Blüm fordert "Renaissance der Arbeit"
Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm hat für eine "Renaissance der Arbeit" plädiert. Arbeit sei die Quelle allen Wohlstands, sagte Blüm. "Das ist keine Erfindung des Großvaters Blüm, das hat vor ein paar hundert Jahren der Erfinder des Kapitalismus, Adam Smith, gesagt", betonte er.
Matthias Hanselmann: Vertrauen in Zeiten der Krise, das ist unser Thema. Norbert Blüm war 16 Jahre lang Minister für Arbeit und Sozialordnung in der Bundesrepublik Deutschland und in jungen Jahren Werkzeugmacher bei der Adam Opel AG. Auch als Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft setzte er sich für den Ausbau des Sozialstaats ein. Ihm haben wir unter anderem die Einführung die Pflegeversicherung zu verdanken. Legendär sein Satz aus den 80er-Jahren, "Die Rente ist sicher", mit dem er Vertrauen schaffen wollte für die gesetzliche Rente in Deutschland. Ich habe mich vor der Sendung mit Norbert Blüm unterhalten und ihn zunächst gefragt, was für ihn ganz persönlich der Begriff "Vertrauen" bedeutet.
Norbert Blüm: Das ist ein Vorschuss, ohne den das Leben nicht lebenswert ist. Wenn ich alles berechne, wenn ich keinen Handstrich mache, ohne die Gegenleistung kalkuliert zu haben, dann fällt alles in sich zusammen. Da sind die schönsten Sachen nicht möglich: Liebe. Liebe auf ohne Vertrauen, können Sie einpacken. Aber auch Geschäfte eigentlich nicht, ganz einfache: Wenn ich in ein Taxi mich setze, muss der Taxifahrer das Vertrauen haben, dass ich bezahle. Denn ist kein Dritter dabei. Ich könnte ja behaupten, ich habe gezahlt, da hat er keinen Gegenbeweis. Also es geht … Ohne Vertrauen ist menschliches Zusammenleben unmöglich.
Hanselmann: Da kommen Sie der enzyklopädischen Definition schon sehr nahe, das Wort hängt unter anderem eng mit den Begriffen "treu" und auch "stark" zusammen. Nun befinden wir uns in dieser zitierten Finanzkrise. Wo finden wir denn da noch Stärke, Verlässlichkeit, Treue – bei den Banken und Versicherungen ja wohl eher nicht, oder?
Blüm: Ja, ich glaube, dass diese Finanzkrise eine kulturelle Krise ist, dass es viel zu flach analysiert ist, wenn es nur ein Defekt im Geldgeschäft ist. Das geht tiefer. Das ist eine Wirtschaft, die sich von den realen Gütern, von Wertschöpfung und Arbeit befreit hat, die in einem reinen virtuellen Bereich stattfindet.
Und in einem solchen Bereich, der ist abstrakt, ist kein Vertrauen möglich. Denn Vertrauen ist auf personale Beziehungen angewiesen. Ein Vertrauen zwischen der Maschine und einer anderen Maschine gibt es nicht, zwischen Geldautomat und einem Kunden ist auch eine Vertrauensbeziehung schlecht möglich. Das ist die Kulturkrise einer Gesellschaft, die sich von Realitäten abgekoppelt hat und beispielsweise diesem Irrsinnssatz folgt: Geld arbeitet. Ich habe noch nie einen Euro arbeiten sehen.
Und ich kann es, damit es nicht so theoretisch klingt: Porsche beispielsweise hat einen höheren Gewinn als Umsatz. Was lehrt uns das? Dass die Geld verdienen ohne Arbeit, durch Finanzgeschäfte. Siemens, eine große Firma, weil ich betrachte es als ein Bankhaus mit angeschlossenen Produktionshallen. Und große, weltweite Global Player, die haben gar keine Produktionsstätten mehr.
Nike, dieser Sportartikelhersteller, bewundert auf der ganzen Welt, das ist eine Marketingabteilung mit Logistik, die Logistik sorgt dafür, dass die Einzelteile rechtzeitig zusammengeschraubt werden, mit Produktion haben die nichts zu tun. Damit wird eine Firma was ganz Neues. Das ist eine Kette von Verträgen, aber Vertrauen zwischen Menschen, zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer, ein Personalverbund, der löst sich auf. Und das, glaube ich, ist wie im späten Rom.
Hanselmann: Also ist da ein ganz entscheidendes Bindeglied verloren gegangen …
Blüm: Nämlich Vertrauen.
Hanselmann: … nämlich eines zwischen der realen Welt und der abstrakten Welt, dieser reinen Geldwelt. Was ist denn da genau …
Blüm: Vertrauen ist, um es noch mal zu sagen, eine, ja, im besten Sinne eine Tugend. Und Maschinen können keine Tugenden haben. Geld kann auch keine Tugend haben. Und eine Welt, die sich völlig vom Menschen abgekoppelt hat, die nur in Derivaten denkt – schon das Wort ist schön –, ja, die geht vor die Hunde.
Hanselmann: Aber was ist uns da verloren gegangen zwischendurch, Herr Blüm?
Blüm: Wenn es nicht zu pathetisch klingt, der Mensch. Sie können Suchmeldungen aufgeben nach den Menschen, das ist ein Anhängsel. Die Arbeitnehmer, da haben ja auch manche hier den Ehrgeiz, ja, das ist nicht mehr Mitarbeiter, das ist einer, der heute da und morgen dort arbeitet. Im Grunde marschieren wir, wenn wir es nicht stoppen, auf den alten Tagelöhner zurück.
Sehen Sie, ich komme von der Firma Opel, jedenfalls vor vielen, vielen Jahrzehnten. Da war man immer stolz, Opelianer zu sein, man hat dazugehört. Ich meine, man hat auf den Chef geschimpft, das hat auch dazugehört, aber wehe, es hat einer etwas Schlechtes über Opel gesagt – da waren alle Opeljaner beleidigt. Heutzutage, was haben die Opeljaner noch mit einer Firma zu tun, die sie behandelt wie ein Ersatzteil?
Hanselmann: Sie selbst, Herr Blüm, sind ja in die Geschichte eingegangen durch Ihren legendären Satz, "Die Rente ist sicher", 1986 war das, glaube ich, und dann haben Sie es auch noch mehrmals wiederholt.
Blüm: Bis heute.
Hanselmann: Waren Sie damals …
Blüm: Und wenn Sie es noch mal wiederholt haben wollen, kann ich es jetzt sagen. Und wer in dieser Zeit, weil wir ja gerade (…), diesen Satz bezweifelt, der liest den Wirtschaftsteil der Zeitungen nicht, x-beliebig. Also wenn etwas sich als richtig bewiesen hat, dann ist eine Rente, die auf Arbeit und Umlage basiert, immer sicherer als eine börsenorientierte, kapitalgedeckte Rente – die sollte ja der große Hoffnungsträger sein.
Da kann ich nur sagen, das ist eine Kette von gebrochenen Zusagen. Weltweit sind die Menschen, jetzt muss ich mal grob werden, beschissen worden von dieser Art von Rente. Und da bleibe ich dabei: Das sicherste System ist eine auf Arbeit, realer Arbeit basierende Rente.
Und richtig ist, wie hoch die ist, das hängt freilich davon ab, wie viel Beiträge zahlen. Wenn Sie natürlich einen Teil der Beiträge abführen und der Allianz überweisen, mit Riester-Rente, wenn Sie die Beiträge nicht in die Rentenversicherung zahlen, sondern in die Privatversicherung, ja dann müssen Sie sich nicht wundern, dass die Rente, die gute, alte Rente nicht so hoch sein kann.
Hanselmann: Selbst die gute, alte Rente, jetzt vor dem Hintergrund, dass der Staat sich immer mehr verschuldet, dass die nachfolgenden Generationen dafür dann irgendwann aufkommen müssen – haben Sie nicht auch Angst vor einem Zusammenbruch dieses guten, alten Generationenvertrages, der guten, alten Rente? Sind Sie sich wirklich 100-prozentig sicher, dass die Renten noch sicher sind?
Blüm: Können Sie mir mal die Gegenfrage beantworten, was denn sicherer als die Rente sein soll? Die kapitalgedeckte, um es noch mal zu sagen, nicht. Und wenn Sie von der demografischen Entwicklung sprechen, ja, wieso soll denn eine kapitalgedeckte Rente dagegen immun sein?
Wenn die Beitragszahler ausgehen, dann muss sie Kapital abschmelzen, da verliert sie Einnahmen, dann kommt sie in die gleichen Schwierigkeiten. Richtig ist, wenn weniger einzahlen, dann müssen die, die weniger zahlen, mehr bezahlen. Nur ist das nicht nur eine Kopfzahltheorie, die Demografie.
Wir haben es ja nicht nur mit Bevölkerungsrückgang zu tun, sondern mit Arbeitsplatzverlusten. Ich meine, wenn alle, die geboren werden, Arbeit haben, haben sie das demografische Problem gelöst. Wenn es nur auf die Kopfzahl ankäme – das ist ja offenbar das Kriterium –, dann müssten die in Indien, im Kongo und Brasilien eine hervorragende Alterssicherung haben. Haben sie aber nicht.
Also kommt es drauf an auf die Arbeit, auf die Arbeitschancen. Und das ist die Kernfrage jeder Sozialpolitik – eine Welt, in der alle Arbeit haben. Und dass die möglich ist, das zeigt mir doch, dass es noch ungeheuer viel unbefriedigte Bedürfnisse auf der Welt gibt. Also in einer Welt, die von Elend überschwemmt wird, zu sagen, der Menschheit geht die Arbeit aus, das können nur verwöhnte Wohlstandskinder sein. Und selbst in den entwickelten Nationen gibt es doch unbefriedigte Bedürfnisse, auch ganz neue. Ich meine, es entsteht eine neue Nachfrage nach Pflege, haushälterischer Beratung. Diese alternde Gesellschaft hat auch neue Nachfragen, neue Bedürfnisse. Also zu sagen, die Arbeit geht uns aus, das scheint mir irgendwie eine Verwechslung zu sein.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem ehemaligen deutschen Arbeitsminister Norbert Blüm, 16 Jahre lang war er das, der heute 73 Jahre alt ist. Herr Blüm, worauf sollen Ihre Enkel vertrauen, um noch mal zu unserem eigentlichen Thema "Vertrauen" zurückzukommen? Was sagen Sie ihnen?
Blüm: Es geht nur mit einer Renaissance der Arbeit. Verlasst euch nicht auf eine Spekulationswelt, auf eine virtuelle Welt von Geschäftemachern. Zu guter Letzt, die Quelle allen Wohlstandes ist die Arbeit. Das ist keine Erfindung des Großvaters Blüm, das hat vor ein paar hundert Jahren der Erfinder des Kapitalismus, Adam Smith, gesagt. Die Quelle des Wohlstandes der Völker ist die Arbeit. Das ist das Wichtigste. Der muss gehegt, der muss gepflegt werden, denn dazu gehört Bildung dazu. Das ist eine ganz andere Welt als eine Welt, die täglich die Nachrichten von der Börse studiert. Ich werde ja fast verrückt, wie die Wettermeldung kriege ich dauernd Börsennachrichten. Wir werden ja erzogen zum Schnäppchenjäger, als hätte die Menschheit nichts Besseres zu tun, als täglich Preisvergleiche zu machen. Wollt ihr denn Idioten erziehen?
Hanselmann: Herr Blüm, haben Sie das Vertrauen, dass die gegenwärtige Krise bald überstanden sein wird und die Menschen zurückkehren zu diesen Werten, die Sie eben beschrieben haben?
Blüm: Jede Krise ist auch eine Chance. Es geht nur mit einer Wende. Und die erwarte ich weniger jetzt von neuen Gesetzen, ich glaube, es geht auch um eine neue Wirtschaftsgesinnung, in der es so alte Sachen, so uralte Sachen wie Vertrauen wieder eine Rolle spielen. Und um auf mein Lieblingsthema zurückzukommen, in dem das Gesetz gilt, das seit Jahrtausenden gilt, schon im Neandertal galt: Die Jungen sorgen für die Alten.
Hanselmann: Rückkehr zur Arbeit und eine neue Wirtschaftsgesinnung fordert der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm.
Blüm: Ich will noch vielleicht was hinzufügen: So ganz neu und vom Himmel fällt die ja nicht. Ich will ja nicht behaupten, ich sei ausgestorben. Sehen Sie, in vielen Handwerksbetrieben, mittelständischen Betrieben ist ja die Beziehung zwischen Chef und Geselle, zwischen Meister und Geselle noch vorhanden. Das ist eine ganz andere Sache wie bei den Großkonzernen, wo das abstrakt geworden ist. Im Grunde geht es um eine Renaissance aus dem Geiste des Mittelstands.
Hanselmann: Dann wünsche ich Ihnen und uns mehr gesundes und weniger blindes Vertrauen. Dankeschön, Herr Blüm!
Norbert Blüm: Das ist ein Vorschuss, ohne den das Leben nicht lebenswert ist. Wenn ich alles berechne, wenn ich keinen Handstrich mache, ohne die Gegenleistung kalkuliert zu haben, dann fällt alles in sich zusammen. Da sind die schönsten Sachen nicht möglich: Liebe. Liebe auf ohne Vertrauen, können Sie einpacken. Aber auch Geschäfte eigentlich nicht, ganz einfache: Wenn ich in ein Taxi mich setze, muss der Taxifahrer das Vertrauen haben, dass ich bezahle. Denn ist kein Dritter dabei. Ich könnte ja behaupten, ich habe gezahlt, da hat er keinen Gegenbeweis. Also es geht … Ohne Vertrauen ist menschliches Zusammenleben unmöglich.
Hanselmann: Da kommen Sie der enzyklopädischen Definition schon sehr nahe, das Wort hängt unter anderem eng mit den Begriffen "treu" und auch "stark" zusammen. Nun befinden wir uns in dieser zitierten Finanzkrise. Wo finden wir denn da noch Stärke, Verlässlichkeit, Treue – bei den Banken und Versicherungen ja wohl eher nicht, oder?
Blüm: Ja, ich glaube, dass diese Finanzkrise eine kulturelle Krise ist, dass es viel zu flach analysiert ist, wenn es nur ein Defekt im Geldgeschäft ist. Das geht tiefer. Das ist eine Wirtschaft, die sich von den realen Gütern, von Wertschöpfung und Arbeit befreit hat, die in einem reinen virtuellen Bereich stattfindet.
Und in einem solchen Bereich, der ist abstrakt, ist kein Vertrauen möglich. Denn Vertrauen ist auf personale Beziehungen angewiesen. Ein Vertrauen zwischen der Maschine und einer anderen Maschine gibt es nicht, zwischen Geldautomat und einem Kunden ist auch eine Vertrauensbeziehung schlecht möglich. Das ist die Kulturkrise einer Gesellschaft, die sich von Realitäten abgekoppelt hat und beispielsweise diesem Irrsinnssatz folgt: Geld arbeitet. Ich habe noch nie einen Euro arbeiten sehen.
Und ich kann es, damit es nicht so theoretisch klingt: Porsche beispielsweise hat einen höheren Gewinn als Umsatz. Was lehrt uns das? Dass die Geld verdienen ohne Arbeit, durch Finanzgeschäfte. Siemens, eine große Firma, weil ich betrachte es als ein Bankhaus mit angeschlossenen Produktionshallen. Und große, weltweite Global Player, die haben gar keine Produktionsstätten mehr.
Nike, dieser Sportartikelhersteller, bewundert auf der ganzen Welt, das ist eine Marketingabteilung mit Logistik, die Logistik sorgt dafür, dass die Einzelteile rechtzeitig zusammengeschraubt werden, mit Produktion haben die nichts zu tun. Damit wird eine Firma was ganz Neues. Das ist eine Kette von Verträgen, aber Vertrauen zwischen Menschen, zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer, ein Personalverbund, der löst sich auf. Und das, glaube ich, ist wie im späten Rom.
Hanselmann: Also ist da ein ganz entscheidendes Bindeglied verloren gegangen …
Blüm: Nämlich Vertrauen.
Hanselmann: … nämlich eines zwischen der realen Welt und der abstrakten Welt, dieser reinen Geldwelt. Was ist denn da genau …
Blüm: Vertrauen ist, um es noch mal zu sagen, eine, ja, im besten Sinne eine Tugend. Und Maschinen können keine Tugenden haben. Geld kann auch keine Tugend haben. Und eine Welt, die sich völlig vom Menschen abgekoppelt hat, die nur in Derivaten denkt – schon das Wort ist schön –, ja, die geht vor die Hunde.
Hanselmann: Aber was ist uns da verloren gegangen zwischendurch, Herr Blüm?
Blüm: Wenn es nicht zu pathetisch klingt, der Mensch. Sie können Suchmeldungen aufgeben nach den Menschen, das ist ein Anhängsel. Die Arbeitnehmer, da haben ja auch manche hier den Ehrgeiz, ja, das ist nicht mehr Mitarbeiter, das ist einer, der heute da und morgen dort arbeitet. Im Grunde marschieren wir, wenn wir es nicht stoppen, auf den alten Tagelöhner zurück.
Sehen Sie, ich komme von der Firma Opel, jedenfalls vor vielen, vielen Jahrzehnten. Da war man immer stolz, Opelianer zu sein, man hat dazugehört. Ich meine, man hat auf den Chef geschimpft, das hat auch dazugehört, aber wehe, es hat einer etwas Schlechtes über Opel gesagt – da waren alle Opeljaner beleidigt. Heutzutage, was haben die Opeljaner noch mit einer Firma zu tun, die sie behandelt wie ein Ersatzteil?
Hanselmann: Sie selbst, Herr Blüm, sind ja in die Geschichte eingegangen durch Ihren legendären Satz, "Die Rente ist sicher", 1986 war das, glaube ich, und dann haben Sie es auch noch mehrmals wiederholt.
Blüm: Bis heute.
Hanselmann: Waren Sie damals …
Blüm: Und wenn Sie es noch mal wiederholt haben wollen, kann ich es jetzt sagen. Und wer in dieser Zeit, weil wir ja gerade (…), diesen Satz bezweifelt, der liest den Wirtschaftsteil der Zeitungen nicht, x-beliebig. Also wenn etwas sich als richtig bewiesen hat, dann ist eine Rente, die auf Arbeit und Umlage basiert, immer sicherer als eine börsenorientierte, kapitalgedeckte Rente – die sollte ja der große Hoffnungsträger sein.
Da kann ich nur sagen, das ist eine Kette von gebrochenen Zusagen. Weltweit sind die Menschen, jetzt muss ich mal grob werden, beschissen worden von dieser Art von Rente. Und da bleibe ich dabei: Das sicherste System ist eine auf Arbeit, realer Arbeit basierende Rente.
Und richtig ist, wie hoch die ist, das hängt freilich davon ab, wie viel Beiträge zahlen. Wenn Sie natürlich einen Teil der Beiträge abführen und der Allianz überweisen, mit Riester-Rente, wenn Sie die Beiträge nicht in die Rentenversicherung zahlen, sondern in die Privatversicherung, ja dann müssen Sie sich nicht wundern, dass die Rente, die gute, alte Rente nicht so hoch sein kann.
Hanselmann: Selbst die gute, alte Rente, jetzt vor dem Hintergrund, dass der Staat sich immer mehr verschuldet, dass die nachfolgenden Generationen dafür dann irgendwann aufkommen müssen – haben Sie nicht auch Angst vor einem Zusammenbruch dieses guten, alten Generationenvertrages, der guten, alten Rente? Sind Sie sich wirklich 100-prozentig sicher, dass die Renten noch sicher sind?
Blüm: Können Sie mir mal die Gegenfrage beantworten, was denn sicherer als die Rente sein soll? Die kapitalgedeckte, um es noch mal zu sagen, nicht. Und wenn Sie von der demografischen Entwicklung sprechen, ja, wieso soll denn eine kapitalgedeckte Rente dagegen immun sein?
Wenn die Beitragszahler ausgehen, dann muss sie Kapital abschmelzen, da verliert sie Einnahmen, dann kommt sie in die gleichen Schwierigkeiten. Richtig ist, wenn weniger einzahlen, dann müssen die, die weniger zahlen, mehr bezahlen. Nur ist das nicht nur eine Kopfzahltheorie, die Demografie.
Wir haben es ja nicht nur mit Bevölkerungsrückgang zu tun, sondern mit Arbeitsplatzverlusten. Ich meine, wenn alle, die geboren werden, Arbeit haben, haben sie das demografische Problem gelöst. Wenn es nur auf die Kopfzahl ankäme – das ist ja offenbar das Kriterium –, dann müssten die in Indien, im Kongo und Brasilien eine hervorragende Alterssicherung haben. Haben sie aber nicht.
Also kommt es drauf an auf die Arbeit, auf die Arbeitschancen. Und das ist die Kernfrage jeder Sozialpolitik – eine Welt, in der alle Arbeit haben. Und dass die möglich ist, das zeigt mir doch, dass es noch ungeheuer viel unbefriedigte Bedürfnisse auf der Welt gibt. Also in einer Welt, die von Elend überschwemmt wird, zu sagen, der Menschheit geht die Arbeit aus, das können nur verwöhnte Wohlstandskinder sein. Und selbst in den entwickelten Nationen gibt es doch unbefriedigte Bedürfnisse, auch ganz neue. Ich meine, es entsteht eine neue Nachfrage nach Pflege, haushälterischer Beratung. Diese alternde Gesellschaft hat auch neue Nachfragen, neue Bedürfnisse. Also zu sagen, die Arbeit geht uns aus, das scheint mir irgendwie eine Verwechslung zu sein.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem ehemaligen deutschen Arbeitsminister Norbert Blüm, 16 Jahre lang war er das, der heute 73 Jahre alt ist. Herr Blüm, worauf sollen Ihre Enkel vertrauen, um noch mal zu unserem eigentlichen Thema "Vertrauen" zurückzukommen? Was sagen Sie ihnen?
Blüm: Es geht nur mit einer Renaissance der Arbeit. Verlasst euch nicht auf eine Spekulationswelt, auf eine virtuelle Welt von Geschäftemachern. Zu guter Letzt, die Quelle allen Wohlstandes ist die Arbeit. Das ist keine Erfindung des Großvaters Blüm, das hat vor ein paar hundert Jahren der Erfinder des Kapitalismus, Adam Smith, gesagt. Die Quelle des Wohlstandes der Völker ist die Arbeit. Das ist das Wichtigste. Der muss gehegt, der muss gepflegt werden, denn dazu gehört Bildung dazu. Das ist eine ganz andere Welt als eine Welt, die täglich die Nachrichten von der Börse studiert. Ich werde ja fast verrückt, wie die Wettermeldung kriege ich dauernd Börsennachrichten. Wir werden ja erzogen zum Schnäppchenjäger, als hätte die Menschheit nichts Besseres zu tun, als täglich Preisvergleiche zu machen. Wollt ihr denn Idioten erziehen?
Hanselmann: Herr Blüm, haben Sie das Vertrauen, dass die gegenwärtige Krise bald überstanden sein wird und die Menschen zurückkehren zu diesen Werten, die Sie eben beschrieben haben?
Blüm: Jede Krise ist auch eine Chance. Es geht nur mit einer Wende. Und die erwarte ich weniger jetzt von neuen Gesetzen, ich glaube, es geht auch um eine neue Wirtschaftsgesinnung, in der es so alte Sachen, so uralte Sachen wie Vertrauen wieder eine Rolle spielen. Und um auf mein Lieblingsthema zurückzukommen, in dem das Gesetz gilt, das seit Jahrtausenden gilt, schon im Neandertal galt: Die Jungen sorgen für die Alten.
Hanselmann: Rückkehr zur Arbeit und eine neue Wirtschaftsgesinnung fordert der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm.
Blüm: Ich will noch vielleicht was hinzufügen: So ganz neu und vom Himmel fällt die ja nicht. Ich will ja nicht behaupten, ich sei ausgestorben. Sehen Sie, in vielen Handwerksbetrieben, mittelständischen Betrieben ist ja die Beziehung zwischen Chef und Geselle, zwischen Meister und Geselle noch vorhanden. Das ist eine ganz andere Sache wie bei den Großkonzernen, wo das abstrakt geworden ist. Im Grunde geht es um eine Renaissance aus dem Geiste des Mittelstands.
Hanselmann: Dann wünsche ich Ihnen und uns mehr gesundes und weniger blindes Vertrauen. Dankeschön, Herr Blüm!