Blinder Aktionismus

Die Last mit den Luftfiltern im Klassenzimmer

04:29 Minuten
Ein Luftfilter steht in der Robert-Schumann-Grundschule in Hessen im Klassenzimmer der 4b
Fragt man das Umweltbundesamt, was es von den Luftfiltern in jedem Klassenzimmer hält, fällt die Antwort eindeutig aus: gar nichts, sagt Markus Grill. © picture alliance / Arne Dedert
Ein Kommentar von Markus Grill · 25.10.2021
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Luftreiniger in Schulen - dafür haben Bund und Länder über 700 Millionen Euro bereitgestellt. Doch völlig unklar ist, was die Geräte zum Schutz vor Corona wirklich bringen, sagt der Journalist Markus Grill. Unabhängige Untersuchungen gebe es nicht.
Es gibt ein internes Papier aus dem Bundesgesundheitsministerium, das sehr gut zeigt, wie in diesen Zeiten der Pandemie Politik gemacht wird. Es ist das Protokoll einer Sitzung der Staatssekretäre mit den Bundesländern am 9. Juli dieses Jahres. Dort wird vom Druck der Öffentlichkeit berichtet, "mobile Luftfilter für Klassenzimmer zu fördern, obwohl es hierfür keine sichere Evidenz für den Nutzen gibt."
Trotzdem haben Bund und Länder bisher mehr als 700 Millionen Euro für mobile Luftfilter an Schulen bereitgestellt. Das ist viel Geld für Geräte, von denen niemand weiß, was sie wirklich bringen. Denn es gibt bis heute keine Studie, die belegt, dass Schülerinnen und Schüler sich weniger häufig mit dem Coronavirus infizieren, wenn so ein Luftfiltergerät im Klassenzimmer steht.

Wie nützlich sind Luftfilter wirklich?

Was es gibt, sind Untersuchungen, die zeigen, dass diese Geräte Luft einsaugen und gut filtern können. Schön. Aber das Ziel ist ja nicht, partikelbehaftete Viren abzusaugen, sondern Infektionen zu verhindern.
Die Abwägung, ob ein Hilfsmittel unterm Strich mehr nützt als schadet, kennt man von Medikamenten. Es gibt Tabletten, die können beispielsweise zu hohe Cholesterinwerte senken. Doch wenn sie gleichzeitig zu mehr Herzinfarkten oder Schlaganfällen führen, werden sie aus gutem Grund nicht zugelassen.
Auch wenn man nicht wirklich weiß, wie nützlich Luftfilter überhaupt sind, werden sie von manchen Elternvertretern, Medien oder Politikerinnen mit großer Vehemenz gefordert – und von den Herstellern natürlich auch.

Luftfilterstudien in keinem Wissenschaftsjournal publiziert

Das bekannteste Gesicht der "Luftfilterfraktion" in Deutschland ist Christian Kähler, ein Professor am Institut für Strömungsmechanik an der Bundeswehr-Uni in München. Kähler will, dass jedes Klassenzimmer zum Schutz vor Coronaviren mit Luftfiltergeräten und Plexiglaswänden ausgestattet werden soll und sagt: "Wer die Umsetzung dieses Konzeptes verhindert, fördert das Infektionsgeschehen und damit Leid und Tod."
Der Physiker beruft sich dabei auf eigene Untersuchungen. Doch keine seiner Luftfilterstudien ist in einem wissenschaftlichen Journal publiziert. Das ist wichtig, denn andere Experten könnten Kählers Ergebnisse erst dann auf ihre Stichhaltigkeit hin prüfen. Dafür ist Professor Kähler als Experte umso präsenter. Nicht nur Elterninitiativen verweisen meist auf seine Studien, er tritt auch häufig in Schulen und Kommunen auf. Mehrfach sei er auch in der Kultusministerkonferenz gewesen, habe das Bundeswirtschaftsministerium beraten und stehe im Austausch mit anderen Ministerien, sagt Kähler.
Nicht alle wissen dabei, von wem Kähler finanziert wird. Für ungefähr zehn Firmen habe er bezahlte Untersuchungen durchgeführt, räumt er ein. Auf den Webseiten der Luftfilterhersteller findet man kurze Filmchen, in denen Kähler für die Geräte wirbt, seine bezahlten Untersuchungen sind dort auch zu finden.

Umweltbundesamt hält nichts von Luftfiltern

Fragt man das Umweltbundesamt, was es von den Luftfiltern in jedem Klassenzimmer hält, fällt die Antwort eindeutig aus: gar nichts. Luftfilter seien allenfalls sinnvoll für Räume, die man nicht richtig lüften könne. Außerdem sei nicht klar, ob die Luftfilter die virenbeladene Luft im Raum verteilen, bevor sie durch das Gerät gezogen wird. Dann könnten sie sogar kontraproduktiv sein.
Tatsächlich findet sich in Deutschland keine einzige medizinische Fachgesellschaft, die den flächendeckenden Einsatz der Geräte fordert. Mehrere halten sie sogar für regelrecht überflüssig.
Es ist wie so oft in der Coronapandemie: Mit großem staatlichen Aufwand werden Coronamaßnahmen umgesetzt, deren Nutzen eher fragwürdig ist. Das Ärgerliche ist dabei: Man könnte es wissen. Aber auch hier wurde erst einmal gehandelt, bevor es untersucht wurde.
Der Studienexperte und Mediziner Peter Sawicki sagt, im Fall der Luftfilter wäre so eine Untersuchung über die Wirksamkeit weder teuer noch schwierig zu machen, noch würde ihre Untersuchung lange dauern. Würde man nur ein Prozent der Fördermittel von 700 Millionen Euro dafür einsetzen, wüsste man es. Und könnte bei der nächsten Pandemie besser begründete Entscheidungen treffen.

Markus Grill leitet das Berliner Büro der Rechercheressorts von NDR und WDR in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung. Grill, Jahrgang 1968, studierte Geschichte und Germanistik. Nach Stationen beim "Stern", wo er unter anderem den Lidl-Überwachungsskandal aufdeckte, und beim "Spiegel", wo er Titelgeschichten über Homöopathie, schädliche Vitaminpillen oder nutzlose Vorsorge-Untersuchungen schrieb, war er von 2015 bis 2017 Chefredakteur des Recherchezentrums "Correctiv". Zuletzt war er an den Internationalen ICIJ-Rechercheprojekten "Paradise Papers" und "Implant Files" beteiligt. Auf Twitter ist er als @m_grill aktiv.

Markus Grill posiert für ein Foto.
© picture alliance /dpa / Britta Pedersen
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