Blind Date zwischen Beuys und Van Gogh

Von Ute May · 10.08.2005
Zehn Museen entlang des Niederrheins haben sich zusammengetan und Jean-Christophe Ammann als Kurator beauftragt, eine Art "Best of" mit Werken der beteiligten Museen zu präsentieren. Amman, ehemals Direktor des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, hat insgesamt 140 Werke ausgewählt und sie auf Zeit neu geordnet. Ungewöhnliche Bildpaarungen kamen dabei zustande.
Die Räume strahlen in dezentem Grau, elegant gegliedert von weißen Fußleisten und Türrahmen. In 13 eigens gestalteten Räumen hat Jean-Christophe Ammann etwa 140 Kunstwerke aus gut 100 Entstehungsjahren versammelt. Die Meisterwerke der Moderne, so heißt es auch im Untertitel der Bonner Schau, sind zeitlich und künstlerisch angesiedelt zwischen den Polen Vincent van Gogh und Joseph Beuys.

Gilberto Zorios Evviva aus dem Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum ist gleich zum Start des Rundgangs ein aus 3.000 Watt wahrhaft leuchtendes Beispiel für die unerwarteten Konstellationen, die Jean-Christoph Ammann aus dem Bestand höchst unterschiedlicher Museen zusammengestellt hat.

"Was ich die erotische Herausforderung genannt habe, die sinnliche Herausforderung, ist, quer durch alle Museen hindurch diese Dialoge zu schaffen. Insofern tritt man in einen sehr intimen Dialog mit den Werken."

Im zweiten Raum trifft ein liegender Frauen-Akt von Vincent van Gogh auf eine jugendliche Eva von Jan Sluiters ebenso wie auf ein Nagelbild von Günther Uecker und Schirme von Sophie Taeuber-Arp. Um diese fundamental unterschiedlichen Arbeiten in ein aussagefähiges Spannungsfeld zu bringen, bedurfte es nicht nur der Erfahrung im internationalen Kunstbetrieb, sondern auch eines geradezu fotografischen Gedächtnisses, um zu entscheiden, wer zu wem passt.

"Ich habe die Sammlungskataloge quasi auswendig gelernt wie ein Schauspieler, der seinen Text lernen muss. Die Direktoren waren alle sehr großzügig. Ich hatte das alleinige Auswahlrecht. Das war der Sinn der Übung, dass jemand, der lange Erfahrung im Umgang ... hat, mit der zeitgenössischen Kunst, mit der Moderne, ... Es war ja das Ziel, nicht ins 18., 19. Jahrhundert auszuweichen."

Jean-Christophe Ammann ist nicht der Versuchung erlegen, nur Gleiches mit Gleichem zu verknüpfen. Er ist ihm vielmehr gelungen, aus dem gewaltigen Fundus der zehn Museen der Modernen Kunst rechts und links des Niederrheins berühmte Schlüsselarbeiten und weniger bekannte Kunstwerke gleichwertig neben- und miteinander wirken zu lassen. Ein klares Konzept für seine Auswahl hatte Ammann nicht:

"Die Werke haben oft selbst entschieden. Manchmal habe ich das auch geträumt, welches Werk gerne ein blind date eingehen möchte. Die stete Auseinandersetzung mit der Präsenz von Werken und auch die Kenntnis der Künstler und deren Werke hat natürlich auch dazu geführt, dass ich gedacht habe, dieses könnte auch was mit jenem zu tun haben."

Für diese künstlerischen Zusammenkünfte hat Jean-Christophe Ammann in der Bundeskunsthalle, in der er jetzt zum ersten Mal eine Ausstellung konzipiert, zunächst fiktive Räume gebaut und in einer späteren Skizze die von ihm ausgesuchten Kunstwerke immer wieder gedanklich hin- und hergeschoben. Solange, bis er schließlich von der Wirkung der neuen Dialoge von Gemälden, Installationen, Fotografien und Plastiken gänzlich überzeugt war.

"Natürlich gibt es einen Rundgang und dieser Rundgang muss strukturiert sein, das heißt die verschiedenen Räume müssen sich von einander abheben. Die Realität wird zeigen, ob die Werke mit einander etwas am Hut haben, ob sie über drei Monate lang im Container big brother spielen wollen. Ich gehe von den Werken aus, nicht von einem Konzept."

Und das fordert dazu heraus, alte Sehgewohnheiten erst einmal in Frage zu stellen, zu überprüfen, ob sie Neues zulassen und in ungewohnter Nachbarschaft zu Geltung kommen und gar neue Aspekte zeigen. Das, so Ammann, sei sein Konzept; Absicht ist auch, vom Besucher Offenheit für Überraschungen zu verlangen. Zum Beispiel, wenn niederländische Malerei und italienische Skulptur aufeinander treffen.

"Da gibt’s also die fünf wunderbaren großen Skulpturen von Fontana, diese Kugeln, ursprünglich in Ton, dann in Bronze gegossen, wo er richtig mit dem Arm rein ist. Und dann dazu an den Wänden die ganz frühen erdigen Van Gogh-Bildchen, wo wirklich die Erde noch an den Schuhen klebt, gell, gewissermaßen."

Dem Wunsch, noch weitere Bilder dieser eindringlichen Serie zu zeigen, haben sich Konservatoren widersetzt.

Von gänzlich anderen Gesichtspunkten hat sich Ammann leiten lassen, als er für die Straßenbahnhaltestelle, die Joseph Beuys für die Biennale in Venedig schuf, Weggefährten suchte, die es mit der ruppigen Arbeit aufnehmen können.

"In dem Raum steht dann auch "Der Geist" von Thomas Schütte. Dann eine sehr frühe Arbeit von Serra und dann ein riesiges Portrait, die Silvia von Franz Gertsch und dort, wo Serra ist, hätte ich gern den Bruce Naumann gehabt, die frühe Spiralform über den Künstler, der mystische Wahrheiten verkündet."

Auch wenn der Zusammenschluss von zehn Kunstmuseen diesseits und jenseits des Niederrheins von den zuständigen Wirtschaftsministerien als Förderprojekt für den lahmenden Tourismus auf den Weg gebracht wurde, meint Jean-Christophe Ammann im Hinblick auf die allgegenwärtig knappen Ausstellungsetats:

"Dass dieses auch ein Pilotprojekt sein könnte. Die Museen haben Reichtümer. Wir könnten doch die Reichtümer miteinander tauschen, die Reichtümer miteinander in Verbindung bringen. Wir könnten herausfinden, welcher Teil mit einem anderen ein Stelldichein eingehen möchte. Wenn die Kommunen hierzulande auf dem Zahnfleisch gehen, ist das im Sinne eines Pilotprojektes, wo man die Werke neu entdecken kann."

Bleibt abzuwarten, was Restauratoren, Versicherungen und nicht zuletzt die Museumsleute dazu sagen.

Service:
Bundeskunsthalle Bonn: Crossart - Meisterwerke der Moderne aus zehn deutschen und niederländischen Museen, 12. August bis 6. November 2005.
Jan Sluiters: Eva (1939), Öl auf Leinwand
Jan Sluiters: Eva (1939), Öl auf Leinwand© © VG Bild-Kunst,Bonn 2005
Thomas Schütte: Großer Geist Nr. 7, Gußeisen
Thomas Schütte: Großer Geist Nr. 7, Gußeisen© Foto: Nic Tenwiggenhorn, © VG Bild-Kunst, Bonn 2005