Blühende Wiesen und Kittelschürzen
Der Journalist und Bestsellerautor will in seinem neuen Buch "Ortsgespräch" der Sehnsucht der Deutschen nach der Provinz auf die Spur kommen. Darum verbringt er ein paar Tage in seiner Geburtsstadt Schlitz in Oberhessen. Doch herausgekommen ist eine stramm rückwärtsgewandte und gleichzeitig überraschend einfältige Veröffentlichung.
Einen "merkwürdigen Hang zur Retrospektive" hatte Florian Illies sich und seinen Altersgenossen einst bescheinigt. Unter anderem "fahren wir gerne übers Wochenende zu unseren Eltern", hieß es auf den letzten Seiten von "Generation Golf", und sechs Jahre nach dem Erscheinen des Bestsellers hat Florian Illies diese Reise nun tatsächlich angetreten. In "Ortsgespräch" kehrt der 1971 geborene Journalist noch einmal für ein paar Tage zurück in seinen oberhessischen Heimatort Schlitz, um der "kollektiven Sehnsucht" der Deutschen nach der Provinz auf die Spur zu kommen.
Man sagt Florian Illies ein Gespür für gesellschaftliche Stimmungslagen nach, und vielleicht kann man in der wachsenden Zahl der Land Rover auf den deutschen Straßen und in der Renaissance der "Hochzeit auf dem Land" unter den "young urban professionals" tatsächlich Anzeichen für eine ideelle Stadtflucht zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehen.
In erster Linie interessiert den Autor allerdings die Frage, "ob die Heimat noch so steht, wie man sie einst verlassen hat". Wie in "Generation Golf" streift er darum zunächst durch die Landschaft seiner Kindheit und Jugend und lässt im Haus seiner Tante Do den Blick über "lila Usambaraveilchen auf der Fensterbank" und den Neckermann-Katalog schweifen, über "blühenden Alpenwiesen auf dem Kalender der Kreissparkasse" und die "kleinen weißen Bleikugeln eingefasst in weißer Häkelei", die damals wie heute "an den vier Ecken der orangefarbenen Plastiktischdecke hängen". In Schlitz, stellt Illies fest, sei die "Zeit stehen geblieben".
Die deutsche Provinz ist seit ihrer "Erfindung" im 19. Jahrhundert als Gegenpol zu den explodierenden Städten immer Wunschbild und ideologische Konstruktion gewesen, und auch Florian Illies geht es weniger um eine objektive Erkundung der ländlichen Lebenswelten, als darum, die Provinz in Schlitz und anderswo zum letzten Rückzugsgebiet der sich "immer schneller drehenden Erde" zu stilisieren. Angesicht der Allgegenwart von Email, SMS und Coffee-to-go glaubt er "eine Sehnsucht nach Entschleunigungsoasen" zu spüren:
"Warum sollte eigentlich unbedingt der Ortsgebundene der Rückständige sein und nicht der Umherhetzende?"
Vor dem Hintergrund dieser nicht allzu originellen Überlegungen zu einem neuen Heimatgefühl zeichnet Illies auf gut zweihundert Seiten das Porträt einer geradezu grotesk heilen Welt. Die zersiedelte Landschaft der modernen deutschen Provinz mit ihren wuchernden Eigenheimsiedlungen und anschwellenden Gewerbegebieten, mit ihren Aldi-Märkten, Schlecker-Filialen und Aral-Tankstellen tritt hinter dem Bild einer Kleinstadt zurück, in der der Friseur noch "Salon für Damen" heißt und die Schaufensterdekoration bei "Eisen Adolf" nur zweimal im Jahr gewechselt wird. Schlitz und überhaupt die Provinz ähneln bei Illies der Kulisse eines Heinz-Erhardt-Filmes aus den fünfziger Jahren. Leider ist auch der Humor entsprechend: "Das bisschen Benzingerühr könne sie doch übernehmen", erklärt eine Tante Ria an einer Stelle als Beifahrerin mit Blick auf den Gangschaltungshebel.
Dass sich das nostalgische Dekor der Provinz mit seinen "eichenen Eckbänken" und "Kittelschürzen" in Form von staubigen und zuweilen verhalten anzüglichen Pointen bis in Florian Illies' Prosa hinein verlängert, fügt sich bestens in diese stramm rückwärtsgewandte und gleichzeitig überraschend einfältige Veröffentlichung. Die leichte Ironie, die in "Anleitung zum Unschuldigsein" (2001) zu spüren war, ist genauso verflogen wie die zarte Melancholie in "Generation Golf". "Ortsgespräch" ist einfach nur Neokonservativismus für Arme. Mehr nicht.
Florian Illies: Ortsgespräch.
Karl Blessing Verlag, München 2006
205 Seiten, 16,95 Euro
Man sagt Florian Illies ein Gespür für gesellschaftliche Stimmungslagen nach, und vielleicht kann man in der wachsenden Zahl der Land Rover auf den deutschen Straßen und in der Renaissance der "Hochzeit auf dem Land" unter den "young urban professionals" tatsächlich Anzeichen für eine ideelle Stadtflucht zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehen.
In erster Linie interessiert den Autor allerdings die Frage, "ob die Heimat noch so steht, wie man sie einst verlassen hat". Wie in "Generation Golf" streift er darum zunächst durch die Landschaft seiner Kindheit und Jugend und lässt im Haus seiner Tante Do den Blick über "lila Usambaraveilchen auf der Fensterbank" und den Neckermann-Katalog schweifen, über "blühenden Alpenwiesen auf dem Kalender der Kreissparkasse" und die "kleinen weißen Bleikugeln eingefasst in weißer Häkelei", die damals wie heute "an den vier Ecken der orangefarbenen Plastiktischdecke hängen". In Schlitz, stellt Illies fest, sei die "Zeit stehen geblieben".
Die deutsche Provinz ist seit ihrer "Erfindung" im 19. Jahrhundert als Gegenpol zu den explodierenden Städten immer Wunschbild und ideologische Konstruktion gewesen, und auch Florian Illies geht es weniger um eine objektive Erkundung der ländlichen Lebenswelten, als darum, die Provinz in Schlitz und anderswo zum letzten Rückzugsgebiet der sich "immer schneller drehenden Erde" zu stilisieren. Angesicht der Allgegenwart von Email, SMS und Coffee-to-go glaubt er "eine Sehnsucht nach Entschleunigungsoasen" zu spüren:
"Warum sollte eigentlich unbedingt der Ortsgebundene der Rückständige sein und nicht der Umherhetzende?"
Vor dem Hintergrund dieser nicht allzu originellen Überlegungen zu einem neuen Heimatgefühl zeichnet Illies auf gut zweihundert Seiten das Porträt einer geradezu grotesk heilen Welt. Die zersiedelte Landschaft der modernen deutschen Provinz mit ihren wuchernden Eigenheimsiedlungen und anschwellenden Gewerbegebieten, mit ihren Aldi-Märkten, Schlecker-Filialen und Aral-Tankstellen tritt hinter dem Bild einer Kleinstadt zurück, in der der Friseur noch "Salon für Damen" heißt und die Schaufensterdekoration bei "Eisen Adolf" nur zweimal im Jahr gewechselt wird. Schlitz und überhaupt die Provinz ähneln bei Illies der Kulisse eines Heinz-Erhardt-Filmes aus den fünfziger Jahren. Leider ist auch der Humor entsprechend: "Das bisschen Benzingerühr könne sie doch übernehmen", erklärt eine Tante Ria an einer Stelle als Beifahrerin mit Blick auf den Gangschaltungshebel.
Dass sich das nostalgische Dekor der Provinz mit seinen "eichenen Eckbänken" und "Kittelschürzen" in Form von staubigen und zuweilen verhalten anzüglichen Pointen bis in Florian Illies' Prosa hinein verlängert, fügt sich bestens in diese stramm rückwärtsgewandte und gleichzeitig überraschend einfältige Veröffentlichung. Die leichte Ironie, die in "Anleitung zum Unschuldigsein" (2001) zu spüren war, ist genauso verflogen wie die zarte Melancholie in "Generation Golf". "Ortsgespräch" ist einfach nur Neokonservativismus für Arme. Mehr nicht.
Florian Illies: Ortsgespräch.
Karl Blessing Verlag, München 2006
205 Seiten, 16,95 Euro