"Blink!"
Ein Geistesblitz ist eine plötzliche Eingebung. Über jene seltsamen Momente der Erkenntnis, wo wir intuitiv etwas wissen, was wir eigentlich nicht wissen können, hat der amerikanische Journalist Malcolm Gladwell das Buch "Blink!" geschrieben. In den USA war es unter dem Titel "Thinking without Thinking" ein Bestseller.
Der Titel "Blink!" verweist nicht etwa auf die Lichtsignale eines Autos, sondern mit "Blink!" ist das gemeint, was wir gemeinhin einen "Geistesblitz" nennen, eine plötzliche Eingebung, ein Urteil "aus dem Bauch heraus". Es geht also um jene seltsamen Momente der Erkenntnis, wo wir plötzlich und intuitiv etwas wissen, was wir – rein rational betrachtet – eigentlich nicht wissen können, weil es uns an Faktenkenntnis mangelt.
Gladwells Buch beginnt mit einem Beispiel, einem Fall, der in den USA vor ein paar Jahren großes Aufsehen erregte. Das Getty-Museum in Los Angeles bekam eine antike Statue zum Kauf angeboten, einen Jüngling, in Marmor gehauen, geschätztes Alter: 2500 Jahre. Der Kunsthändler verlangte 10 Millionen Dollar.
Das Museum gab eine Expertise in Auftrag, um die Echtheit der Skulptur zu prüfen. Ein Stab von Naturwissenschaftler machte sich mit Röntgenapparat und Elektronenmikroskop über den marmornen Jüngling her. Nach monatelanger Arbeit kein Anzeichen für eine Fälschung. Getty war drauf und dran zu kaufen, da kamen zwei erfahrene Kunsthistoriker des Wegs, warfen nur einen Blick auf die Statue - und stürmten das Büro des Museumsdirektors: "Kauft sie nicht, die ist nicht echt, wir wissen zwar nicht was genau, aber irgendwas stimmt nicht mit der ….."
Die Naturwissenschaftler wurden noch einmal bemüht und kamen schließlich dahinter: Man hatte es mit einer sehr geschickten Fälschung zu tun, eine bisher unbekannte Technik war eingesetzt worden, um den Marmor künstlich altern zu lassen.
Aber nicht nur Experten, sondern auch jeder Normalbürger besitzt die Fähigkeit, Situationen plötzlich und intuitiv zu erfassen. Ohne dieses allgemeine Talent, so Gladwell, wäre die Gattung Mensch vermutlich längst ausgestorben. Jede Mutter muss intuitiv erkennen, was los ist, wenn ihr Baby schreit, es kann sich ja nicht wortreich erklären.
Und falls ein LKW mit rasender Geschwindigkeit auf uns zurollt, werden wir nicht lange überlegen, ob es jetzt sinnvoller ist, nach rechts oder doch lieber nach links zu springen: Wir springen sofort und ohne nachzudenken, um uns zu retten.
Gladwells Anliegen ist es, mit einem Vorurteil aufzuräumen, das da lautet: Je mehr Fakten ich kenne, je mehr ich über eine Person, eine Situation weiß, umso profunder, umso adäquater ist das Urteil, das ich fälle.
Gegen diese Auffassung setzt Gladwell ein paar Ergebnisse von soziologischen Tests. Zum Beispiel: Ein Gruppe von 100 Studenten wurde zweigeteilt: ie eine Hälfte besuchte ein halbes Jahr lang die Vorlesungen von drei verschiedenen Professoren, die andere Hälfte sah sich diese Vorlesungen auf Video an: nur Ausschnitte, jeweils nicht länger als 10 Sekunden. Danach wurden alle 100 Studenten gebeten, anhand eines Fragebogens die Lehrtätigkeit der Professoren zu beurteilen. - Beide Gruppen kamen annährend zu dem gleichen Ergebnis.
Und doch gibt Gladwell zu: der erste Eindruck einer Situation kann uns auch täuschen. Er gibt ein paar Umstände an, die einen Irrtum zumindest begünstigen: Wenn wir ein starkes Interesse haben, dass die Dinge sich so und so verhalten, sind wir oft blind für eine gegenteilige Wirklichkeit. Auch hartnäckige Vorurteile und extremer Stress können unser "Bauchgefühl" verfälschen, Gladwell erzählt ein paar traurige Beispiele aus der Arbeit der New Yorker Polizei.
"Blink!" ist ein wissenschaftliches Buch, kein naturwissenschaftliches, sondern ein geisteswissenschaftliches: Um seine Thesen zu belegen, arbeitet Gladwell mit den Ergebnissen von Befragungen und Gruppentests, der Autor hat seinem Leser also viel zu erzählen. Hier liegen die Stärken des Buches - aber auch seine Schwächen. Denn manchmal kommt Gladwell allzu sehr ins Schwatzen, auch Redundanz gibt’s zur Genüge, das Buch könnte gut und gern auf 50 Seiten verzichten. – Aber es ist klar und sinnvoll gegliedert, der Leser findet schnell heraus, welche Passagen er sich schenken kann – und schenken möchte.
Das Buch ist jedem zu empfehlen, der mehr wissen möchte über die Natur von Entscheidungsprozessen und interessiert ist, sein spontanes Urteilvermögen ein wenig zu schulen. Man erfährt auch einiges darüber, wie Werbestrategen versuchen, unsere Blitz-Urteile zu beeinflussen, denn unsere alltäglichen Kaufentscheidungen werden oft spontan und aus dem Bauch heraus getroffen. Auch hier hat Gladwell ein paar Tipps parat: Unter welchen Bedingungen können wir unserem ersten Gefühl doch eher vertrauen und wann sollte die rote "Blink!"-Lampe in unserem Hirn aufleuchten, um uns zu warnen: Vorsicht, wir werden gerade verführt!
Malcolm Gladwell: Blink! Die Macht des Moments
Übersetzt von Jürgen Neubauer
Campus Verlag Frankfurt / New York 2005
260 Seiten; 24,90 Euro
Gladwells Buch beginnt mit einem Beispiel, einem Fall, der in den USA vor ein paar Jahren großes Aufsehen erregte. Das Getty-Museum in Los Angeles bekam eine antike Statue zum Kauf angeboten, einen Jüngling, in Marmor gehauen, geschätztes Alter: 2500 Jahre. Der Kunsthändler verlangte 10 Millionen Dollar.
Das Museum gab eine Expertise in Auftrag, um die Echtheit der Skulptur zu prüfen. Ein Stab von Naturwissenschaftler machte sich mit Röntgenapparat und Elektronenmikroskop über den marmornen Jüngling her. Nach monatelanger Arbeit kein Anzeichen für eine Fälschung. Getty war drauf und dran zu kaufen, da kamen zwei erfahrene Kunsthistoriker des Wegs, warfen nur einen Blick auf die Statue - und stürmten das Büro des Museumsdirektors: "Kauft sie nicht, die ist nicht echt, wir wissen zwar nicht was genau, aber irgendwas stimmt nicht mit der ….."
Die Naturwissenschaftler wurden noch einmal bemüht und kamen schließlich dahinter: Man hatte es mit einer sehr geschickten Fälschung zu tun, eine bisher unbekannte Technik war eingesetzt worden, um den Marmor künstlich altern zu lassen.
Aber nicht nur Experten, sondern auch jeder Normalbürger besitzt die Fähigkeit, Situationen plötzlich und intuitiv zu erfassen. Ohne dieses allgemeine Talent, so Gladwell, wäre die Gattung Mensch vermutlich längst ausgestorben. Jede Mutter muss intuitiv erkennen, was los ist, wenn ihr Baby schreit, es kann sich ja nicht wortreich erklären.
Und falls ein LKW mit rasender Geschwindigkeit auf uns zurollt, werden wir nicht lange überlegen, ob es jetzt sinnvoller ist, nach rechts oder doch lieber nach links zu springen: Wir springen sofort und ohne nachzudenken, um uns zu retten.
Gladwells Anliegen ist es, mit einem Vorurteil aufzuräumen, das da lautet: Je mehr Fakten ich kenne, je mehr ich über eine Person, eine Situation weiß, umso profunder, umso adäquater ist das Urteil, das ich fälle.
Gegen diese Auffassung setzt Gladwell ein paar Ergebnisse von soziologischen Tests. Zum Beispiel: Ein Gruppe von 100 Studenten wurde zweigeteilt: ie eine Hälfte besuchte ein halbes Jahr lang die Vorlesungen von drei verschiedenen Professoren, die andere Hälfte sah sich diese Vorlesungen auf Video an: nur Ausschnitte, jeweils nicht länger als 10 Sekunden. Danach wurden alle 100 Studenten gebeten, anhand eines Fragebogens die Lehrtätigkeit der Professoren zu beurteilen. - Beide Gruppen kamen annährend zu dem gleichen Ergebnis.
Und doch gibt Gladwell zu: der erste Eindruck einer Situation kann uns auch täuschen. Er gibt ein paar Umstände an, die einen Irrtum zumindest begünstigen: Wenn wir ein starkes Interesse haben, dass die Dinge sich so und so verhalten, sind wir oft blind für eine gegenteilige Wirklichkeit. Auch hartnäckige Vorurteile und extremer Stress können unser "Bauchgefühl" verfälschen, Gladwell erzählt ein paar traurige Beispiele aus der Arbeit der New Yorker Polizei.
"Blink!" ist ein wissenschaftliches Buch, kein naturwissenschaftliches, sondern ein geisteswissenschaftliches: Um seine Thesen zu belegen, arbeitet Gladwell mit den Ergebnissen von Befragungen und Gruppentests, der Autor hat seinem Leser also viel zu erzählen. Hier liegen die Stärken des Buches - aber auch seine Schwächen. Denn manchmal kommt Gladwell allzu sehr ins Schwatzen, auch Redundanz gibt’s zur Genüge, das Buch könnte gut und gern auf 50 Seiten verzichten. – Aber es ist klar und sinnvoll gegliedert, der Leser findet schnell heraus, welche Passagen er sich schenken kann – und schenken möchte.
Das Buch ist jedem zu empfehlen, der mehr wissen möchte über die Natur von Entscheidungsprozessen und interessiert ist, sein spontanes Urteilvermögen ein wenig zu schulen. Man erfährt auch einiges darüber, wie Werbestrategen versuchen, unsere Blitz-Urteile zu beeinflussen, denn unsere alltäglichen Kaufentscheidungen werden oft spontan und aus dem Bauch heraus getroffen. Auch hier hat Gladwell ein paar Tipps parat: Unter welchen Bedingungen können wir unserem ersten Gefühl doch eher vertrauen und wann sollte die rote "Blink!"-Lampe in unserem Hirn aufleuchten, um uns zu warnen: Vorsicht, wir werden gerade verführt!
Malcolm Gladwell: Blink! Die Macht des Moments
Übersetzt von Jürgen Neubauer
Campus Verlag Frankfurt / New York 2005
260 Seiten; 24,90 Euro