Blindenfußball in Pandemiezeiten

Kicken nach Gehör

05:34 Minuten
Blick durch ein Tor auf Fussballer die mit Eyepads und Brille geschützt sind
Hat 2018 ein "Tor des Monats" geschossen: Serdal Çelebi. © imago / Sebastian Wells
Von Knut Benzner · 09.05.2021
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Auch Blinde spielen Fußball. Es gibt sogar eine Bundesliga. Training ist auch in der Pandemie möglich, jetzt hofft man auf Spielbeginn im August. Ein Besuch beim FC St. Pauli.
Das Prinzip ist das gleiche: Der Ball muss ins Tor. Der Unterschied aber ist offensichtlich. Die, die den Ball ins Tor befördern, sehen nichts, weder den Ball noch das Tor oder ihre Mitspieler. Der Einzige, der in diesem Sport etwas sehen darf, ist der Torwart.
Blindenfußball wird seit Sommer 2006 in der Bundesrepublik praktiziert. Zwei Mannschaften, je fünf Spieler, die sogenannten Guides, die Rufer, die jeweils hinter dem gegnerischen Tor positioniert sind und ihre Spieler mit Zurufen dirigieren, der Ball, der im Inneren mit Rasseln versehen und auf diese Weise hörbar ist. Das Spielfeld: 20 mal 40 Meter.

Tor des Monats geschossen

Blindenfußball ist inklusiv, Frauen und Männer spielen zusammen, die Bundesliga umfasst momentan sechs Teams. Zentren sind unter anderem Stuttgart, Marburg, Chemnitz, Berlin und St. Pauli. Dort gibt es einen Mann, der als erster – und einziger – Blindenfußballer das "Tor des Monats" erzielte: Serdal Çelebi, 37 Jahre alt, zwei Kinder, Physiotherapeut, mit 13 durch eine Netzhautablösung erblindet, aktiv seit zwölf Jahren beim FC St. Pauli.
Gutes Gehör, Orientierungssinn, Körperbeherrschung und den engen Kontakt zum hörbaren Ball sind Grundvoraussetzungen nicht nur für ihn. "Die Augen sind mit Eyepads plus Brille geklebt", um Unterschiede in der Sehschädigung auszugleichen. "Die Tore sind Hockey-Tore." Die Pfosten sind ummantelt, damit sich niemand verletzt.
Am 25. August 2018 in Düsseldorf beim Finale der Deutschen Meisterschaft zwischen FC St. Pauli und MTV Stuttgart schießt Çelebi das Tor des Monats. "Ich bin darüber glücklich, dass es mir passiert ist, aber natürlich traurig, weil wir das Finale verloren haben", sagt er. Es war ein 1:2.

Sehr befriedigende Arbeit als Trainer

Wolf Schmidt, 55 Jahre alt, ist seit 2009 Trainer. Außerdem macht beim St. Pauli die Blindenreportage auch in Audio-Deskription für NDR, ARD und ZDF. Nach einigen vorletzten beziehungsweise letzten Tabellenplätzen war St. Pauli in den vergangenen vier Jahren viermal im Endspiel - und verlor ebenso oft.
Momentan schränkt Schmidt in der Coronapandemie sein Training notgedrungen ein. Warum sollte es ausgerechnet ihnen anders ergehen?
"Das ist eine sehr gute Frage, wie wir unter Corona-Zeiten überhaupt trainieren dürfen, man könnte tatsächlich interpretieren, dass wir als Teilnehmer einer Deutschen Meisterschaft und als einziges Hamburger Team einen sogenannten Landeskader-Status haben. Damit dürften wir trainieren. Da jetzt aber gerade in der Blinden-Fußball-Bundesliga die ersten drei Spieltage abgesagt wurden, trainieren jetzt immer nur zwei Blindenfußballer zeitgleich auf dem Spielfeld, wenn die ein B im Behindertenausweis haben, dürfen die eine Begleitperson mitnehmen und diese zwei agieren dann als Torhüter."
Einzige Ausnahme: Ein Guide darf ebenfalls dabei sein, da das Tor nicht wahrnehmbar ist. "Die Guides rufen dem ballführenden Spieler zu, der ein Tor schießen will, wie weit er weg ist vom Tor: 'Serdi, Serdi, hier ist das Tor, vier Meter, zwei, Bogen, Banane, rechts, Schuss, Schuss'." Eine akustische Hilfe. "Vor den Toren ist eine Zone und im Mittelfeld ist eine Zone, in der Mittelzone sind es die Trainer, die den Spielern helfen, erfolgreich in die Abschlusszone zu kommen."

Optimistisch auf Start im August

Çelebi ist St. Pauli-Fan, der auch zu den Spielen der Zweitligamannschaft geht. Çelebi ist geimpft – aber nicht als Fußballer, sondern als Physiotherapeut. Schmidt, der Trainer, ist auch geimpft, weil er in der Blindenschule den Sport der Kinder anleitet.
Im August sollen und wollen sie mit der Blinden-Fußball-Bundesliga wieder anfangen. Der Trainer ist optimistisch, Çelebi nicht so ausnahmslos. Dass er so wie sein Team dennoch auf den Neustart wartet, steht außer Frage:
"Wir haben acht Spieler, zwei Torhüter, drei Guides, den Trainer natürlich. Wir haben auch ein Trainerteam, zwei bis vier Leute, wenn wir mit voller Kapelle irgendwo auflaufen, könnten wir 16 Leute mitbringen, jeder ist herzlich willkommen zu unserem Training, wir freuen uns, neue Gesichter zu sehen, obwohl: Ich muss dann tasten. Wir freuen uns auf neue Menschen."
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