Blühende Kulturlandschaften

Von Ulrike Gondorf · 24.02.2010
Über 1000 Jahre bestand das Byzantinische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel. Schon im Mittelalter waren Reichtum und Prachtentfaltung dieser Metropole legendär. Einige Meisterwerke geben nun in der Bundeskunsthalle Bonn einen Eindruck von der einmaligen kulturellen Blüte am Bosporus.
Gold so weit das Auge reicht. Sogar die Wände in der Bundeskunsthalle sind in dieser Farbe gehalten, die dem Besucher auch aus den Vitrinen in 1000 Facetten entgegenstrahlt. Feierlich und sakral ist die Atmosphäre. Man glaubt, es müsse Weihrauch in der Luft liegen. Und programmatisch setzt die Ausstellungsarchitektur ein "Allerheiligstes" an den Anfang: eine Rotunde, in der Ikonen, ein silbernes Vortragekreuz und Reliquienschreine unter einem monumentalen Deckenleuchter versammelt sind, der den Gläubigen das ganze Sternenzelt vor Augen führen sollte.

Falko Daim ist der Kurator der Ausstellung, die mehr als drei Jahre Vorbereitungszeit erfordert hat.

"Der christliche Kult spielt für Byzanz eine große Rolle, die byzantinische Gesellschaft ist christlich geprägt von Anfang an, daneben gibt es das antike Erbe, das Byzanz bis zum Ende im 15. Jahrhundert begleitet und das durch das byzantinische Reich in die Moderne getragen wird."

Ob man zart farbig schimmernde, dünne Gläser, prachtvolle Goldschmiedearbeiten, elegante Vasen und Schalen, leuchtende Mosaiken oder Freskomalerei betrachten will – und bei der Fülle an Exponaten ist es durchaus ratsam, eine eigene Auswahl zu treffen beim Rundgang – überall wird man die Präzision und Perfektion und das Raffinement der römischen Spätantike wiederfinden. Auch die Themen, die Mythen um Götter und Heroen, leben fort. Zugleich aber wird der hoch entwickelte Stil nun angewandt auf die christliche Überlieferung. Stundenlang könnte man ein kleines Elfenbeinkästchen studieren, entstanden um 900, nicht größer als ein Ziegelstein. Auf drei wie Filmstreifen übereinander liegenden Bildfeldern wird darauf in Reliefs mit hunderten teils vollplastisch heraus gearbeiteter Figuren die Geschichte Davids erzählt.

Die kompositorische Meisterschaft wird nur noch vom geradezu dramatischen Ausdruck übertroffen, etwa wenn David, die Steinschleuder auf dem Rücken und das Säckchen mit den Steinen zur Seite, dem am Boden liegenden Riesen Goliath, der sich strampelnd aufbäumt, das Schwert an die Kehle setzt. Hier bleiben Techniken, aber auch künstlerische Sichtweisen präsent, die die Verbindung schaffen von der Antike zur Renaissance, und diese Kontinuität überdauerte sogar die Eroberung durch die Araber 1453.

"Es ist die ganze antike Gelehrsamkeit, die Literatur, die Naturwissenschaften, die medizinische Handschriften, all das in Byzanz bewahrt worden, ist abgeschrieben, ergänzt worden und so ist es über verschiedene Wege auf uns gekommen."

Wie ein vom Himmel herabgestiegener Engel muss der Mainzer Erzbischof Willigis den Gläubigen vorgekommen sein, wenn er in seinem Gewand aus byzantinischer Seide am Altar stand. Der 1000 Jahre alte, unfassbar makellos erhaltene Mantel ist ein Prunkstück der Ausstellung. Er ist monochrom golden, glänzt metallisch, wie zarte Gravuren werden eingewebte Muster je nach Lichteinfall sichtbar oder verfließen wieder. Wer diesen Stoff sieht, versteht sofort, dass Byzanz über Jahrhunderte Inbegriff von Luxus und feiner Lebensart war. Die Herrscher in Konstaninopel waren auch stets sorgfältig darauf bedacht, den Nimbus ihres Reiches durch diplomatische Geschenke an europäische Fürsten zu erhöhen.

"Wir müssen mit zwei unterschiedliche Sichtweisen arbeiten. Das eine ist die Ausstrahlung der byzantinischen Kunstwerke, die Seide, das Silber, Gold, Edelsteinschmuck, all diese Dinge sind gerne auch von Nachbarn, die ganz anders verfasst waren, geschätzt worden, geraubt worden, haben sie eingetauscht, da gab's viele Wege."

Der goldene Bischofsmantel leitet über zum zweiten Thema der Ausstellung, das den Alltag – und das heißt auch die Handelsbeziehungen, die Verwaltung, den Städtebau, die Verkehrswege und auch das Militär, das Konstantinopel über 800 Jahre gegen alle Eroberungsversuche verteidigen konnte - mit archäologischen Funden, Karten und Modellen veranschaulicht.

Computeranimationen lassen versunkene Gebäude und ganze Städte virtuell wieder auferstehen. Aber es gibt natürlich auch reale Zeugnisse des Alltagsleben, die überraschen: auf Papyrus geschriebene Programmzettel von Zirkusvorstellungen beispielsweise – oder, ja, tatsächlich, ein Spielautomat, in dem die Kugeln rollten: Es ist ein Marmorklotz, in den ein Labyrinth von schräg angelegten Bahnen und Löchern gehauen ist, die teils außen herum, zum größeren Teil aber im Inneren des Blocks verlaufen. Man warf verschieden farbige Kugeln hinein und konnte dann wetten, welche als erste ihren Lauf beendet. Man sieht in Bonn: Die 1000 Jahre währende Antike von Byzanz kann heute noch ganz nah sein – und die Stadt am Bosporus, die heute Istanbul heißt, ist auch ein Schatzhaus europäischen Erbes.

"Kulturell gesehen bildet das römische Reich im Mittelalter die große Brücke von der Antike in die Moderne, aber es ist auch eine Brücke in den Orient, keine Frage."