Blubberndes Magma

Von Susanne von Schenck |
Die Eifel - eine unruhige Gegend: Erdbeben, Lawinen von glühender Lava. Die letzten Ausbrüche fanden vor etwa 11.000 Jahren am heutigen Laacher See statt. Aus geologischer Sicht ist das eine kurze Zeitspanne. In letzter Zeit kam Unruhe auf. Bricht die Erde in der Eifel demnächst wieder auf?
Schreckensszenarien wurden entwickelt: Asche und Steine prasseln vom Himmel, Wasser staut sich, ganze Landstriche werden geflutet. "Der Vulkanismus in der Eifel ist schlafend, kann aber jederzeit wieder ausbrechen - in fünf oder 5000 Jahren"; sagt der Vulkanologe Hans-Ulrich Schmincke.

"Mit einem lauten Knall machte sich irgendwo am Kraterbereich eine Explosion bemerkbar. Glühende Schmelzmassen und Gesteinstrümmer wurden hoch geschleudert, unmittelbar hinter dem Hubschrauber, der durch die Druckwelle unkontrolliert durch die Luft gewirbelt wurde. Die drei Insassen hatten keine Chance. Ehe der Pilot irgendwelche Gegenmaßnahmen einleiten konnte, krachte das Fluggerät am tieferen Hang auf die Reste des letzten glühenden Lavastromes und ging sofort in Flammen auf. Entsetzt schauten alle zu, wie die brennenden Reste des Helikopters langsam in die zäher werdende Lava geknetet wurden."
Zum ersten Mal seit circa 10.000 Jahren bricht in Deutschland wieder ein Vulkan aus – in Ulrich Schreibers Roman "Die Flucht der Ameisen". "Eine geokalyptische Vison" nennt der Professor für Geologie an der Universität Duisburg-Essen sein Erstlingswerk und lässt an der engsten Stelle des Rheins, nördlich von Koblenz, Lava in den Fluss fließen und diesen verstopfen. Durch das rückgestaute Wasser versinkt der Industriestandort Deutschland in den Fluten. Ein realistisches Schreckenszenario?

"Es ist so, dass wir keine Anzeichen im Moment haben, dass ein Ausbruch bevorsteht, das muss man ganz klar vorwegsagen. Unterschätzt wird die Möglichkeit, dass es noch zu Menschenzeiten passiert. Wenn wir davon ausgehen, dass wir noch in den nächsten tausend Jahren existieren in dem Raum, dann ist die Wahrscheinlichkeit schon relativ hoch, dass wieder eine Aktivität beginnt. Und zwar wissen wir, dass in der Eifel Ruhepausen wesentlich länger waren als die letzten 13.000 Jahre, die der Ausbruch am Laacher See her ist. Und es kann durchaus sein, dass eine Ruhepause hier 15.000 oder 20.000 Jahre dauert oder dass sie jetzt langsam zu Ende geht. Man muss die Aktivität einer Region untersuchen, um da mehr drüber sagen zu können."

Das tut Ulrich Schreiber in der Eifel. Für Vulkanologen ist diese Region südlich von Köln eine spannende Gegend. Im Westen prägen geheimnisvolle Maare das Landschaftsbild, im Osten Schlackenkegel.

Bereits vor 45 bis 35 Millionen Jahren waren die ersten Vulkane in der Eifel aktiv. Auch heute lassen austretende Gase wie auch die Hebung des Rheinischen Schiefergebirges um circa 100 Meter in den letzten 800.000 Jahren auf dynamische Prozesse im Erdinneren schließen.

"Dass hier in der größeren Erdtiefe unter den beiden jungen Vulkanfeldern der Eifel irgendetwas im Mantel passiert, das ist eigentlich bekannt seit den späten siebziger Jahren, da hat man zum ersten Mal festgestellt, dass zwischen 50 und 100 Kilometer ganz grob der Mantel so ein bisschen aufgeschmolzen ist. Das heißt, zwischen den Kristallen des Erdmantels – der Erdmantel besteht nur aus Kristallen -, so ein bisschen Schmelze existiert. So etwas nennt man Plume, das heißt aufsteigendes Mantelmaterial, das anfängt, ein bisschen aufzuschmelzen."

Professor Hans Ulrich Schmincke gehört zu den führenden Vulkanologen Deutschlands. Die kanarischen Inseln, der Ätna auf Sizilien und die Eifel gehören zu seinen Hauptforschungsgebieten.

Vor knapp 10.000 Jahren brach der letzte Vulkan in der Eifel aus: das Ulmener Maar. Seitdem ist Ruhe. Aber, so die inzwischen einhellige Meinung von Fachleuten: Diese letzte Eruption könnte den Beginn einer neuen Aktivität ankündigen. Geologisch gesehen sind 10.000 Jahre nicht mehr als ein Wimpernschlag.

In der Osteifel nahe Münstermaifeld. Mit Schülern und Lehrern des Kurfürst Balduin Gymnasiums durchkämmt Ulrich Schreiber ein bergiges Waldstück. Immer wieder klopft der 50-jährige Wissenschaftler mit seinem Geologenhammer Steine aus dem Boden, um die Morphologie der Gegend zu erfassen.

Aber vor allem interessieren ihn Ameisennester: Seine Theorie: Ameisen könnten einen bevorstehenden Vulkanausbruch als erstes bemerken. Denn sie scheinen sich vor allem auf tektonischen Störungen anzusiedeln, dort, wo Gase aus der Erde treten. Über 2000 solcher Ameisenansiedlungen hat Ulrich Schreiber bereits kartiert.

"Jungbruchstrukturen zeichnen sich aus durch eine gute Gaswegsamkeit. Wir messen dort Heliumanomalien, Helium als Edelgas, das dort aus der Tiefe kommt. Die Strukturen haben weiterhin andere Gase, die nach oben kommen und komischerweise sitzen Ameisen auf diesen tektonisch jungen Bruchstrukturen. Das ist ein Phänomen, das wir genauer untersuchen. Und die Zusammenhänge sind inzwischen so deutlich geworden, dass sie sehr zuverlässig sind. Aber wir wissen natürlich noch nicht genau, was sie dort machen, die Ameisen, an diesen Standorten. Das ist auch ein Forschungsprojekt, an dem ich arbeite und wir wissen auch nicht, ob jeder Standort der Ameisen auch gleichzeitig eine tektonische Schwächezone ist. Das ist noch in der Untersuchung."

Angeregt durch den Roman "Die Flucht der Ameisen", nahmen die Schüler des Kurfürst Balduin Gymnasiums mit dem Duisburger Geologen Kontakt auf. In einer Arbeitsgruppe untersuchen sie bereits seit mehreren Jahren Ameisenansiedlungen in ihrer Umgebung. Raffaela gehört auch zu den jungen Forschern.

"Also jeden Dienstag treffen wir uns nachmittags nach dem Unterricht. Dann geht’s erst in den Nadelwald oder Laubwald oder umgekehrt, wie auch immer und gucken, wie die Nester sich entwickelt haben. Wir hatten letztes Jahr eine Kartierungsarbeit und dazu haben wir dieses Jahr vergleichen, wie sich die Nester verändert haben und ob welche abgestorben sind oder wieder lebendig wurden."

Circa 50 Kilometer westlich von den Ameisenforschern entfernt geht Andreas Schüller zum Schalkenmehrener Maar hinunter. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Geoparks Vulkaneifel und arbeitet in der Kreisstadt Daun in der Westeifel.

"Ja, das war hier in der Vulkaneifel sehr spannend, denn wir haben insgesamt in dem Westeifelner Vulkanfeld, wie die Vulkaneifel auch geologisch abgegrenzt ist, an die 350 Einzelvulkane. Und wir sind damit weltweit eines der Gebiete mit der höchsten Dichte an Vulkanen."

Die Maare sind das Markenzeichen der Westeifel. Aus dem Erdzeitalter des Quartärs stammen sie und sind rund 10.000 bis 700.000 Jahre alt. Sie entstehen, indem das heiße, aufsteigende Magma auf Grundwasser trifft und explodiert. Ein trichterförmiger Einsturzkrater entsteht, der sich mit Wasser füllen kann. Augen der Eifel werden diese rätselhaften Maare genannt. Meist sind sie von bewaldeten Ringwällen umgeben.

"Wenn wir jetzt hier hinunter in diesen Kessel von Schalkenmehren hineinschauen, sehen wir mehrere Maare auf einen Blick. Denn man muss hierzu wissen, dass nicht der Maarsee das eigentliche Maar auszeichnet, sondern es ist eine besondere vulkanische Struktur und wir haben auch hier in der Region so genannte Trockenmaare, und das sind weit aus die meisten.
75 Maare, und von denen sind nur noch neun mit Wasser gefüllt. Und die meisten sind so genannte Trockenmaare, die nie einen See enthielten oder vielleicht einen enthalten haben, der dann im Lauf der Jahrtausende verlandet ist. Genau das sehen wir hier vor uns.
Hier vorn zunächst das mit Wasser gefüllte Schalkenmehrener Maar, nordöstlich davon schauen wir auf ein Feuchtgebiet. Man kann aber noch sehr deutlich diese runde, trichterförmige Struktur erkennen. Das ist ein Maar. Und für den Kenner: nach links befindet sich ein weiteres Trockenmaar. Wir haben hier eine Struktur, die aus drei Maaren besteht."

Gewaltige Explosionen, Feuer aus dem Inneren der Erde – in der Eifel spielten sich dramatische Vorgänge ab. Die zahlreichen Kraterhänge, an denen heute Schlacke und Bims abgebaut werden, sind Archive der Erdgeschichte. Meeresablagerungen oder Fossilien haben sich in ihnen erhalten und geben Aufschluss über die zurückliegenden 400 Millionen Jahren der Erde.

Basalt, Tuffstein, Ton und Quarzit, Kalk, Schiefer oder Bims – die Osteifel ist reich an Bodenschätzen. Seit der Römerzeit werden sie abgebaut, bis heute. Gerade fährt ein Lastwagen vollbeladen mit Schlacke aus einer tief gelegenen Grube der Stein AG heraus. Die Stein AG betreibt einen großen Steinbruch bei Nickenich, einer der wohlhabenden Gemeinden in der Osteifel. An der über 200 Meter langen und circa 70 Meter hohen Wand des Schlackekegels lassen sich die Ablagerungen des einstigen Vulkans gut erkennen. Der Vulkanologe Hans Ulrich Schmincke hat diese Wand schon oft seinen Studenten gezeigt. Seit seinem letzten Besuch ist die Abbaufläche wieder größer geworden.

"Die Steinindustrie hat ne ganz lange Geschichte hier in der Eifel. Der Bims ist fast abgeräumt. Das sind nur noch ein ganz paar Stellen, wo man Bims findet. Insgeheim hoffen vielleicht einige Firmen, aber sicher nur insgeheim, hoffen einige Firmen, dass demnächst irgendwann wieder ein großer Vulkan, vielleicht der Laacher See ausbricht, bei dem wieder viel Bims produziert wird, so dass sie wieder abbauen können. Auf der anderen Seite wird Bims hier auch mit Schiffen aus anderen Ländern gebracht, weil es hier die klassische Industrie gibt, wie man Bims zu Hohlblockstein verarbeitet."

Der intensive Abbau von Bims und Basalt hat klaffende Wunden in der Landschaft hinterlassen. Davon weitgehend verschont ist die Gegend um den Laacher See, seit 1935 Naturschutzgebiet. Vom der Nickenicher Lavawerk bis dorthin sind es nur ein paar Kilometer.

Friedlich liegt der ovale Kratersee eingebettet in die hügelige Landschaft, umgeben von saftigen Wiesen und Weiden, auf denen ein paar Kühe grasen. Auf der Westseite des Sees befindet sich die berühmte Benediktinerabtei Maria Laach.

Kaum vorstellbar, dass vor 12.900 ein dramatischer Vulkanausbruch die Gegend um den Laacher See in eine unbewohnbare Mondlandschaft verwandelte. Von unermesslicher Gewalt war diese Eruption. Über 30 Kilometer wurde das Magma in die Stratosphäre geschleudert und geriet in die atmosphärischen Zirkulationsmechanismen. Tuff aus dem Laacher See findet sich auch in Südskandinavien, in Osteuropa oder in Italien. Auch heute noch ist, wie Hans Ulrich Schmincke erläutert, die Gegend um den einstigen Vulkan aktiv.

"Am Ostrand des Laacher Sees, wir sehen das rechts unter uns, kommen in einem Streifen von 200 Meter Länge riesige Mengen von Gasen aus der Erde. Die kommen aus dem Erdmantel von Magmen, das sprudelt sehr kräftig, besteht aus Kohlendioxid und Helium und allen möglichen, das sind also echt magmatische Gase, die anzeigen, dass auch in der Tiefe die magmatischen Gase unter dem Vulkan noch nicht zur Ruhe gekommen sind."

Gase dringen aus dem Boden, Thermal- und Mineralquellen durchziehen die Region. Dass die Eifel nach wie vor eine geologisch aktive Gegend ist, kann man auch in dem kleinen Ort Wallenborn beobachten. Alle 40 Minuten bricht dort der "Brubbel" aus. Der Kaltwassergeysir ist eine Attraktion für Touristen, wie auch für diese Berlinerin.

"Erst sieht man nur ganz geringfügig Bläschen aufsteigen, so dass nichts Erhabenes zu sehen ist. Und dann entwickelt es sich ziemlich lange mit diesen Bläschen und die werden immer mehr und zum Schluss erschient dann ne ganz kleine Fontäne dieses schlammigen Wassers und die wird dann zunehmend ganz hoch, so etwa zwei Meter und fällt dann wieder zusammen und sieht dann aus wie diese jetzt hier."
Eine der Erklärungen für dieses geologische Phänomen: Aus dem Untergrund steigt Kohlendioxidgas in einer Wassersäule auf. Es wird so lange vom Wasser aufgenommen, bis ein kritischer Gehalt erreicht wird. Dann bilden sich Gasblasen. Diese dringen nach oben und bringen das Wasser zum Aufwallen.

Anders als Erdbeben, die quasi über Nacht kommen, kündigen Vulkanausbrüche sich mit langem Vorlauf an. Die Zahl der Erdbeben nimmt zu, die Erdoberfläche erwärmt sich, Gase treten verstärkt aus. Bei auch nur einem dieser Merkmale werde sofort reagiert, sagt Albert Berg Winters. Seit 1992 ist er Landrat des Kreises Mayen-Koblenz. Allerdings: Seisometer sind in der Eifel nicht dauerhaft aufgestellt – aus Kostengründen. Dennoch, so der Landrat, führen Vulkanologen immer wieder Messungen aus eigenem Antrieb durch.

"Die Vulkanologen sind ein sehr neugieriges Völkchen und das ist für uns natürlich gut und erhöht unsere Sicherheit. Und diese Abstände von wenigen Jahren reichen durchaus aus, um sicher zu sein, dass in absehbarer Zeit hier bei uns kein Vulkanausbruch stattfindet. Einige in unserer Gegend, und ich gehöre dazu, bedauern das. Denn so ein schnuckeliger kleiner Vulkan, so 100 Meter hoch, aus dem ganz langsam Lava fließt, knisternd und heiß glühend, das wäre schon schön, das wäre für uns die Touristikattraktion."