Blunk: Runden Tisch zur Gesundheitsreform einberufen

Jörg Degenhardt im Gespräch mit Lilo Blunck · 27.01.2010
Der Bund der Versicherten (BdV) fordert Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) auf, einen runden Tisch zur Gesundheitsreform zu bilden. Daran sollten auch Patienten- und Verbraucherorganisationen teilnehmen, sagte die BdV-Vorstandsvorsitzende Lilo Blunck.
Jörg Degenhardt: Gesundheit ist ein teueres Gut, im wahrsten Sinne des Wortes. Mindestens 10 Millionen Versicherte in Deutschland müssen in diesem Frühjahr mit Zusatzbeiträgen zu ihrer Krankenversicherung rechnen. Während den Kassen trotz dieses Schritts Finanzlöcher drohen, halten auf der anderen Seite drei von vier Bundesbürgern das deutsche Gesundheitswesen jetzt schon für verschwenderisch. Wie passt das zusammen? Auch darüber möchte ich reden mit Lilo Blunck, der Vorstandsvorsitzenden des Bundes der Versicherten, mit mehr als 50.000 Mitgliedern Deutschlands größte unabhängige und gemeinnützige Verbraucherschutzorganisation für private Versicherungsfragen. Ich grüße Sie! – Glauben Sie auch, dass das Geld in der Gesundheitsbranche an der falschen Stelle und dann auch noch in falscher Höhe ausgegeben wird?

Lilo Blunck: Einen wunderschönen guten Morgen erst mal! – Aber … ja, das glaube ich auch, und ich glaube, dass wir insgesamt ganz schlecht beraten sind im Augenblick, weil es eine Vermischung gibt von privaten Elementen in der gesetzlichen, angeblich solidarischen Krankenkasse und von gesetzlichen Elementen, also solidarischen Elementen, in der privaten Krankenversicherung.

Degenhardt: Können Sie das ein bisschen präzisieren?

Blunck: Also, es kann nicht angehen, dass die gesetzliche Krankenkasse Wahltarife anbietet. Das ist absoluter Humbug und Blödsinn und hat in dem System nichts zu tun. Das was mich so ärgerlich macht, ist, dass in dem angeblich solidarischen System – deswegen setze ich "angeblich" davor – eigentlich nur Kranke mit Kranken solidarisch sind, aber nicht das, was ich unter Solidarität verstehe, nämlich Gesunde mit Kranken solidarisch sind. Das, was die gesetzlich Versicherten, wenn sie krank sind, bei der Apotheke bezahlen, ist um ein Vielfaches mehr als das, was an Erhöhungen sich im Beitrag niederschlägt. Deswegen finde ich, was so im Augenblick von der Politik angekündigt wird, nach dem Motto "wir müssen die Ausgaben beschränken", das kommt bei mir wie Hohn an.

Degenhardt: Aber klar ist doch, eine gute medizinische Betreuung in der älter werdenden Gesellschaft, die gibt es nicht für umsonst. So hören und lesen wir das ja immer wieder. Das heißt, die Bürger müssen sich letztendlich doch einstellen, dass sie sich stärker beteiligen müssen?

Blunck: Ich glaube, dass das Gesundheitssystem bezahlbar wäre, wenn wir uns vielleicht mal frei machen würden von dem, was wir bisher denken, nämlich dass wir alle Systeme miteinander vermischen. Vorab: ich glaube, dass es einem System immer gut tut, wenn zwei Leute tatsächlich miteinander konkurrieren. Und zwei Leute, das sind in diesem Fall einmal die gesetzliche Krankenkasse mit den privat Versicherten, denn so nur gibt es Fortschritt. Wenn irgendwas an Konkurrenz da ist, gibt es Fortschritt. Und das, was die Politik gemacht hat in den vergangenen Jahrzehnten oder in der vergangenen Legislaturperiode, dass sie gesagt hat, wir machen einen Gesundheitsfonds und Wahltarife und dann werden schon die gesetzlichen untereinander konkurrieren, das Ergebnis sehen wir. Jetzt haben die gesetzlichen gefunden: Okay, der eine schreitet voran und wir anderen machen… ganz leise schreiten wir hinterher und machen eine Erhöhung. Ich kann da keine Konkurrenz sehen, aber das konnte ich vorher auch nicht.

Degenhardt: Das klingt aber schon ein bisschen, diese Zusatzbeiträge, die eingeführt werden, als würde die Kopfpauschale sozusagen durch die Hintertür eingeführt?

Blunck: Aber das finde ich auch genauso unsinnig. Ich glaube, dass das System, wie wir es hatten, ein hervorragendes System war, wo ein geringer Teil privat versichert war. Übrigens, um es noch mal zu sagen: das sind nicht die super Reichen, die super Gesunden, sondern der Gesetzgeber hat schon dafür gesorgt, dass dort auch der kleine Polizeibeamte ist, und Sie wollen mir ja nicht einreden, dass der also nun wirklich sozusagen an der Millionärsgrenze verdient, oder der kleine Selbstständige, die kleine Imbissbude, die da ein paar Döner verkauft, der ist auch nicht gerade mit was weiß ich, einem riesigen Bankkonto in der Schweiz gesegnet. Und ob er so gesund ist, wage ich auch noch zu bezweifeln.

Degenhardt: Was raten Sie zum Beispiel den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen, die jetzt unter diesen Zusatzbeiträgen leiden, die möglicherweise ja noch mehr bezahlen müssen? Die 8 Euro sind ja möglicherweise erst der Anfang. Sollen sie wechseln? Bei den gesetzlichen haben sie ja auch nicht viel davon, wenn sie wechseln.

Blunck: Sie haben nicht viel davon. Sie können im Moment noch wechseln, aber ich glaube nicht, dass das auf Dauer was bringen wird, weil ich der festen Überzeugung bin, dass nachgelegt wird, dass alle Kassen diese 8 Euro irgendwann mal als zusätzlichen Beitrag nehmen werden. Also von daher wird es nur eine kurzfristige Erleichterung sein, aber diejenigen, die das nötig haben, sollten zumindest diese kurzfristige Erleichterung in Anspruch nehmen.
Und ansonsten kann ich nur sagen: endlich mal an den Abgeordneten, an die Abgeordnete rangehen und verlangen, dass im Gesundheitssystem wirklich erstens Qualität eingefügt wird und eine Qualitätskontrolle, dass sich Verbraucherorganisationen – und damit meine ich auch die Organisationsformen, wo Kranke sich organisiert haben – zusammensetzen mit den Politikern und in diesem Gesundheitssystem dafür Sorge tragen, dass nicht einige sich dumm und dusselig verdienen und andere das bezahlen müssen, und dass es endlich ein solidarisches System gibt und ein kapitalgedecktes System. Ich fand nämlich unser System vorher, bevor da rumgepfuscht wurde, hervorragend.

Degenhardt: Wenn wir über die Kosten im Gesundheitsbereich reden – und wir sind ja jetzt da letztendlich beim Geld -, sollten dann aus Ihrer Sicht, Frau Blunck, auch die Honorare der Ärzte auf den Prüfstand?

Blunck: Ich finde, dass Ärzte Geld verdienen sollen. Das ist in Ordnung. Aber dafür muss es eine Leistung geben und es muss eine Qualitätskontrolle geben und es kann nicht angehen, dass wir so oft zum Arzt marschieren. Da wird dann immer auf den Patienten gezeigt, aber vielleicht, wenn der Arzt etwas mehr Zeit hätte, sich mit dem Patienten zu unterhalten, etwas weniger seine Apparate einsetzen würde, etwas gezielter seine Apparate einsetzen würde, würde das Gesundheitssystem billiger werden und, ich glaube, der Patient zufriedener und vielleicht auch gesünder.

Degenhardt: Meinen Sie, dass das der neue Gesundheitsminister weiß?

Blunck: Also ich glaub ja immer noch als alte Sozialdemokratin, dass jeder noch in seinem Leben klüger werden kann, und das hoffe ich eben bei dem auch.

Degenhardt: Was konkret fordern Sie von Herrn Rösler?

Blunck: Ich fordere, dass er einen Runden Tisch macht. Ich glaube, er sollte die Leute zusammenholen, die nicht nur in der Politik und in der Wissenschaft und bei den Ärzten sind, sondern er sollte Patientenorganisationen, Verbraucherorganisationen mit dazuholen, denn ich glaube, dass die Patientenorganisationen, die Verbraucherorganisationen diejenigen sind, die am besten dieses System beurteilen können, und ich bin einfach der Meinung, dass ein ganz gesunder Abgeordneter, ein ganz gesunder Minister vielleicht doch die eine oder andere Nachhilfestunde da brauchen könnte.

Degenhardt: Lilo Blunck, die Vorstandsvorsitzende des Bundes der Versicherten, in Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen einen guten Tag noch!

Blunck: Das wünsche ich Ihnen auch.
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