisch): eine Touristin vermutlich auf der Suche nach Fest-Verdienst.
Gegenüber dieser (wie es scheint) ohne Ziel und Zweck heraufbeschworenen Erinnerung an Marthaler (die dessen Meisterschaft ja obendrein immer auch ein wenig verklärt) stürzt die Kimmig-Aufführung aber erst recht ab – sie sieht einfach aus wie Marthaler für ganz Arme. Selbst wenn das Absicht wäre, erwiese sich diese Idee als fataler Irrtum – denn es nutzt eben nichts, Horvaths an sich schon so verlorene Figuren nun ganz und gar zu entseelen, sie zu reduzieren auf fast automatisch funktionierende Elends- und Untergangsmaschinen. So agieren ansonsten hoch geschätzte Interpretinnen und Interpreten wie Paula Dombrowski und Peter Moltzen in den Titelrollen weit unter ihren Möglichkeiten; und auch darüber hinaus bleiben nur einige wenige Miniaturen in Erinnerung: vor allem die von Susanne Wolff, deren Wirkung verrückterweise gerade aus der Heutigkeit erwächst, die die Inszenierung ansonsten strikt umschifft. Die Freundin Erna, ausstaffiert wie das Klischee des Hartz-IV-Präkariats aus Steilshoop und durch Zufall hinein gezogen in den latenten Liebesverlust von Horvaths Loser-Paar, zaubert immerhin ein wenig Horvath-Sehnsucht in diese Dauer-Tristesse.
Ansonsten aber sieht sich der Abend ähnlich blutleer an wie eine Nürnberger Arbeitslosenstatistik. Horvaths "Ballade" will wirklich viel mehr.
Rekonstruiert und erweitert nach dem "Fazit"-Live-Gespräch
Kasimir und Karoline
Von Ödön von Horvath
Regie: Stefan Kimmig
Thalia Theater in Hamburg
Selbst das aber wäre noch halb so wild, wenn Kimmigs Bühnenbildnerin Katja Haß die Aufführung nicht vom ersten Blick an fahrlässig (und völlig unverständlicherweise) einer anderen Horvath-Vorstellung aussetzen würde, die vor gerade mal zwölf Jahren ebenfalls in Hamburg entstand: der von Christoph Marthaler, die seit der Premiere 1996 immerhin vom Schauspielhaus aus zumindest europaweit über alle Topp-Festivals tingelte und insofern eben nicht nur in Hamburg noch in allerbester Erinnerung ist. Der beinahe bühnenhohe Rundbau eines klassischen Panoptikums, den damals die stilbildende Bühnen-Künstlerin Anna Viebrock für Marthaler kreierte und aus dem der dann das "Abnormitätenkabinett" der Riesen, Zwerge und Damen ohne Unterleib heraus und auf das Publikum zu treten ließ, prägt bei Haß (damals Viebrocks Assistentin) nun abendfüllend und in ständiger Drehung die Bühne; allerdings fast völlig leer, keine Spur mehr von Oktoberfestrausch und "Abnormitäten". Die leben wohl jetzt draußen - zwei Huren zum Beispiel streunen gleich zu Beginn vorbei, und die eine spricht Schwedisch (oder Norwegisch): eine Touristin vermutlich auf der Suche nach Fest-Verdienst.
Gegenüber dieser (wie es scheint) ohne Ziel und Zweck heraufbeschworenen Erinnerung an Marthaler (die dessen Meisterschaft ja obendrein immer auch ein wenig verklärt) stürzt die Kimmig-Aufführung aber erst recht ab – sie sieht einfach aus wie Marthaler für ganz Arme. Selbst wenn das Absicht wäre, erwiese sich diese Idee als fataler Irrtum – denn es nutzt eben nichts, Horvaths an sich schon so verlorene Figuren nun ganz und gar zu entseelen, sie zu reduzieren auf fast automatisch funktionierende Elends- und Untergangsmaschinen. So agieren ansonsten hoch geschätzte Interpretinnen und Interpreten wie Paula Dombrowski und Peter Moltzen in den Titelrollen weit unter ihren Möglichkeiten; und auch darüber hinaus bleiben nur einige wenige Miniaturen in Erinnerung: vor allem die von Susanne Wolff, deren Wirkung verrückterweise gerade aus der Heutigkeit erwächst, die die Inszenierung ansonsten strikt umschifft. Die Freundin Erna, ausstaffiert wie das Klischee des Hartz-IV-Präkariats aus Steilshoop und durch Zufall hinein gezogen in den latenten Liebesverlust von Horvaths Loser-Paar, zaubert immerhin ein wenig Horvath-Sehnsucht in diese Dauer-Tristesse.
Ansonsten aber sieht sich der Abend ähnlich blutleer an wie eine Nürnberger Arbeitslosenstatistik. Horvaths "Ballade" will wirklich viel mehr.
Rekonstruiert und erweitert nach dem "Fazit"-Live-Gespräch
Kasimir und Karoline
Von Ödön von Horvath
Regie: Stefan Kimmig
Thalia Theater in Hamburg