Blossom Dearie

Die große Eigenwillige mit der Mädchenstimme

Porträt von Blossom Dearie.
"Mehr New York zu sein als diese Frau, ist schlicht undenkbar", schrieb ein Kritiker einmal über Blossom Dearie (1924 - 2009) © Daffodil Records, inc. / Roy Blakey
Von Sky Nonhoff · 07.02.2019
Cocktail-Sound, Bebop-Piano, dazu ein Hauch von "Little girl lost" in der Stimme: Das macht die Musik der vor zehn Jahren verstorbenen Blossom Dearie aus. Sie war auch eine virtuose Klavierspielerin und eine Grenzgängerin zwischen Pop und Jazz.
Schmal wirkt sie auf dem Cover ihres Debütalbums, den Blick durch die Gläser ihrer modisch melierten Hornbrille konzentriert aufs Notenblatt gerichtet. Die blonden Haare hat Blossom Dearie – sie hieß tatsächlich so – zum Lockenkopf frisiert. Aus heutiger Perspektive sieht sie aus wie eine Figur aus der Erfolgsserie "Mad Men" oder wie eine ernstere Version von Marilyn Monroe, die der Dramatiker Arthur Miller ein Jahr zuvor in New York geheiratet hatte.
Zu diesem Zeitpunkt, 1957, ist Dearie nach vier Jahren aus Paris zurückgekehrt. Der Jazz-Impresario Norman Granz hat sie für sein neues Label Verve Records unter Vertrag genommen, wo auch Ella Fitzgerald und Anita O’Day erscheinen, Vokalistinnen von ganz anderem Stimmumfang und Kaliber. Der Kritiker Whitney Balliett schreibt im "New Yorker" über Blossom Dearie: "Sie hat ein Teekannenstimmchen. Ohne Mikrofon würde man sie nicht mal im ersten Stock eines Puppenhauses hören."

"Little girl lost"-Hauch in der Stimme

Man kann es natürlich auch mit lakonischem Respekt ausdrücken wie der Saxophonist Gerry Mulligan: "Blossom ist Blossom." Dearie hatte Mulligan Anfang der Fünfzigerjahre in der Wohnung des Arrangeurs Gil Evans kennengelernt, ebenso wie Dizzy Gillespie und Miles Davis. In ihren Anfangsjahren sah Dearie sich als Grenzgängerin zwischen östlichem und westlichem Teil der 52nd Street, zwischen verrauchten Jazzclubs und angesagten Cabaret Acts, vielleicht sogar zwischen Schwarz und Weiß. In ihren Worten: "Eben erst hatte ich Sarah Vaughan mit 'Embraceable You' im Birdland gehört, und eine Stunde später hörte ich Mabel Mercer im Byline Room. Es war, als würde man eine Sängerin vom Mars und anschließend eine vom Pluto hören. Und ich versuchte, beides zusammenzubringen."
Was Dearie zusammenbringt, sind Cocktail-Sound, Bebop-Piano und der verspielte Swing der Songklassiker aus dem Golden Age der Dreißiger- und Vierzigerjahre. Tatsächlich schwingt im Little-Girl-Lost-Hauch ihrer Stimme ein intimes, schulterzuckendes Wissen um das Menschlich-Allzumenschliche, eine ironische Finesse, die die Virtuosität ihres Klavierspiels allzu leicht aus dem Blick geraten lässt. So manche Jünger des legendären Jazz-Pianisten Bill Evans werden sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden können, dass er sich an Dearies samtig perlender Harmonik geschult haben soll. Nachweisen lässt es sich nicht. Durchaus belegen aber lässt sich sein Diktum über Dearie: "Wie diese Frau spielte, das war schier unglaublich."
Anfang der Siebziger gründet sie in New York ihr eigenes Label, Daffodil Records, auf dem ihr Sound zwischen Jazz, Easy Listening, Sunshine Pop und Hommagen an Georgie Fame oder Dusty Springfield oszillierte. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum Dearie von Genre-Hardlinern als Jazz-Fußnote abgetan wird. Sie selbst hat sich nie darum geschert. Den Spaßbremsen pflegte sie auch im hohen Alter ihren signature song zu spielen. "I’m Hip" heißt er. Die Sängerin Anne Hampton Callaway hat es so ausgedrückt: "Sie war wie eine Grundschullehrerin, die uns das Alphabet beibrachte. Aber was für ein Alphabet."
Dieses Alphabet – man nennt es The Great American Songbook – hatten Komponisten und Texter wie Harold Arlen, Johnny Mercer, Richard Rodgers, Lorenz Hart oder Dorothy Fields durchbuchstabiert – und natürlich der unsterbliche Cole Porter, der seit 1952 in seiner Wohnung in den New Yorker Waldorf Towers nur noch engste Freunde empfing, bevor er 1964 in seiner Verbitterung ertrank. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass er und Blossom Dearie sich je begegnet sind. Aber wenn, hätte er ihnen vermutlich ein paar Martini Dry bestellt und ihr nach dem vierten gestanden, er finde ihre Eleganz und ihre Kunstfertigkeit außerordentlich reizend. Sie lässt sich in nur sechs Worten zusammenfassen: Little girl voice, big girl ideas.
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